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Wir standen da mit offenen Mündern

Interview mit Kutlu Yurtseven von der Microphone Mafia über ihre Tour in Venezuela

Im Schatten der Bayer-Türme im Kölner Norden taten sich 1989 einige 16- und 17jährige Jungs zusammen und gründeten eine HipHop-Formation. Über ihre Anfangszeit erzählen sie: „Rossi rappt auf Italienisch und Neapolitanisch. Englisch war einfach nicht sein Ding – muss ja auch nicht jeder Rapper aufs Gymnasium gegangen sein. Kutlu rappt jetzt auf Türkisch. Unser legendärer Dreisprachenmix war also am Anfang eher Zufall statt ausgefeiltes Konzept (...), der Anfang unserer Karriere als multikulturelle Vorzeigekids – beliebt bei allen Sozialarbeitern und immer wieder eingeladen, umsonst aufzutreten, wenn es um antirassistische Festivals ging. Und davon gab's damals 'ne Menge.“ Vier Alben haben sie bisher herausgebracht und sind auf zahlreichen Samplern vertreten, u.a. auf dem bemerkens- und lobenswerten Hommage-Sampler für die Kölner Edelweißpiraten „Es war in Shanghai“. Lokal und global kritisch bewegt unterwegs: Anfang Februar waren sie auf Einladung des Goethe-Instituts zehn Tage in Venezuela und Bolivien auf Tour. Was sie dort erlebt haben, berichtete uns Kutlu.

Gert Eisenbürger
Britt Weyde

Wie habt ihr reagiert, als ihr von der Austauschidee gehört habt?

Es fing alles mit einer E-Mail an, die vom Goethe-Institut aus Caracas kam. Für uns stand ganz schnell fest, dass wir auf jeden Fall hinfahren. Insgesamt ging alles viel unkomplizierter, als wir gedacht hatten. Ein paar E-Mails und schon hatten wir unsere Tickets in der Hand. Das Organisatorische war innerhalb von eineinhalb Monaten abgewickelt. Und das ist nicht schlecht, vor allem, wenn's das erste Mal eine Reise nach Südamerika ist. Wir sind, glaube ich, die erste und einzige HipHop-Band aus Deutschland, die drüben war.

Habt ihr solche Austauschgeschichten auch schon mit anderen Ländern gemacht?

Ich arbeite sehr viel mit dem Goethe-Institut zusammen und bin deswegen schon nach Prag, Frankreich, in die Türkei und die Niederlande gefahren, wo wir sehr gute Kontakte zu Rappern haben. Man tauscht sich aus und hat Freundschaften auf Distanz. Aber so weit wie diesmal waren wir noch nie gekommen.

Weite Reise, wenig Vorbereitungszeit – was wusstet ihr vorher über Venezuela?

Man bekommt ja von den Medien nur Häppchen präsentiert. Eine Bekannte von mir kommt aus Venezuela. Sie hat wegen der Sehnsucht nach dem Land natürlich überwiegend positive Erinnerungen und hat uns dementsprechend über das Land erzählt. Und auf der anderen Seite hast du dann die Medienberichterstattung, z.B. zu den Wahlen, wo es zu Schießereien auf der Straße kam … Aber vor so etwas hatten wir eigentlich keine Angst, denn als Südländer weiß man ja vom Leben aus Deutschland, dass man nicht überall dort Angst haben muss, wo die Medien behaupten, dass es gefährlich ist. Hier wird ja auch über angeblich gefährliche Ghettos in Köln gesprochen, in denen aber jeder ohne Probleme spazieren gehen, essen und trinken kann. Angst hatten wir also nicht, nur zu wenige Informationen vorher. Der Organisator der Reise hat uns natürlich noch Informationen über Venezuela gegeben, aber den Rest haben wir auf uns zukommen lassen. Und das ist auch meiner Meinung nach das Beste: selber die Erfahrungen zu machen, einfach alles wirken lassen und dir dann deine eigene Meinung bilden.

Kanntet ihr Musik aus Venezuela?

