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Teile und herrsche

Die EU zerstört die zaghaften Ansätze einer Süd-Südkooperation Afrika-Lateinamerika. Interview mit Tsigereda Walelign

Die Förderung der Süd-Süd-Kooperation wird in Sonntagsreden immer mal wieder als ein Ziel von Entwicklungspolitik formuliert. Abgesehen von einigen wirklich interessanten Projekten von Nichtregierungsorganisationen (in dieser ila werden jeweils eins von terre des hommes und vom Evangelischen Entwicklungsdienst erwähnt), zielt die bilaterale und multilaterale Nord-Süd-Politik aber eher darauf, die Staaten des Südens gegeneinander auszuspielen und die vertikalen Beziehungen zwischen Erster und Dritter Welt zu zementieren. Dies gilt besonders für die Europäische Union, die zu den ehemaligen europäischen Kolonien, den so genannten AKP-Staaten, besondere Beziehungen unterhält. Darüber sprach Gaby Küppers in Brüssel mit Tsigereda Walelign. Die Äthiopierin ist Referentin für Entwicklungspolitik und AKP-Beziehungen bei der Fraktion der Grünen im Europäischen Parlament.

Gaby Küppers

Kannst du zunächst kurz erläutern, was es mit dem Kürzel „AKP-Staaten“ auf sich hat und was die betroffenen Länder davon haben?

AKP bedeutet Afrika, Karibik und Pazifik – bei Afrika sind hierbei die Länder südlich der Sahara gemeint. Die AKP-Gruppe wurde 1975 ins Leben gerufen, um ein Abkommen mit ihren einstigen „Mutterländern“ zu schließen. Seit den 60er Jahren waren die meisten Länder Afrikas, abgesehen von Zimbabwe und dem Apartheidregime in Südafrika, unabhängig geworden. Für die damalige EG stand damit an, die Beziehungen zu den ehemals kolonisierten Gebieten in eine andere Form zu gießen. Mit dem Beitritt Großbritanniens zur EG im Jahre 1973 vergrößerte sich die Gruppe nochmals um Länder der Karibik und des Pazifik. Die drei erklärten Pfeiler der Kooperation zwischen der EG, später EU, und den AKP-Staaten sind Entwicklungshilfe, Handel und technische Hilfe.

Nord-Süd-Beziehungen auf der Basis ehemals kolonialer Abhängigkeiten stehen demnach im Mittelpunkt. Hat der AKP-EU-Vertrag daneben auch die Süd-Süd-Kooperation verstärkt?

Zunächst einmal handelte es sich um vollkommen vertikal ausgerichtete Beziehungen. Schließlich ist die AKP-Gruppe ja nicht aus einer internen Reflexion der betroffenen Länder heraus entstanden, die die Notwendigkeit einer gemeinsamen Struktur zwecks wirtschaftlicher Entwicklungen sahen, sondern aus dem Bedürfnis der anderen Seite, den Kolonialismus irgendwie fortzusetzen. Trotzdem erkannte man innerhalb dieser Gruppe, die ganz verschiedene Regionen zusammengebracht hat, dass man die Struktur dazu nutzen konnte, um eine andere Dynamik in Gang zu setzen. Es gab Ansätze zur besseren Verteidigung der Interessen des Südens. Aber wenn man sich dann die Geschichte ansieht und die Verträge, die bei den Verhandlungen herausgekommen sind, Lomé, dann Cotonou und jetzt das Projekt der EPA (Economic Partnership Agreement), erkennt man ganz klar die Handschrift der EU. 

Dennoch existieren inzwischen andere interne Strukturen unabhängig von den AKP-Verträgen, die sich um die regionale Integration bemühen, sowohl um Währungsunion wie auch um Zollunion, zum Beispiel die Westafrikanische Union, die Ostafrikanische Gemeinschaft EAC oder die Entwicklungskoordination SADCC im Südlichen Afrika. Natürlich gab es immer Schwierigkeiten, und die derzeit laufenden Verhandlungen zu den EPAs sind sehr kontraproduktiv, weil die von der EU vorgeschlagene Aufteilung in Wirtschaftszonen die existierenden Strukturen ignoriert.

Wie sieht es mit Süd-Süd-Kooperation zwischen der Karibik und Afrika aus?

Bescheiden. Wichtiger als die Handelsflüsse ist hier die Entwicklung gemeinsamer Verhandlungspositionen gegenüber der EU. Bis zum Jahr 2000, als das Cotonou-Abkommen auslief, lief das ganz gut. 

Und wenn man ganz Lateinamerika hinzunimmt?

