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Die Spektren stimmen sich ab

Proteste und Akteure der Gipfelproteste in Heiligendamm

Verwirrend und unübersichtlich, vielfältig und bunt oder einfach nur so zufällig? Auf den ersten Blick könnte es scheinen, als ob es das wichtigste Konzept des Gipfelprotestes wäre, kein (gemeinsames) Konzept zu haben. Im Folgenden begründet Werner Rätz, der für attac und die ila im Vorbereitungskreis der Großdemo am 2. Juni mitarbeitet, warum das Chaos eine Produktivkraft sein kann.

Werner Rätz

Schon sehr früh, noch im Jahr 2005, entstand unabhängig voneinander an drei politischen Orten in der Bundesrepublik das Bedürfnis, sich auf Aktionen zum G8 2007 in Deutschland einzustellen. Der eine Ort war das internationale dissent-Netzwerk, der andere deutsche Nichtregierungsorganisationen und der dritte attac. Alle drei bezogen sich dabei auf die Erfahrungen des Gipfels von 2005 in Gleneagles, Schottland. Dort hatte die von wenigen großen Nichtregierungsorganisationen (Christian Aid, Oxfam) dominierte Kampagne „make poverty history“ eine beeindruckende Mobilisierung erreicht. Über 200.000 Menschen hatten an Demonstration und Live-Aid-Konzert zugunsten eines umfassenden Hilfsprogramms für Afrika teilgenommen, und dennoch stahl ihnen der offizielle Gipfel die Schau, indem er einen angeblich „historischen“ Schuldenerlass verkündete, der sich bei näherer Betrachtung als Mogelpackung und leeres Versprechen entpuppte.

Einige eher dem link(sradikal)en Spektrum zugehörige Gruppen und Organisationen in Großbritannien hatten ein solches Ergebnis befürchtet und selbstständig mobilisiert. Sie waren öffentlich wenig zur Kenntnis genommen worden und fühlten sich auch von den NRO an den Rand gedrängt. In Deutschland wollten sie sichtbarer sein. 2005 hatte es noch weitere eigenständige Mobilisierungen gegeben und auch diese Spaltung wollten viele zukünftig vermeiden.

Trotz dieser übereinstimmenden Absichten entstanden für Heiligendamm 2007 erst einmal zwei Diskussionsorte, die eher einer politischen Strömungslogik folgten und nur einen Teil der GipfelkritikerInnen umfassten, das Netzwerk „dissent plus x“ sowie die „NGO-Plattform“. Von Anfang an gab es personelle Überschneidungen: Vor allem Gruppen und Personen aus attac Deutschland und der Interventionistischen Linken, einem neuen Zusammenhang von autonomen und anderen linksradikalen Gruppen und AktivistInnen, arbeiteten in beiden Strömungen mit. Gleichzeitig betrieben sie gemeinsam mit anderen den Aufbau einer dritten Plattform, die inzwischen als „G8-Koordinierungskreis“ der Ort ist, wo sich die meisten Strömungen treffen und zumindest rudimentär abstimmen. Eine Reihe NRO und dissent-Gruppen, die verschiedenen Akteure aus der Friedensbewegung und aktionsorientierte kirchennahe Netzwerke nehmen dort ebenso teil wie das lokale Rostocker Bündnis und die Linkspartei. Auch einige weitere, politisch enger gefasste Bündnisse beteiligen sich an den Beratungen.

Die beiden anderen Kreise dürfen nicht als politisch homogen verstanden werden, sondern sie stellen in ihren Zusammenhängen ebenfalls Versuche dar, unterschiedliche Ansätze und Praxen miteinander ins Gespräch zu bringen. Im Netzwerk „dissent plus x“ geht es dabei weitgehend um basisdemokratische Organisierungsprozesse und um den Ausdruck klarer Ablehnung und politischer Konfrontation gegen die durch die G8 repräsentierte Politik. Einige der Beteiligten fühlen sich dabei dem internationalen Netzwerk Peoples' Global Action verbunden. Die Vielfalt von Aktionsformen und die selbstbestimmte Entscheidung über die eigene Praxis sind bedeutsam. Fast nur in diesem Zusammenhang sind antirassistische und migrantische Gruppen aktiv.