Nichts. Unsere erste Frage war natürlich: Gibt's HipHop, oder irgendwelche Reggae- oder Ragga-Leute? Peruanische Freunde hier in Köln hatten uns vorher erzählt, dass dort nur gebrannte CDs verkauft werden. Unser erster Auftritt war in Maracay, westlich von Caracas, da haben wir sehr viele HipHop-Bands kennen gelernt. Wir sind dort in einem Theaterhaus aufgetreten und als wir da herumgeführt worden sind, haben wir erst einmal die gehobeneren Stadtecken gesehen. Später waren wir mit den HipHop-Bands in den barrios, ihren Vierteln. Wir haben zusammen Aufnahmen mit ihnen gemacht. Sie ließen einen beat laufen und wir haben gefreestylt. Companía Underground hieß eine Band und Sombra ein einzelner Rapper. Wir haben sehr viel Spaß zusammen gehabt. Die haben sich auch keine Sorgen gemacht um uns, denn als Schwarzkopf fällt man dort nicht auf. „Ihr könnt ruhig allein durch's barrio gehen“, haben sie uns gesagt, „hier merkt niemand, dass ihr Touristen seid“, auch nicht wegen unserer Klamotten, die einfach HipHop-Klamotten sind. 

Als wir ihnen erzählten, mit welchen Mitteln wir produzieren, bekamen sie Tränen in die Augen – denn was hier 3000 Euro kostet, kostet dort mindestens das Doppelte. Aber trotzdem haben sie supergeile Musik gemacht und für uns war es sehr interessant zu sehen, wie man mit noch sehr rudimentären Mitteln guten HipHop machen kann. Es erinnerte ein bisschen an die HipHop-Kultur 1989/1990 in Deutschland: ein bestimmtes Pionierdenken, die Kultur voranzutreiben, die Jungs von der Straße zu holen usw. Am nächsten Tag sind wir zu Fuß zu einer Radiostation gegangen. Auf dem Weg hast du den Markt und die ganz normalen Leute gesehen. In dem Moment hatte ich das Gefühl, jetzt siehst du zum ersten Mal Maracay – denn die großen Einkaufszentren, die kann ich mir auch hier angu-cken. Auf dem Weg war es dann wirklich so, wie man sich Südamerika vorstellt: Latinos und Latinas, die miteinander flirten und auf der Straße tanzen, singen, das war alles sehr warm. Überall ist mir das aufgefallen: Die Menschen haben materiell viel weniger als die Leute hier in Deutschland, genießen das Leben aber viel mehr als viele Menschen hier. 

Wie ging es dann in Caracas weiter?

Dort sind wir im Goethe-Institut in einem Riesenpark aufgetreten, es kam mir ein bisschen vor wie das „Frühstücksfernsehen“ im Sommergarten, mit Stuhlreihen usw. Einen Tag vorher waren wir in einem Theater gewesen, wo es nur HipHopper gab und alles auf einer freundschaftlichen Ebene ablief. Jetzt war alles etwas reservierter. Aber es war trotzdem der Hammer, weil wir dort Papa Shanty kennen gelernt haben. Sie haben uns erzählt, dass sie tausend Leute erwarten würden, und wir dachten uns, „ja ja, alles klar, das hab' ich in Deutschland auch schon oft gehört“. Aber es kamen wirklich tausend Leute. Und Papa Shanty ist eine so geile Band! Eine Live-Band mit Schlagzeuger, Bassisten, Gitarristen, Keyboarder und drei MCs, der Leadsänger ist Rastafari. Bei dem Drummer fallen dir die Augen aus, der hat breakbeats gespielt, also nicht mit dem Drumcomputer eingespielt, sondern selber gespielt. Wir standen da mit offenen Mündern. Und wie die Leute abgegangen sind bei denen! 

