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Uruguay rockt

Zwei neue CDs vom Río de la Plata

Jetzt ist er vorbei, der Karneval. Fasten ist angesagt, noch mal die Zähne zusammenbeißen und die letzten Kältewochen durchstehen. Im Rheinland wird die Zeit zwischen dem 11. 11. und Aschermittwoch auch „fünfte Jahreszeit“ genannt. Zwei Veröffentlichungen des Labels Übersee Records rahmen nun diese Jahreszeit ganz hübsch ein:  „El cuarto de la abuela“ von Abuela Coca erschien am 11. 11. 05, „Aunque cueste ver el sol“ von No Te Va Gustar am 17. 2. 06. Aber dessen sind sich wohl die Labelmacher aus dem hohen Norden (Hannover) kaum bewusst. In Uruguay hingegen ist Karneval ein wichtiges Ding. Und von dort kommen auch unsere beiden Bands des Tages.

Britt Weyde

Abuela Coca gibt es bereits seit 1991 (damals hießen sie noch Los Asesinos de la Abuela Coca – „Die Mörder der Koks-Oma“), spätestens seit ihrer zweiten CD „Después te explico“ (Sony Argentinien, 1998) gehören sie zu den bekanntesten und beliebtesten Bands des kleinen Landes. 2004 und 2005 konnten sie auch in Europa live überzeugen. Ihren Stil bezeichnen sie selbst als Tuco: Eine Spaghettisoße auf Tomatenbasis mit Zwiebel-, Paprika- und Möhrenwürfelchen. Sehr uruguayisch, weil bescheiden und nett. Die Band möchte damit auf den Mischcharakter ihres Stils anspielen, in dem neben Rock, Reggae, Ska, angejazzten oder karibischen Versatzstücken auch ur-uruguayische (und karnevalistische!) Stile wie Candombe und Murga vorkommen. Ihre letzte Platte „El cuarto de la abuela” ist im Vergleich zu früheren Werken allerdings recht rocklastig. Ein Latino-Rock, der mit schönen Bläsersätzen daherkommt, manchmal als relaxter Reggae einen Gang runterschaltet, Querflöte und Dudelsack zart einbettet und (leider) nur dezent das perkussive Element in Form von Rumba oder Candombe einfließen lässt. Zum Reinhören empfehlen sich das nette Reggaestück „A eso voy“, das rockige „Mambru“, in dem der für den Río de la Plata so typische schlachtgesangartige Refrain nicht fehlen darf, oder „Derrocha“, dessen gerappte Parts ein wenig an „Dame el Power“ von Molotov erinnern. 

In Uruguay – und mittlerweile auch Argentinien – füllen sie die größten Stadien: No Te Va Gustar. Zurzeit touren die sieben Musiker mit dem jungenhaften Charme zum zweiten Mal durch Deutschland und stellen ihre dritte CD vor. Mit einer ruhigen Ballade beginnt diese Platte, die den depressiven Titel „Aunque cueste ver el sol“ („Auch wenn es schwer fällt, die Sonne zu sehen“) trägt. Passt doch ganz gut zur Fastenzeit. Aber der erste Eindruck täuscht. Auch NTVG mögen's rockig, besonders wenn über vergangene Lieben gesungen wird. Ebenso sind drei Reggae-Tracks am Start. Doch so richtig umwerfend sind die langsamen Stücke – diese einmaligen Melodiebögen können nur echte Chefmelancholiker vom Río de la Plata zustande bringen! „Al vacío“ oder „Difícil“ z.B., zwei Balladen zum Feuerzeugschwenken. Oder „Cielo de un sólo color“, in dem die Rockballade mit Akkordeon, Reggaegitarre und Murga-Chor flirtet. Schließlich „Ni uno suelto“, das am eindeutigsten die Verortung in der südamerikanischen Folklore wagt. Absolutes Hitstück, das auch netterweise den politischsten Text aufweist, ist jedoch „Fueron“: Die einfach nur großartige Percussion und der Gesang erinnern daran, dass Uruguay neben Brasilien liegt und Karneval wie gesagt ein wichtiges Ding ist.

Abuela Coca, „El cuarto de la abuela“, Übersee Records, V.Ö.: 11.11.05

No Te Va Gustar, „Aunque cueste ver el sol“, Übersee Records, V.Ö.: 17.2.06