Ich sehe die Beziehungen zwischen Afrika und Lateinamerika unter mehrerlei Gesichtspunkten. Nimmt man nur den Handelsaspekt im engen Sinne, gibt es zwei Riesen: Südafrika und Brasilien, die in der Lage sind, große Warenmengen zu verkaufen. Aber historisch gesehen ging dem ein anderer Handel voraus, nämlich der Sklavenhandel. Entsprechend existiert heute in Lateinamerika ein bedeutsamer Bevölkerungsanteil afrikanischen Ursprungs mit nicht zu unterschätzendem kulturellen Einfluss. 

Wenn man an Handel im 20. Jahrhundert denkt, fällt mir die Gruppe 77 ein, die in den 70er Jahren aufkam, um die Interessen des Südens zu vertreten, und in jüngster Zeit die Allianzen in der WTO. Gerade in Cancún, bei der letzten, gescheiterten WTO-Konferenz, haben es die Länder des Südens geschafft, eine gemeinsame Front aufzubauen, die am Ende dazu führte, dass die EU und die USA sich nicht mehr durchsetzen konnten. Schließlich fallen mir die globalisierungskritischen Bewegungen ein, die immer stärker werden und sich der weiteren Handelsliberalisierung widersetzen.

Bei diesen Gruppen siehst du eine Zusammenarbeit zwischen Gruppen aus Afrika und Lateinamerika?

Ja, durchaus, sowohl bei globalisierungskritischen Gruppen wie auch bei thematisch orientierten Gruppen wie die Consommateurs International/ Consumers International, die beispielsweise gegen die Privatisierung der Wasserversorgung kämpfen, in Ghana wie in Lateinamerika.

Der Kampf gegen Handels- oder Dienstleistungsprivatisierung kann ein kontinentübergreifendes Ziel sein. Wie sieht es aber aus, wenn Produkte in Konkurrenz zueinander stehen. Bananen sind hier ein allseits bekanntes Thema...

Die Bananen sind wirklich ein trauriges Beispiel, wie sich Länder gegeneinander ausspielen lassen. Die Gruppe 77 hatte sich damals explizit auf die Fahnen geschrieben, dieser Logik nicht zu folgen, sondern gemeinsame Ziele wie den Süd-Süd-Handel auf der Basis einer anderen Ethik zu entwickeln, die nicht nur auf Gewinn, sondern auch auf Bedürfnisse ausgerichtet war und deswegen Instrumente wie Handelspräferenzen vorsah. Im Jahre 1988 wurde in diesem Sinne der TSCP-Vertrag (Trade Preferences among Developing Countries) geschlossen, der dann aber durch die Ereignisse im Zuge des Mauerfalls überholt wurde. Das war wirklich ein interessanter Ansatz, wie auch das Prinzip, eine eingehende Analyse der Auswirkungen von weiterer Handelsliberalisierung vorzunehmen, bevor Märkte geöffnet werden. 

Aber mit der Schaffung der Welthandelsorganisation wurden solche Ansätze vollkommen marginalisiert.
Meines Wissens war die erste Umsetzung des Prinzips Süd-Süd-Handel die Schaffung des Mercosur. Die derzeitige Stärkung des Handels zwischen dem Mercosur und Südafrika folgt ebenfalls dieser Logik. Sicher, Südafrika hatte nach dem Ende der Apartheid nicht nur ein anders gelagertes Interesse, sondern auch die wirtschaftliche Kraft für einen sinnvolleren interkontinentalen Handel.

Noch einmal zu den Bananen zurück. Stehen hier Länder oder Unternehmen gegeneinander?

An dem Beispiel kann man sehr gut eins ablesen: Je mehr der Handel liberalisiert wird – auf internationaler wie auf regionaler Ebene – desto ähnlicher sind sich die Eliten auf der ganzen Welt. Und desto mehr geben sie den Interessen multinationaler Unternehmen Vorrang vor dem Wohl der nationalen Entwicklung. Im Falle der Bananen wird derzeit der präferentielle Zugang kleinerer ProduzentInnen aus Afrika und der Karibik zum europäischen Markt abgebaut – in welchem Umfang genau ist im Moment noch eine Streitfrage auf der Ebene der WTO – aber die Richtung ist klar. Insbesondere die karibischen Inseln stehen hier vor einem Riesenproblem, da sie nie in der Lage sein werden, mit der Plantagenmassenproduktion in einigen lateinamerikanischen Ländern zu konkurrieren. 

Die Multis werden am Ende als Sieger aus dem Streit hervorgehen, aber die betroffenen Bevölkerungen sind auf jeden Fall die Verlierer. Und zwar unabhängig vom Produktionsstandort: Wenn die Quoten verschwinden, verliert der/die kleine ProduzentIn in Lateinamerika ebenso wie seinE KollegIn in der Karibik oder in Afrika, die PlantagenarbeiterInnen ebenso wie die Bevölkerungen der Länder allgemein.