Dann dachten wir: „Tolle Sache, die sind nur wegen denen da“, weil die ein lokal ziemlich bekannter Act sind. Aber die standen dann bei uns genauso, trotz Regen und es war ein superschöner Auftritt. Die Leute haben zwar nicht verstanden, was wir gerappt haben – ich kann ein bisschen Spanisch und habe dann zwischen den Songs erzählt, worum es geht –,aber während der Stücke haben sie sich nur von der Musik leiten lassen. Sie haben aber auch mitbekommen, wenn es ein bisschen ernster wurde. Hier ist es ja häufig so, dass die Leute denken „wenn ich nichts verstehe, finde ich es auch nicht so gut“, aber das war denen gar nicht so wichtig. Es kommt vollkommen auf die Energie an, die sich überträgt: Du kannst ja noch so viel Energie ausstrahlen, aber wenn die Leute dafür nicht offen sind, werden sie sie auch nicht aufnehmen. Aber da hat alles gestimmt, bei allen vier Konzerten. Die Leute haben das ja auch als Wertschätzung gesehen, dass man aus Deutschland nach Südamerika kommt. Und im Vordergrund stand nur der HipHop. In Bolivien hatten wir auch jeden Tag drei bis vier Fernsehinterviews, aber es gab keinen Neid. Die lokalen HipHop-Bands kamen manchmal mit, wurden teilweise gar nicht beachtet, aber sie haben gesagt: „Das ist schon richtig so, Jungs, ihr kommt schließlich von weit her.“ Im Moment wird darüber geredet, ob wir nächstes Jahr nicht noch einmal rüber wollen. 

Und eure venezolanischen Kollegen nach Deutschland einzuladen …? 

Ja natürlich! Wer immer hier Konzerte mit lateinamerikanischen Bands organisiert, ruft Papa Shanty! Ich habe wenige so stimmige Bands gesehen, die untereinander und anderen gegenüber so respektvoll sind. Das ist eine einmalige Band. Wenn wir das hier hinbekommen würden, wären wir sofort mit dabei. 

Wie habt ihr euch als „Kulturbotschafter Deutschlands“ gefühlt?

Das Komische war ja, dass wir in Venezuela Deutschland repräsentiert haben, aber drei Türken waren. Das haben die gar nicht verstanden: „Ihr sagt, ihr seid keine Deutschen, aber ihr repräsentiert Deutschland“, woraufhin wir gesagt haben „Wir sind keine gebürtigen Deutschen, sondern Türken, die sich als Frankfurter oder Kölner bezeichnen“.  In Venezuela z.B. ist ja die Bevölkerung sehr unterschiedlich, es gibt verschiedene Farben und Abstammungen, aber es sind alles Venezolaner. Es ist ein Einwanderungsland, für die ist das überhaupt kein Problem. Alle sagen: „Wir sind Venezolaner“ und erst im Nachhinein hörst du: „Eigentlich komme ich aus Chile, aber ich bin Venezolaner.“ Das war auch in Bolivien so, dass sie sehr schnell das Land, in dem sie leben, als ihr eigenes bezeichnen. Deshalb war es für sie vollkommen fremd, dass einer, der 31 Jahre in Deutschland gelebt hat, sagt: „Ich bin Türke und lebe in Deutschland.“ 

In Bolivien kam dazu, dass die Bolivianer bei Türken an Syrer, Libanesen usw. denken, die damals aus dem Osmanischen Reich gekommen waren. Dann mussten wir ihnen erst erklären, dass wir wirklich aus der Türkei kommen. Dort gibt es ja das Einwanderungsland schon viel länger, nicht so wie in Deutschland, als in den 60er Jahren en bloc so viele kamen und seitdem ständig dagegen angekämpft wurde. Sie fragten uns: „Wie könnt ihr in einem Land leben, wo alles gegenpolig und nicht miteinander läuft?“, woraufhin wir meinten, dass wir die Hoffnung hätten, dass es irgendwann einmal nicht mehr so ist. Außerdem bleibt uns ja nichts anderes übrig, weil das „Heimatland“ unserem Lebensstil genauso fremd ist. Wir befinden uns in einer Grauzone. Uns wird immer vorgeworfen, dass wir nicht angepasst sind, fahren dann in die Türkei, merken dort, wie sehr wir an Deutschland angepasst sind. Aber man gewöhnt sich an alles, auch an das Sichfremdfühlen, hier wie dort. Deutschland ist da noch so ein kleines Bollwerk, hier gibt es diese Blockade, stärker noch als in anderen Ländern.

