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Malvinas 2.0

Monsanto und das letzte „gallische Dorf“ in Argentinien

Bei dem Namen Monsanto klingeln nicht nur bei uns die Alarmglocken; auch die Provinz Córdoba im Norden Argentiniens hat mit dem multinationalen Agrarriesen eine konfliktbelastete Vergangenheit. Bereits in den 90er-Jahren, als Monsanto erstmals genmanipuliertes Sojasaatgut in Argentinien einführte und begann, die Felder flächenweise mit Herbiziden zu besprühen, entwickelte sich in bestimmten Kreisen des Landes ein kritisches öffentliches Bewusstsein gegenüber dieser neuen Form der Landwirtschaft. Die katastrophalen Folgen des Gebrauchs von landwirtschaftlichen Chemikalien auf die Umwelt und die Gesundheit der Bevölkerung lösten vielerorts Proteste und Widerstand gegen das Agrarbusiness aus. Als Argentiniens Präsidentin Cristina Kirchner letztes Jahr die Zusage für den Bau einer der weltweit größten Aufbereitungsanlagen von genmanipulierten Maissamen in der Provinz Córdoba bekanntgab, erwachten erneut die kritischen Stimmen und riefen zu Aktionen auf.

Johannes Schweitzer

In Ituzaingó, einer von Sojafeldern umringten Vorstadt Córdobas, war es durch den Gebrauch von Agrarchemikalien bereits zu schwerwiegenden gesundheitlichen Schäden in der Bevölkerung gekommen, als sich die AnwohnerInnen vor 13 Jahren zu einer Bürgerinitiative gegen Monsanto zusammenschlossen. Die Madres de Ituzaingó (vgl. ila 361/2012) wiesen anhand einer von ihnen veranlassten Studie reihenweise Schädigungen von Neugeborenen und eine alarmierend hohe Krebsrate in der Nachbarschaft nach, die sich seit dem Beginn des Gebrauchs von Herbiziden auf den umliegenden Feldern entwickelt hatte. Schon bald stießen sie mit ihrem Protest auf solidarische Stimmen im ganzen Land, verschafften sich bei der nationalen Regierung Aufmerksamkeit und erreichten, dass der fahrlässige Gebrauch des Agrargiftes Glyphosat öffentlich debattiert wurde. Nachdem Andrés Carrasco, Professor für Molekularbiologie an der Universität von Buenos Aires, daraufhin in einer Studie die Embryonalschädlichkeit von Monsantos Totalherbizid Round Up nachgewiesen hatte, das zum Großteil aus Glyphosat besteht, folgten erstmals Prozesse gegen Piloten der Sprühflugzeuge wegen Missachtung der Sicherheitsrichtlinien. Es wurde ein historisches Urteil, das es in dieser Form noch nie gegeben hatte, obgleich das ohnehin schon geringe Strafmaß zur Bewährung ausgesetzt wurde. Der Prozess machte Hoffnung und zeigte, in welche Richtung ein menschen- und umweltfreundlicherer politischer Kurs der Regierung gehen könnte. Er sollte aber vorerst einzigartig bleiben.

In Malvinas Argentinas – nicht etwa auf den umkämpften Inseln, sondern in einer Stadt im Osten der Provinzhauptstadt Córdoba – sollen bis 2014 240 Silos zur Lagerung und chemischen Aufbereitung genmanipulierten Maissaatguts entstehen. Das Endprodukt soll zur Herstellung von Tierfutter und Agrartreibstoffen verwendet und zum großen Teil nach China und Europa exportiert werden. Wie so oft im Geschäft mit den Rohstoffen wird auch in diesem Fall der Profit andernorts gemacht, nur nicht im betroffenen Land, während die Bevölkerung die Nebeneffekte zu spüren bekommt. Die AnwohnerInnen fürchten sich berechtigterweise vor den gesundheitlichen Auswirkungen der Luftverpestung, die durch den Chemiestaub der Anlage ausgelöst wird. Das genmanipulierte und mit Insektiziden, Pilztötungsmitteln und anderen chemischen Stoffen bearbeitete Saatgut muss zur Lagerung regelmäßig gelüftet werden. Problematisch hierbei ist jedoch: Einmal weggeblasen, verpufft der chemische Abfall natürlich nicht einfach, sondern setzt sich in der Luft, im Boden und auch im Grundwasser ab. Ganze Ortschaften in unmittelbarer Umgebung bekommen also direkt die Nebeneffekte der so oft beschworenen „fortschrittlichen Landwirtschaft“ zu spüren. Von dem Versprechen des Bürgermeisters Daniel Arzani, „über 450 Arbeitsplätze“ durch den Bau der Anlage zu schaffen, ließen sich die AnwohnerInnen aber nicht beschwichtigen.