Organisationen aus der NGO-Plattform haben in unterschiedlicher Zusammensetzung im Vorfeld der Gipfelmobilisierung eine Serie von Veranstaltungen zu inhaltlichen Themen organisiert. Nur in einem Fall, beim Thema globale soziale Rechte, ging es den Initiatoren dabei um eine mögliche (zukünftige) gemeinsame Praxis. In der Regel war das Anliegen die öffentliche Präsentation von Inhalten und der Versuch, diese so zu platzieren, dass sie Regierungshandeln beeinflussen könnten. Ausdruck dieses Bemühens ist auch eine gemeinsame Großveranstaltung der Plattform mit der Bundesregierung im April in Bonn. In einem Grundsatzpapier stellen 42 NRO die „Glaubwürdigkeit der Mächtigen auf den Prüfstand“ und fordern sie auf, „konkret für Umwelt und Entwicklung (zu) handeln“.

Der G8-Koordinierungskreis ist erheblich breiter als die beiden anderen. Notgedrungen sind die Übereinstimmungen dort deshalb oft weitgehend auf Aktionsabsprachen beschränkt und politische Bindung wird eher über die einzelnen Aktivitäten, die aus diesem Kreis heraus angestoßen und verantwortet werden, entfaltet. Dabei dürfte die Großdemonstration am 2. Juni die meiste Unterstützung hinter sich versammeln. Hier sind auch am deutlichsten internationale UnterstützerInnen auszumachen, von einigen Dutzend ErstunterzeichnerInnen des Demonstrationsaufrufes bis hin zu konkreter Mobilisierung durch Gruppen des griechischen Sozialforums, der italienischen Kommunistischen Jugend oder der dänischen Rot-Grünen Allianz. In Deutschland sind hier auch große Teile der Gewerkschaftsjugend mit im Boot, einige große Umweltverbände (Greenpeace, Robin Wood) und praktisch die gesamte Linke in allen ihren Strömungen. Dennoch gibt es Differenzen und unterschiedliche Einschätzungen: Während führende Grüne den Aufruf nicht unterschreiben mochten, weil er die Kriegstreiberrolle der G8 überpointiere, haben Teile der Friedensbewegung einen eigenen Text geschrieben, weil ihnen die Kriegsfrage nicht genügend im Zentrum des Aufrufs stand.

Dieser Versuch, das eigene Thema zentral in den Protesten zu platzieren, ist bei vielen Akteuren spürbar, und das ist ja auch legitim. Dennoch hat die Kooperationsbereitschaft und -fähigkeit seit dem letzten G8 in Deutschland (Köln 1999) erfreulich zugenommen. Das zeigt sich auch in der sehr breiten Trägerschaft des Alternativgipfels, die auch eine Reihe von aktionsorientierten Gruppen umfasst, die fast zeitgleich zu Blockaden am Zaun um den Tagungsort aufrufen. Was als Konkurrenz hätte missverstanden werden können, wird so in ein solidarisches Verhältnis zueinander gesetzt. In mehreren Blockadeaufrufen versuchen gleichzeitig Gruppen aus dem eher linken und aktionsorientierten Spektrum, die Vertrauensbasis für neue Protestformen aufzubauen.

Neben diesen größeren Koordinierungsplattformen gibt es zahlreiche weitere Akteure. Wichtig für die Region und für die Größe der Mobilisierung ist die Linkspartei, was vielen im Westen ein neues Verständnis von politischer Zusammenarbeit abverlangt. Schließlich war die reformorientierte Linke hier zwei Jahrzehnte lang auf rot-grün ausgerichtet. Die Kirche ist zwar in Mecklenburg-Vorpommern ein zweitrangiger Akteur, hat sich aber sehr intensiv und sehr solidarisch in die Gipfelkritik eingebracht, auch wenn sie eher eigenständig als im Bündnis agiert.

Herauszuheben ist die Rolle von attac und der Interventionistischen Linken, die beide sehr früh und sehr eindeutig auf größtmögliche Gemeinsamkeiten in den Protesten orientiert haben. Dabei verbindet sich in der IL damit durchaus nicht nur ein Verständnis von politischer Breite als Wert an sich, sondern eine strategische Option. Eine erfolgreiche, große, von gegenseitigem Respekt getragene Massenmobilisierung in Deutschland könnte dazu führen, dass Fragen breiter diskutiert würden wie die, wie wir denn eigentlich leben und arbeiten wollen in der anderen Welt, die ja möglich sein soll. Und da, so wird die Überzeugung geäußert, würden linke, emanzipatorische Antworten auf diese Fragen überzeugender sein als alle anderen.

Infos zur Großdemo und Linkliste zu den Aktionstagen und dem Alternativgipfel:
http://www.heiligendamm2007.de