Wie sehen die Besitzstrukturen in den afrikanischen Produzentenländern aus, eher klein wie in der Karibik oder von Multis dominiert wie in Kolumbien und Ecuador?

Die Elfenbeinküste und Kamerun sind am meisten betroffen. Sicher verlieren da als erste die KleinproduzentInnen, aber in Kamerun sind auch die Multis sehr präsent. Die wollen gerne den AKP-Bonus für ihre Plantagenproduktion beibehalten, was jedoch nicht im Sinne des Erfinders ist.

Ein weiterer aktueller Zankapfel, wenn man so will, ist der Zucker. Wie stehen da Afrika und Lateinamerika zueinander?

Nun, historisch gesehen stellte Afrika die SklavInnen auf den großen Zuckerplantagen in Lateinamerika und der Karibik...

Aktuell gesehen werden die Änderung der EU-Zuckerordnung und die Abschaffung von Quoten mit Garantiepreis vor allem die karibischen ProduzentInnen treffen. Als die größte Gefahr wird Brasilien angesehen, das mit der Möglichkeit gigantischer Exportmengen in die Offensive gehen und alle anderen ProduzentInnen wegfegen kann. Das Konfliktpotential zwischen Brasilien und den AKP-Ländern ist offensichtlich. Die absehbaren Auswirkungen der vorgeschlagenen Reduzierung des Garantiepreises mit kurzer Übergangszeit werden desaströs sein. Die meisten AKP-Länder widersetzen sich nicht grundsätzlich einer Reform des Zuckermarktes, aber sie verlangen Übergangszeiten, um ihre Ökonomien umzustellen.

Auch hier wäre es aber falsch, Länder mit Leuten gleichzustellen. In Brasilien sind es bestimmte Großunternehmen, die auf den europäischen Markt wollen; auch dort zählen die Folgen für KleinproduzentInnen und ArbeiterInnen wie auch für die Umwelt nicht. Wie bei den Bananen vertreten die Regierungen in der Zuckerfrage nicht vornehmlich ein Entwicklungsziel, die Diversifizierung ihrer Wirtschaft, sondern den Profit einer bestimmten Fraktion der Wirtschaft.

Wie werden sich die Beziehungen zwischen beiden – oder den drei, wenn man will – Regionen im Zuge der Schaffung der EPAs, den zur Zeit verhandelten Regionalabkommen Post-Lomé und Post-Cotonou, entwickeln?

Das wird Konkurrenz pur sein. Mit den EPAs wird endgültig das Tor für den Einfall der Multis auf allen Ebenen aufgestoßen. Im Gegensatz zu den früheren Abkommen mit den AKP-Staaten setzt die EU bei den EPAs den Akzent vollkommen auf die Marktöffnung und die Liberalisierung. Die vormalige Logik des präferentiellen Zugangs ist verschwunden. So fragwürdig sie mit ihrem kolonialen Hintergrund und auch vielfach in der Praxis war, immerhin hat sie bestimmte Räume für Entwicklung und Kooperation eröffnet, die jetzt ersatzlos wegfallen. Man kann absehen, dass sich die Multis entsprechend ihrer Bedürfnisse die Märkte absichern werden. Das wird soziale und Umweltauswirkungen haben, die die Leute, die dort leben, bezahlen müssen.

Das Ziel der EU-Politik in Bezug auf die AKP-Länder ist die uneingeschränkte Marktöffnung, und der Hebel dazu ist das Aufbrechen jedweder gemeinsamer Verhandlungs- und überhaupt Handlungsfähigkeit seitens der AKP. Statt einem Abkommen wird es sechs geben. Mit der Karibik, den Pazifikstaaten und den vier Regionalblöcken in Afrika wird jeweils separat verhandelt. Jeder wird so gegen jeden in Stellung gebracht. Der ehemalige Handelskommissar Poul Nielson hat es klipp und klar gesagt: „Die sechs Regionen, mit denen wir verhandeln, müssen wissen, dass sie in Konkurrenz zueinander stehen. Da heißt es, sich ordentlich schlagen oder untergehen.“ Mit anderen Worten, wer schwach ist, zieht den Kürzeren – und die Bevölkerung hat auf jeden Fall Pech gehabt, egal ob in der Karibik oder in Afrika.

Da bleibt für Süd-Süd-Perspektiven kein Platz?

Meines Erachtens wird alles gleichgebürstet. Der Bruch verläuft weniger zwischen Kontinenten als zwischen starken und schwachen „Marktteilnehmern“. Die starken Ökonomien werden sich die Rosinen, soweit es sie gibt, aus den schwächeren Märkten herauspicken, wenn es dort keine legalen Beschränkungen mehr gibt. Man kann jetzt schon sehen, dass Multis südafrikanischen Ursprungs in andere afrikanische Staaten investieren, und ich habe auch von Plänen dieser Multis für Lateinamerika gehört.