Kurz nachdem der Bau der Anlage bekannt gegeben wurde, gründete sich die Bürgerinitiative Malvinas Lucha Por La Vida („Malvinas kämpft für das Leben“), die seither gegen das Bauprojekt vorgeht. Zusammen mit der Umweltschutzorganisation FUNAM legten sie bereits im vergangenen Jahr Klage gegen die Provinzregierung wegen Missachtung des Umweltgesetzes ein. Demzufolge ist ein Unternehmen verpflichtet, bereits im Voraus Umweltverträglichkeitsstudien für ein Projekt durchzuführen, und die Regierung ist dazu angehalten, die Bevölkerung in den Entscheidungsfindungsprozess mit einzubeziehen. Beide Aspekte seien laut Gastón Mazzalay, Aktivist von Malvinas Lucha Por La Vida, von der Regierung nicht berücksichtigt worden. Auch einer Studie der Katholischen Universität Córdobas zufolge, in der die BewohnerInnen von Malvinas Argentinas zum Bauprojekt befragt wurden, schenkte der Bürgermeister wenig Beachtung. Sie ergab, dass sich 87 Prozent für einen Volksentscheid in der Sache aussprechen und 58 Prozent gegen den Bau der Anlage sind. Tatsache ist jedoch auch, dass sich 73 Prozent der Befragten nicht trauen, öffentlich gegen Monsanto Stellung zu beziehen, aus Angst vor Repressalien. Ein ernüchterndes Ergebnis in einem vermeintlich demokratischen Land.

Der Widerstand auf dem juristischen Weg und in Form von Demonstrationen zeigte bis auf weiteres keinen Erfolg, weshalb sich die Bevölkerung von Malvinas, zusammen mit anderen Menschenrechtsorganisationen und Bürgerinitiativen, darunter auch die Madres de Ituzaingó, nach Beginn der Bauarbeiten im Juli dieses Jahres gezwungen sah, die Zügel selber in die Hand zu nehmen: Am 18. September errichteten sie ein Widerstandscamp vor der Baustelle und blockierten die Zufahrtsstraße. Auf unterschiedlichste Weise zeigte sich seitdem die staatliche Repression gegenüber den Protestierenden: Ende September kam es zu einem gewaltsamen Konflikt zwischen DemonstrantInnen und der Baugewerkschaft UOCRA. Die Gewerkschaft hatte eine Kundgebung gegen die Blockade der Bauarbeiten abgehalten, die jedoch schnell in eine verbale und körperliche Auseinandersetzung mit den AktivistInnen umschlug, als die GewerkschafterInnen versuchten, die Blockaden niederzureißen. Eine widersprüchliche Aktion, sollte man meinen; für gewöhnlich sind es die ArbeiterInnen und besonders die Gewerkschaften, die für die Rechte der einfachen Bevölkerung eintreten. In diesem Fall jedoch vermuten AktivistInnen dahinter eine indirekte Repressionsmaßnahme der Regierung: Schon in der Vergangenheit war die UOCRA mit Korruptionsfällen in Verbindung gebracht worden und hat den Ruf, als politisches Instrument der Regierung zu fungieren. Wer letztendlich für das Handeln der Gewerkschaft verantwortlich ist, bleibt unklar. Bestehen bleibt jedoch der Verdacht auf represión tercerizada (durch Dritte ausgeführte Repression), womit sich der Staat gezielt aus der Verantwortung für diese politische und gesellschaftliche Krise zieht, indem er andere die unangenehme Arbeit verrichten lässt.

