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Eine Anklage gegen Sklaverei und Rassismus

Wiederentdeckt: Alexandre Dumas‘ Roman „Georges“
Hans-Ulrich Dillmann

Einen Historien- und Abenteuerroman aus der Kolonialzeit lesen in Zeiten, wo in Denkmäler gehauene und gegossene Unterdrücker und brutale Eroberer – endlich – von ihren steinernen Sockeln geholt werden, wenigstens in einigen symbolischen Aktionen? Zumal der Roman auch noch in einer Sprache verfasst ist, die von rassistischen Zuschreibungen nur so strotzt und wo permanent Bezeichnungen wie Neger oder Mulatte verwendet werden, die heute aus gutem Grund tabu sind? Soll man sich einen solchen Roman also wirklich antun? Durchaus.

Da kämpfen weiße, britische Kolonialherren gegen frankophone mulattische Gutsbesitzer, die der Liaison eines weißen Kolonialisten mit einer Sklavin aus Afrika entstammen und die ebenso Schwarze als Sklaven auf ihren Ländereien einsetzen wie die britischen „Herr“schaften. Letztere haben weiterhin das Sagen, weil die „Mulatten“ gelernt und verinnerlicht haben, deren „Herr“-schaft zu akzeptieren, egal wie reich sie selbst inzwischen geworden sind, und die dann doch revoltieren, gegen die permanente Schmach, Erniedrigung und Unterdrückung. Wir ahnen es: gemeinsam mit den Schwarzen, die ebenso Parias sind in einer weißen Kolonialgesellschaft wie die Mulatten-„Eigner“.

Der Berliner Herausgeber Peter Hillebrand hat es mehr als 170 Jahre nach dem Erscheinen der Originalausgabe und 130 Jahre nach der einzigen deutschen Ausgabe gewagt, den 1843 in Paris erstmalig publizierten Roman „Georges“ des französischen Autors Alexandre Dumas dem Älteren (1802-1870) wieder zu veröffentlichen. Dumas war ein Virtuose der Abenteuer- und Historienerzählung Mitte des 19. Jahrhunderts. „Georges“ hat nicht das Glück gehabt, so erfolgreich zu werden, wie die beiden bekanntesten Werke von ihm: „Die drei Musketiere“ (1845 in Deutsch) und „Der Graf von Monte Christo“ (1847 in Deutsch). Dabei hat Dumas in „Georges“ schon all die Spannungskomponenten verarbeitet, die seine späteren Bücher auch für die Filmindustrie lukrativ gemacht haben. Und obwohl es auch um Verrat und Selbstachtung, „unerbittliche Rache, unverbrüchliche Treue und Kampf gegen jegliche Ungerechtigkeit“ und Liebe geht, ragt der Roman „Georges“ im Werk Dumas’ heraus, denn er ist gleichzeitig auch ein Werk gegen Sklaverei und Rassismus, eine Anklage.

Die Geschichte ist schnell erzählt. Georges, der Protagonist und Held des Romans, ist Sohn eines Großgrundbesitzers und reichen Kolonialisten auf der Insel Mauritius im Indischen Ozean. Die „Isle de France“ war von 1715 bis 1810 französische Kolonie, bevor die Briten die Oberhand über die Insel gewannen. Selbstbewusst versucht sich der kleine Georges gegen den Sohn eines britischen Gutsherrn zu behaupten, vergeblich. Da hilft auch kein Geld in einer Gesellschaft rassistischer Zuschreibungen und Machtverhältnisse, zumal auch, weil Georges‘ Vater dies verinnerlicht hat und ertragen will.

Georges verlässt mit seinem Bruder die Insel, um sich in Europa ausbilden zu lassen. Aber auch dort erfährt er Zurückweisung. Er ist zwar ein Reicher, aber auch „Mulatte“. Als er zurückkehrt, trifft er auf seinen Kontrahenten aus der Jugend, der einer ihm bereits zur Frau versprochenen Cousine „den Hof macht“. Die beiden werden zu Konkurrenten um die Gunst der Angebeteten, die bald erkennt, dass Georges der attraktivere ist, weil mit Herz und Mut, Gerechtigkeitssinn und Selbstbewusstsein ausgestattet. Der Konflikt ist angelegt und mündet in eine Sklavenrevolte gegen die Dominanz der britischen „Herr“schaft. „Ich habe ein Vorurteil zu bekämpfen. Entweder muss das Vorurteil mich zerschmettern, oder ich muss es töten“, warnt Georges die Kolonialherren. Und Georges erhält bei seinem Kampf Hilfe vom Bruder, der inzwischen als Korsar und Sklavenhändler die Meere unsicher macht.

Alexandre Dumas kannte die Lage der „Mulatten“ in einer weißen, rassistischen Gesellschaft. Sein Vater entstammt einer Beziehung zwischen einem „Blanc“ und einer aus Afrika in die Karibik verschleppten „schwarzen Frau“. Dumas‘ Großvater war ein französischer Adliger, der sich vor den Gläubigern auf die damals französisch dominierte Saint-Domingue genannte Karibikinsel Hispaniola geflüchtet hatte, die sich heute die Republik Haiti und die Dominikanische Republik teilen.

Thomas Alexandre hatte das Glück, nicht nur von seinem Vater offiziell anerkannt zu werden, sondern auch eine gute Ausbildung zu bekommen und im französischen Revolutionsheer bis zum General aufzusteigen (Es dauerte übrigens 200 Jahre, bis nach Alexandre wieder ein Schwarzer in einer Armee des Nordens den Rang eines Generals erreichte, nämlich Colin Powell in den USA). Alexandre Dumas wusste also, was es hieß, „Mulatte“ zu sein. Die „Aristokratie der Farbe“, wie Peter Hillebrand zitiert, ist denn auch der rote Faden, der sich durch den Roman zieht, die Diskriminierung aufgrund unterschiedlicher Hauptfarbe und der Kampf gegen die Vorurteile einer von Weißen beherrschten Gesellschaft gegen nicht-weiße Menschen. In seinen späteren Roman hat er diesen rassistischen Konflikt nicht mehr thematisiert, ein Grund mehr, gerade „Georges“ zu lesen.