Investitionen führen zu Verschuldung. In Lateinamerika ist die Verschuldungsfrage sehr virulent, in der Karibik und Afrika ist das ähnlich. Weißt du von gemeinsamen Initiativen in Bezug auf Schulden und Schuldenstreichung?

Nun, ein positiver Aspekt der Globalisierung ist die technische Möglichkeit zur Kooperation. Die vor einigen Jahren lancierte Initiative zur Schuldenstreichung ist in vielen Ländern aufgenommen worden. Umgekehrt haben sich lokale Initiativen zur Schuldenstreichung und demokratischen Kontrolle der Finanzen und des Handels weltweit zu Netzwerken zusammengetan. Die globale Zusammenarbeit oder, wenn man so will, in unserem Falle diejenige zwischen Afrika und Lateinamerika, spielt sich vor allem auf dieser Ebene von Netzwerken und sozialen Bewegungen, die zu den gleichen Themen arbeiten, ab. In Afrika hat sich da in den letzten Jahren sehr viel getan, immer auch im Austausch mit gleichgesinnten Gruppen anderswo, sei es in Bezug auf die Frauenfrage, Umwelt, KonsumentInnen, Schuldenstreichung, Handelsfragen. Da sieht man, wie ein neues Bewusstsein Raum greift, das macht Hoffnung.

Du beziehst dich auf soziale Bewegungen und auf thematisch orientierte Aktionsgruppen. Wie sieht das auf der Ebene von Regierungen aus?

Da sehe ich wenig Mutmachendes. Regierungen verteidigen sehr oft die Interessen von großen Unternehmen. Jede will die andere unterbieten, um Investitionen anzuziehen: Senkt die eine einen Zoll, senkt die andere noch eine Auflage. Als ob das Entwicklung brächte! Sicher, in Südafrika gibt es alternative Bewegungen, die gegen den herrschenden Diskurs und die herrschende Politik angehen, aber die aktuelle Regierung unter Mbeki gibt keinen Grund zu Optimismus. Wenn man sich die beiden größten Wirtschaftspotenzen beider Regionen ansieht, Südafrika und Brasilien, und die himmelschreienden sozialen Ungleichheiten innerhalb beider Länder ansieht, weiß man, wohin die Reise geht, wenn Politik nur im Namen von Konzernen gemacht wird. Umgekehrt entstehen dort aber auch Bewegungen, die opponieren und zunehmend kontinentübergreifend Allianzen suchen.

Wie werden sich deiner Meinung nach in den kommenden Jahren die Kräfteverhältnisse oben und unten entwickeln, wo die EU dabei ist, allenthalben neue Abkommen auszuhandeln?

Schwer zu sagen. Einerseits gibt es kaum eine Regierung, die letztendlich nicht bis zu einem gewissen Grad reine Konzerninteressen vertritt. In dieser Logik regiert allein der Konkurrenzgedanke: Je mehr ich anbiete, desto mehr kann ich Investoren an mich ziehen, die wiederum der Entwicklung förderlich sind. Aber wenn demokratische Regime, die, wie soll ich sagen, „patriotisch“ gesinnt und bereit sind, die negativen Auswirkungen der profitgeleiteten Globalisierung in den Griff zu kriegen, könnten sie eine Kraft sein, die die Dominanz der neoliberalen Kräfte des Nordens in die Schranken verweist. Aber soweit sind wir noch nicht.

Numerisch oder wirtschaftlich und politisch gesehen?

Auch wirtschaftlich. Wenn es einen gut organisierten Widerstand gibt. In Cancún hat man ja gesehen, wie weit das gehen kann. Wenn die Länder organisiert sind und eine gut fundierte gemeinsame Position haben, sind sie in der Lage, die herrschende Ideologie vom Platz zu stellen. Aber wenn ich mir die derzeitigen geschwächten Regierungen in Afrika ansehe, mit den Strukturanpassungsprogrammen, der Schuldenlast, den fehlenden Staatseinnahmen, um was auch immer zu bezahlen, dann ist klar, dass sie stets die Hand spüren, die ihnen an die Gurgel geht, so dass sie alles akzeptieren. Irgendwann müssen sie es schaffen, nein zu sagen. Der Widerstand beginnt, wenn man ohnehin nichts mehr zu verlieren hat. Seit fünf, sechs Jahren sehe ich, wie die sogenannte Zivilgesellschaft in Afrika stärker wird, dass sie immer erfahrener agiert, an die Regierungen mit dezidierten Forderungen und Analysen herantritt. Daraus ist natürlich noch keine Interaktion geworden, damit die Politik wirklich anders werden kann, aber es ist ein Anfang.

Das Interview führte Gaby Küppers am 13. November 2005.