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Das Gesetz aus der Autowerkstatt

Ernesto Krochs Engagement im Barrio Sur

Nach Ende des Zweiten Weltkriegs wollte Ernesto Kroch zunächst nach Deutschland zurückkehren, in die Sowjetische Besatzungszone, um am Aufbau des Sozialismus mitzuarbeiten. Doch er erhielt vom sowjetischen Konsulat in Montevideo kein Visum. So entschied er, in Uruguay zu bleiben. Natürlich blieb er politisch aktiv, in der Metallarbeitergewerkschaft und in der Kommunistischen Partei, der er kurz nach dem Krieg beigetreten war. Als produktivsten Teil sein politischen Arbeit in den fünfziger Jahren beschreibt er in seiner Autobiografie sein Engagement im „Comité Popular del Barrio Sur“, einem Komitee, in dem BewohnerInnen dieses zentrumsnahen bescheidenen Stadtteils mit Mitgliedern verschiedener linker Parteien und ArchtitekturstudentInnen für die Verbesserung ihrer prekären Wohnverhältnisse kämpften. Einer der Studierenden war damals Miguel Piperno, der sich im folgenden Text an diese Arbeit und die Rolle Ernestos im Komitee erinnert.

Miguel Piperno

Wir schreiben das Jahr 1956. Das ist 50 Jahre her! Eine Gruppe von BewohnerInnen des Barrio Sur in Montevideo sucht im Zentrum der ArchitekturstudentInnen Unterstützung und Rat. Sie haben große Probleme in ihrem Stadtteil: heruntergekommene Wohnungen und infolgedessen Zwangsräumungen von Familien mit geringem Einkommen. Das studentische Gremium nimmt die Herausforderung sofort an, und zusammen mit anderen GenossInnen, die heute leider schon verstorben sind, wurden wir dazu ausgewählt, eine Aufgabe zu übernehmen, von der wir nur die allgemeine Problemlage, aber keine konkreten Zielsetzungen kannten. 

Das Comité Popular del Barrio Sur traf sich in einer Autowerkstatt, deren Wachmann gleichzeitig Generalsekretär eben jenes Komitees war. An unserem ersten Abend kamen wir zu dieser Autowerkstatt, wo wir auch zum ersten Mal auf Ernesto Kroch trafen. Er war nicht direkt ein sympathischer Typ, der schnell lächelt, weshalb er uns einen gewissen Respekt einflößte. Unsere Teilnahme an den fast täglich stattfindenden Treffen des Komitees bezog uns immer mehr in die Aktivitäten mit ein – ganz gleich, ob sie etwas mit dem Wohnungsproblem, das uns am Anfang zusammengebracht hatte, zu tun hatten oder nicht. Aufgrund dieses Kontakts mit den Mitgliedern des Komitees sowie mit einer großen Anzahl von NachbarInnen begann die Sympathie zwischen uns zu wachsen. Die Figur Ernesto swurde dabei immer wichtiger. Nicht weil er ein leidenschaftlicher Redner war oder ein „Führer“ der Massen – im Gegenteil, er hielt sich eher bescheiden zurück. Aber er arbeitete unermüdlich und seine Argumente hatten Hand und Fuß.

Er war für das geschriebene Wort des Komitees zuständig, der Redakteur der Manifeste, der die Korrespondenz mit allen Behörden und die Pressearbeit machte. Uns überraschte immer wieder die Klarheit seiner Konzepte und die Sorgfalt, mit der er sie untermauerte. Zu dem Zeitpunkt hatten wir bereits erkannt, dass hinter der barschen Fassade ein sehr warmherziges menschliches Wesen hervorschimmerte. Schnell konnten wir uns duzen.

Ein einfaches Beispiel: Eine beeindruckende Mobilisierung im Barrio Sur forderte ein bestimmtes Wohnungsbauprogramm fürs Viertel und befand sich bereits auf ihrem Höhepunkt, es fehlte nur noch ein Gesetzesvorschlag. Dafür suchten wir die Unterstützung des damaligen Dozenten unserer Fakultät, des vor kurzem verstorbenen Dr. José C. Williman. Nach ein paar Treffen zwischen dem Komitee und jenem Rechtsanwalt machte sich Ernesto daran, auf eigene Faust dieses „Gesetzesvorhaben“ auszuarbeiten. Auf seine bescheidene Art zeigte er Dr. Williman seinen Vorschlag. Der Anwalt, ein hervorragender Vertreter seines Fachs, stellte überrascht fest, dass Ernestos Vorschlag nicht mehr verändert werden musste, da er seiner Meinung nach perfekt war. Sogar vor zwei Jahren noch, als wir Williman zur Feier der vierten Auflage des Buches über das Barrio Sur einluden, erinnerte er sich zutiefst beeindruckt daran, dass Ernesto damals das Gesetz entworfen hatte, das schließlich vom Parlament beschlossen wurde.

Seine schriftstellerischen Qualitäten, die er in der Arbeit für das Komitee zeigte, bestätigten sich ohne Zweifel in seinem autobiografischen Buch, das ich mit Vergnügen las.

Zu Ehren seines 90. Geburtstages dienen diese Erinnerungen – an eine Etappe seines Lebens, eines Lebens voller Erfahrungen, Leiden und Hoffnungen.

Seit dem Regierungswechsel in Uruguay im Jahr 2005 ist Miguel Piperno Präsident der staatlichen „Banco Hipotecario del Uruguay“, die Wohnbaukooperativen mit zinsgünstigen Krediten unterstützt. – Übersetzung: Britt Weyde