Solche Fragen sind ja genau Gegenstand eurer Texte – was habt ihr von den Texten eurer venezolanischen Kollegen mitbekommen, gab es thematische Überschneidungen? 

Thema ist größtenteils die soziale Lage, alle Ungerechtigkeiten, im wirtschaftlichen, im Arbeits- oder Bildungsbereich und da gibt es natürlich Überschneidungen. Das Universelle an HipHop ist ja gerade, dass es aus dem Leben gegriffen ist. Egal, wo man hinfährt – es hätte auch Afrika sein können – hat man zum größten Teil die gleichen Themen.

Ist HipHop in Venezuela eine importierte Kultur von Mittelschichtkids, die auf Gangster-Rapper machen?

Das, was wir mitbekommen haben, waren kids aus den Satellitenstädten, von den Bergen. In Bolivien z.B. war ich auf einem HipHop-Konzert in einem Jugendzentrum, wo es mehrere Etagen gab und genau in der Mitte war die Bühne. Das war so underground, da habe ich keinen gesehen, der Geld hatte. Natürlich hast du überall, auch hier, Mittelschichtkids, die HipHop machen können, schließlich ist das ganze equipment auch eine Kostenfrage. In Südamerika haben wir 20 bis 30 Bands kennen gelernt und es gab nur ein oder zwei DJs. Keiner von denen hatte einen Plattenspieler, weil das zu teuer ist. Die haben mit CDs gearbeitet, nur Musik und Rap. Die Konzerte waren auch nicht teuer, zwischen umgerechnet einem und zwei Euro. Auch wenn jemand kein Geld hatte, wurde er reingelassen.

Habt ihr euch mit euren venezolanischen Kollegen auch über den Bolivarianischen Prozess in Venezuela unterhalten?

Mit den Rappern braucht man nicht darüber zu reden, denn das, was sie rappen, handelt ja davon, von den sozialen Problemen. Mit den Leuten vom Goethe-Institut oder Leuten, die wir etwas besser kennen gelernt haben, haben wir uns natürlich abends beim Bier darüber unterhalten. Dabei habe ich gemerkt, dass sich die meisten unschlüssig darüber sind, in welche Richtung es geht, bringt Chávez jetzt was Neues? Diejenigen, mit denen ich mich unterhalten habe, sagen „Der ist gut, der versucht, etwas zu machen“, aber er ist ja auch ein Ex-General und stellt deswegen das Militär zufrieden. Die meisten sind hin- und hergerissen. Kritisiert wurde z.B., dass viele Projekte begonnen, aber nicht zu Ende gebracht werden. Viele sagen: „Er verspricht zu viel“, die Gleichen sagen aber, dass er viel mehr für die Unterschicht tut als viele andere vor ihm. Ich kann das nur auf mich einwirken lassen – es wäre unverschämt, wenn ich mir jetzt irgendein Urteil bilden würde, das auf neun Tagen basiert.

Für viele südamerikanische Jugendliche ist das repressive Verhalten der Polizei in ihren Vierteln ja ein großes Problem, z.B. ist das immer wieder Thema im brasilianischen HipHop. Ist das in Venezuela ähnlich?

Ich glaube eher nicht. Ich habe aber auch sehr wenig Polizei, zumindest in Caracas, gesehen, obwohl jeder davon geredet hat, wie kriminell die Stadt ist und dass man auf sein Portemonnaie aufpassen sollte usw. Andererseits gibt es eine sehr starke Militärpräsenz – vielleicht hat in Venezuela, ähnlich wie in der Türkei, eher das Militär das Sagen. Und in Bolivien habe ich die Polizisten immer nur vor Banken gesehen, aber nie auf Streife. Bei Konzerten wurden Leute auf Drogen kontrolliert und einige auch rausgeschmissen, aber das hast du hier in Deutschland auf HipHop-Jams genauso.

Das Interview führten Gert Eisenbürger und Britt Weyde am 30. März in Köln.