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McDonaldisierung der Bildung?

Interview mit Rubens Diniz, Generalsekretär der Organisation Lateinamerikanischer und Karibischer Studenten OCLAE

Neben dem Energie-, Wasser- und dem Gesundheitssektor ist auch die Bildung ein Bereich, der verstärkt privatisiert werden soll. In Europa wird vor allem wahrgenommen, dass die Staaten ihre Bildungsausgaben senken wollen und höhere Bildung verstärkt von den SchülerInnen/StudentInnen und ihren Familien finanziert werden soll. Dabei wird aber immer noch davon ausgegangen, dass die Universitäten öffentlich bleiben, nur dass eben ihr Zugang künftig vom Einkommen abhängig sein wird. Doch auch in den Bildungssektor drängt privates Kapital, denn dort sind gute Geschäfte zu machen. Die neuen Kommunikationstechnologien und das Internet haben es möglich gemacht, dass Bildungsprogramme wie Fernstudiengänge weltweit verbreitet und vermarktet werden können. In den USA ist dieser Prozess bereits weit fortgeschritten. Das Dienstleistungsabkommen GATS und ALCA sind die Hebel, dies auch international durchzusetzen. Über diese Entwicklung sprach Felix Koltermann mit Rubens Diniz, dem Generalsekretär der Organisation Lateinamerikanischer und Karibischer Studenten OCLAE. Neben der Arbeit für die OCLAE gehört der Brasilianer dem Beirat des Weltsozialforums WSF an.

Felix Koltermann

Welche Rolle spielt die Bildung in den Verhandlungen zur Gesamtamerikanischen Freihandelszone ALCA?

Der Bildungsmarkt mit einem Volumen von ca. 76 Milliarden Dollar bewegt die Welt. Er ist ein sehr wichtiger wirtschaftlicher Faktor. In der nordamerikanischen Ökonomie, die zur Zeit eine Krise durchlebt, ist die Bildung eine der wenigen Branchen, die davon nicht betroffen ist. Durch die Aufnahme des Themas Bildung und Erziehung ins GATS (General Agreement on Trade in Services – Dienstleistungsabkommen innerhalb der WTO) und ALCA (Gesamtamerikanische Freihandelszone) sollen diese Bereiche weiter verwertet werden. Unabhängig von der Frage des Profits steckt dahinter auch eine Frage der Macht.
Die Strategie, die sich die Großkonzerne heute auf die Fahnen geschrieben haben, ist die der Bildungsfinanzierung. Da der Staat kein Geld mehr hat („Geld haben“ ist immer eine Frage der Prioritäten – d. Säz.) um einen breiteren Zugang zu Bildung zu schaffen und Lehrinhalte zu verbessern, bietet man Unternehmen an, diese Aufgabe zu übernehmen. Ganz „demokratisch“ wird so der Markt geöffnet. Aber natürlich ist das Interesse der Unternehmen reine Rhetorik und in Wahrheit sind sie an ganz anderen Dingen interessiert. Dazu gibt es ein paar konkrete Beispiele, ausgehend vom Freihandelsvertrag zwischen den USA, Kanada und Mexiko (NAFTA). 
Die Universität von Phoenix aus den USA will dabei ihr Projekt des Fernstudiums ausweiten. Dazu verkauft sie ein Franchisekonzept ähnlich dem von McDonald's. Es wird eine kleine Privatuniversität egal an welchem abgelegenen Ort auf der Welt eröffnet, in diesem Fall in Mexiko. Dazu wird ein Vertrag abgeschlossen und ein kleiner Computerraum eröffnet. Phoenix verkauft die Passwörter, mit denen die Studenten dann per Internet Zugang zu allen Lehrinhalten der Uni haben. Die Universität Phoenix fordert, diesen Markt noch weiter zu liberalisieren, Quoten für Privatuniversitäten abzuschaffen und die Möglichkeit des Fernstudiums auf alle möglichen Studiengänge auszuweiten wie zum Beispiel Leibeserziehung. 

Wie sehen denn die konkreten Erfahrungen Mexicos mit dem Fernstudium aus?

