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Eine etwas größenwahnsinnige Idee

Karawahnsinn2007 kreuz und quer durch Europa

Kaum ein Impuls der Zapatistas, der nicht auch von hiesigen AktivistInnen aufgenommen und weitergesponnen wird – so auch im Fall der „Anderen Kampagne“. Nächstes Jahr soll der so genannte Karawahnsinn durch Europa tingeln – mehr dazu erzählt uns Jan Klein von der Vorbereitungsgruppe

Jens Binder

Karawahnsinn – kannst du uns verraten, was hinter dieser Idee steckt?

Karawahnsinn haben wir das Projekt zumindest vorläufig getauft, weil es uns zu Anfang – und eigentlich auch immer noch – ziemlich größenwahnsinnig vorkommt. Dahinter steht die Idee, dass wir, die wir etwas am Zustand dieser Welt verändern wollen, uns dringend darüber austauschen müssen, wie wir das machen wollen. Und dass wir diesen Austausch und diese Diskussionen wesentlich breiter führen müssen, als das zumindest in unserem Umfeld bisher geschieht. Die Idee, wie wir das erreichen wollen, besteht aus drei Teilen: Zum einen ist unser Vorschlag, eine Reihe von Festival-Treffen quer durch Europa zu organisieren. Festivals, die sowohl Kultur in einem politischen Kontext bieten, wie auch Räume darstellen, in denen eben dieser Austausch Platz hat und stattfindet. Der zweite Teil besteht in einer Art Karawane, die sich aus Menschen, Gruppen und Kollektiven zusammensetzt, die an Teilen dieser Festivalreihe teilnehmen, sich aber zwischen den einzelnen Treffen möglichst nicht als Tross fortbewegen. Stattdessen sollten sie in die Breite gehen, ihre eigenen Wege suchen, Kontakt aufnehmen, ihre Fragen und Diskussionen mitnehmen. Zu den Treffen hin laufen die Wege dann wieder zusammen und können einen neuen Knotenpunkt des Austausches bilden. Der dritte Teil schließlich besteht aus einer europaweiten Consulta, also Befragung. Die Vorstellung dabei ist, vier, fünf grundlegende Fragen auszuarbeiten und diese während des gesamten Projektes mit zu tragen und möglichst vielen Menschen zu stellen. Dabei sollten die Fragen universell genug sein, um in den verschiedenen Ländern und unter den verschiedenen Lebensbedingungen treffend zu sein und gleichzeitig kontrovers genug, um Stoff und Anregung für Diskussionen zu liefern. Das ist die Idee, ganz kurz dargestellt....

Wie hat sich diese Idee bis jetzt entwickelt?

Die Idee wurde im letzten November geboren, da waren es drei Menschen, die vereinbarten, diese Sache anzuschieben. Inzwischen gibt es einen Kreis von etwa zwanzig Personen, die mehr oder weniger aktiv das Projekt vorantreiben. Es gibt seit Januar einen Aufruf, der mittlerweile in sieben europäische Sprachen und in Farsi übersetzt wurde und noch weiter übersetzt und fleißig verbreitet wird. Die Vorbereitungsgruppe für die Fahrradkarawane zum G8 in Heiligendamm sieht ihre Tour als Teil des Karawahnsinns. Wir haben erste positive Rückmeldungen aus Frankreich, England und der Schweiz. In Deutschland hat sich das Ya-Basta-Netz für die Idee begeistern lassen und wird an der Vorbereitung mitwirken. Zum jetzigen Zeitpunkt würde ich sagen, es lässt sich ganz gut an. Trotzdem steht und fällt das Projekt natürlich damit, wie weit sich mehr Menschen einbringen, Zeit und Energie investieren. In ein paar Monaten werden wir sehen, wie weit sich die Geschichte unserer größenwahnsinnigen Idee annähert oder wie weit wir das eventuell runterbrechen müssen. 

Du sagst, das Ya-Basta-Netz ist dabei, und auch sonst scheint es einigen Bezug zu den Zapatistas zu geben. Was hat es damit auf sich?

Das ist richtig. Schon der erste Impuls kam sozusagen aus Chiapas. Im August hatten die Zapatistas nach der Veröffentlichung der „Sechsten Erklärung aus der Selva Lacandona“ zu einer Reihe von Treffen eingeladen. Auf einem dieser Treffen wurde von verschiedenen Menschen aus der Stadt vereinbart, im Jahr 2007 eine Karawane durch Mexiko durchzuführen, auch um die „Andere Kampagne“ voranzutreiben. Auf diesem Treffen war auch eine Compañera aus Deutschland dabei, die dann mit der Idee zurückkam, diese mexikanische Karawane durch eine europäische zu ergänzen. Hier sind dann zunächst die hiesigen Aspekte in den Vordergrund gerückt und der Bezug auf das G8-Treffen, da wir das auch als eine Gegenbewegung zum Treffen dieser selbsternannten Chefs der Welt sehen. Mit dem Einstieg des Ya-Basta-Netzes kam dann der Vorschlag auf, den Karawahnsinn in seiner Gesamtheit als Vorbereitung des nächsten interkontinentalen Treffens zu sehen, oder auch als Teil davon. Das wird gerade im europäischen Netzwerk diskutiert. 

Und wenn ich lese, wie die Zapatistas die Ziele ihrer „Anderen Kampagne“ beschreiben, so finde ich darin Formulierungen, die auch unsere Ideen hinter dem Karawahnsinn ziemlich gut treffen. Wir wollen uns auf die Suche machen, nach dem anderen Europa, nach dem Europa von unten, nach dem Europa der Widerständigkeiten. Auch für uns ist es zentral, ein würdiges Leben für Alle zu ermöglichen, und zwar unabhängig davon, wo und als was sie geboren werden. Die Umstände und Hintergründe unserer Leben und Kämpfe unterscheiden sich natürlich fundamental voneinander. Aber in diesem Bestreben danach, die Dinge zu ändern, auf eine menschliche Weise zu ändern, darin stehen wir auf der gleichen Seite. Und somit steckt wahrscheinlich auch einiges an zapatistischem spirit im Karawahnsinn.

Das Interview führte Jens Binder im März 2006.

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