Als die Aktion des Gewerkschaftstrupps keine Erfolge zeitigte, wurde am 30. September auch die Polizei in Malvinas aktiv. An diesem Tag sollten nach Wochen des Baustopps wieder eine Reihe von Lastwagen mit Baumaterialien das Grundstück erreichen, woraufhin sich die AktivistInnen auf die Straße legten, um ihre Weiterfahrt zu verhindern. Gewaltsam wurden sie daraufhin von der Polizei entfernt, wobei es zu Festnahmen und Verletzungen der Demonstrierenden kam. Unmittelbar nach der Aktion wurden die Straßen jedoch erneut blockiert, was Monsanto veranlasste, am 1. Oktober offiziell den einstweiligen Baustopp zu verkünden.

Ein vorläufiger Sieg über den Konzern kann im Kampf von Malvinas für das Leben also bereits verzeichnet werden. Der Konflikt um die Baustelle in Malvinas hat den Widerstand gegen die Agrarindustrie im ganzen Land wiederbelebt. Hier geht es mittlerweile um weit mehr als um das Schicksal einer kleinen Ortschaft. Im Einsatz der AktivistInnen in Córdoba spiegelt sich die Meinung der ArgentinierInnen wider, die es leid sind, sich dem von multinationalen Konzernen diktierten politischen Kurs ihrer Regierung unterzuordnen.

So hat sich schon bald nach dem Aufbau der Blockade in Malvinas der Zeltplatz der DemonstrantInnen zu einer Plattform für den Austausch über Themen wie nachhaltige, ökologische Landwirtschaft und nationale Ernährungssouveränität entwickelt. In Workshops und Diskussionsrunden wird im Camp über diese wichtigen Themen reflektiert. Ein provisorisch angelegter biologischer Gemüsegarten zeigt demonstrativ, wie es auch anders geht: Maíz steht auf dem kleinen Schild vor den eigenhändig bearbeiteten Ackerreihen im Camp. In diesem Fall ohne die kleine Spritze daneben, die sonst auf den Bildern der Kampagne gegen Monsanto zu sehen ist.

Die Entscheidung über den Bau der Anlage will Bürgermeister Arzani nun von der Umweltverträglichkeitsstudie abhängig machen. Auch Monsantos Vizepräsident in Argentinien, Pablo Vaquero, versichert, dass die Bauarbeiten nur fortgesetzt würden, wenn die Ergebnisse dieser Studie den Umweltschutzrichtlinien entsprechen. Er werde sich zudem persönlich darum kümmern, dass dies eintrete. In Anbetracht der Tatsache, dass die Studie von Monsanto in Auftrag gegeben und finanziert wird, können wir uns zumindest in diesem Fall mit Sicherheit auf sein Versprechen verlassen.

Während nach und nach eine Baufirma nach der anderen ihre Maschinen vom Gelände in Malvinas abzieht und die AktivistInnen in letzter Zeit mehr mit Wetter bedingten Überschwemmungen als mit Repression zu kämpfen haben, bleibt den Führungskräften Monsantos zur Zeit nichts weiter übrig, als auf anderem Wege Druck auf die DemonstrantInnen auszuüben. Erst kürzlich wurden die Mitglieder von Malvinas Lucha Por La Vida in einem formellen Schreiben dazu aufgefordert, endlich die Blockade aufzugeben, da ihnen andernfalls bis zu drei Jahre Haft drohen würden. Zwar werden solche Androhungen von den Betroffenen gerne belächelt, allerdings ist es nur eine Frage der Zeit, bis die Regierung zu härteren Maßnahmen greift, um für Monsantos Vorhaben die Bahn frei zu machen. Denn zumindest in ihrer Haltung gegenüber dem Malvinas-Konflikt scheinen sich von der Bundesregierung unter Cristina Kirchner über die Provinzregierung José Manuel de la Sotas bis hin zum Bürgermeister Arzani alle einig zu sein: Die Interessen des Konzerns sind der offenkundigen Meinung der Bevölkerung allem Anschein nach übergeordnet. Daniel Arzanis letzte Behauptung bezüglich der Blockade lautete, dass „gerade mal fünf Prozent der Protestierenden“ aus der Umgebung von Malvinas kämen. Berechtigt scheint da die Gegenfrage einer Aktivistin: „Und Monsanto – woher kommen die?“