Das, was in Mexico passierte, geht noch viel weiter als das, was ich eben schilderte. Wie es der Freihandel vorschreibt, sind staatliche Subventionen nicht erlaubt, genauso wenig wie eine Konkurrenz, die sich aus dem Erhalt oder Nichterhalt von Subventionen ergibt. Aus diesem Grunde reichten einige private Universitäten angeleitet von Phoenix Klage gegen die Subventionen der staatlichen Universitäten Mexicos ein. In der Anklageschrift hieß es, dass eine Gleichwertigkeit der Angebote, die das Freihandelsabkommen einfordert, nicht mehr gegeben sei, da man an der einen gezwungen ist, für eine Leistung zu bezahlen, die es an einer öffentlichen gratis gibt. Das war natürlich eine gezielte Provokation gegen den Staat mit dem Ziel entweder selbst staatliche Finanzierung zu bekommen oder den Studenten eine Art staatliches Stipendium zahlen zu können oder Bonusguthaben einzufordern, was einer Finanzierung durch den Staat gleichkommt.
Es sollte nicht unerwähnt bleiben, dass 96 Prozent der Fernstudiengänge, die weltweit angeboten werden, aus den USA kommen. Sie wollen sich einen größeren Marktzugang verschaffen und über den Markt auch eine Homogenisierung der Inhalte erreichen. Eine wichtige Fragestellung, wenn wir darüber nachdenken, was wir dagegen machen können, ist, wer Wissen produziert und wer dieses verarbeitet. Da gibt es meiner Ansicht nach eine klar ersichtliche Arbeitsteilung. Einige Länder widmen sich der Forschung und der Produktion von Wissen und dessen Verwertung, andere stellen die billige Arbeitskraft und verarbeiten das zur Verfügung gestellte Wissen. Diese Rolle kommt den Ländern der Peripherie und der dritten Welt zu. 
Das heißt, wenn die Bildung in GATS und ALCA aufgenommen wird, müssen wir perspektivisch 1. den Markt an sich diskutieren, 2. die gerade genannte Arbeitsteilung in Frage stellen, wer denkt und wer ausführt, und 3. die kulturelle Hegemonie mit einbeziehen, das heißt den Konflikt zwischen verschiedenen kulturellen Projekten.
Der Krieg gegen den Terrorismus zum Beispiel ist eine große psychologische Kampagne in verschiedenen Medien – Hollywood ist dabei – um Helden und Feindbilder zu schaffen.
Wenn wir die Einbeziehung der Bildung in die Verhandlungen zu ALCA reflektieren, muss man betonen, dass es Aspekte gibt, die weit über das rein Ökonomische hinausgehen. ALCA ist kein reines Freihandelsprojekt, sondern ein Projekt zur geopolitischen und kulturellen Dominanz Lateinamerikas mit dem wichtigen Punkt der Arbeitsteilung und Produktion. 

Schließt denn der aktuelle Verhandlungsvorschlag für die Schaffung von ALCA das GATS komplett ein?

Das GATS geht schon sehr viel weiter als das, was wir zur Zeit im Bildungssektor in Lateinamerika mit der privaten Erziehung erleben. Der Vorschlag für ALCA geht aber noch über das GATS hinaus. Denn es stellt die Rechtsgrundlage der öffentlichen Unis in Frage. Es erweitert und diversifiziert Erziehung und entzieht sich der nationalen Kontrolle. Wenn es heute sehr wenig Kontrolle über die privaten Unis gibt, so wird es mit dem GATS gar keine mehr geben. Wer wird den Inhalt dessen bestimmen, was die Leute lernen? Die Unis wie Phoenix und Massachussets haben schon Inhalte definiert, was gelernt werden soll, um dies zu verkaufen.
In Lateinamerika gibt es auch das Phänomen, dass es nur wenige gute Privatunis gibt und viele schlechte den Standard nach unten ziehen. Es gibt auch einen anderen Prozess, alle schon existierenden staatlichen Unis zu privatisieren und den Zugang einzuschränken. Wenn du an einer Uni studieren willst, so hast du alle Rechte, dies zu tun, musst dich aber selbst darum kümmern, wie du dich finanzierst. Dies ist dann dein Problem. Damit einher geht auch ein Prozess der Elitisierung in den öffentlichen Universitäten, da es immer schwerer wird, dort angenommen zu werden und sich dort zu halten.
Zur Zeit gibt es noch einige Regierungen, die sich in den Verhandlungen dagegen wehren, Dienstleistungen und Bildung mit in den Vertrag aufzunehmen. Da gibt es Widersprüche. Aber manche Regierungen betrachten die Erziehung auch als Pfand, um bessere Ergebnisse beispielsweise für ihre Landwirtschaft zu erzielen und ein Thema gegen das andere ausspielen zu können. Das heißt, es ist immer noch möglich, dass die Erziehung in den Vertrag rutscht. Es gibt einen großen Druck, insbesondere der Lobbyorganisationen aus den USA, diesen lateinamerikanischen Markt zu erschließen.

Heißt das, dass ihr letztlich zwei Schlachten schlagen müsst, zum einen gegen das GATS innerhalb der WTO und zum anderen gegen die Aufnahme der Erziehung in ALCA?

Was das GATS angeht, gab es einen bedeutenden Sieg im vergangenen Herbst gegen die WTO im mexicanischen Cancún, welcher die Bewegung sehr beflügelt hat. Der Fakt, die WTO zum Entgleisen gebracht zu haben, wie wir es genannt haben, hat den offiziellen Zeitplan verkompliziert. Es gibt viele komplizierte Themen innerhalb der WTO, wie die Bildung als Teil des Dienstleistungssektors, aber auch andere wie die Landwirtschaft, die sehr viel polemischer diskutiert werden. Der Kampf ist trotz allem sehr ungleich, denn sie haben die wirtschaftliche Macht und die Medien auf ihrer Seite. Wir müssen die Strategie benutzen, viele kleine Mobilisierungen an unterschiedlichen Orten zu machen, viele kleine solide Schritte zu gehen. Und unsere Botschaft richtet sich klar gegen eine Kommerzialisierung der Bildung.

Ich hatte den Eindruck, dass die studentischen Kräfte in Lateinamerika im Kampf gegen das GATS und ALCA nicht wirklich massiv sind. So spielte das Thema Erziehung in meinen Augen in Cancún neben der Landwirtschaft eher eine untergeordnete Rolle. Was sind die realen Kräfte?

Ein großes Problem in Cancún war, dass die Stadt weit ab vom Schuss liegt. Von dort, wo es starke studentische Kräfte gibt, wie in Guadalajara und DF, hatten die Aktivisten Schwierigkeiten nach Cancún zu gelangen. So gab es zwar Mobilisierungen für Cancún, aber die Strategie schloss auch viele dezentrale Aktionen mit ein. Ein Beispiel, wo es einen lateinamerikanischen Aktionstag und starke Aktionen vor Ort gab, war das Treffen der Wirtschaftsminister von ALCA Ende Oktober 2002 in Quito in Ecuador. Dort war unsere Botschaft „Erziehung ist keine Ware“. 
Die Jugend- und Studentenbewegung unterscheidet sich aber auch in ihrer Struktur ganz stark von anderen. Ein Bauer zum Beispiel ist sein ganzes Leben lang Bauer. Das heißt auch, die Führung der Bauernbewegung ist wesentlich beständiger und hat viel mehr Erfahrung. An der Universität bleiben die Leute in der Regel nur vier oder fünf Jahre und es gibt eine große Fluktuation.

Wie sieht denn deine Vision für ein anderes Bildungssystem in Lateinamerika aus?

Wir müssen die Universitäten grundlegend verändern und die unsichtbaren Mauern in ihnen einreißen. Die Unis brauchen die Unterstützung der Gesellschaft, um ihre Projekte zu entwickeln und müssen selbst eine sozialere Rolle spielen. Was bringt uns eine hochtechnisierte Uni, wenn das, was erforscht wird, keinen Bezug zu den lokalen Problemen hat. Die Unis müssen unter anderem dazu da sein, die Probleme der Regionen zu lösen, im konkreten Fall zum Beispiel das Hungerproblem. Es ist beschämend, dass diese Probleme in dem Jahrhundert, in dem wir leben, immer noch nicht gelöst sind und die Unis dies nicht unterstützen. Ich glaube, dass die Unis mit der Gesellschaft einen sehr wichtigen Alliierten gewinnen müssen.

Das Interview führte Felix Koltermann im Februar dieses Jahres in Havanna.