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Festung Amerikkka

Neues zur Grenzbefestigung

Spätestens seit Beginn des 19. Jahrhunderts ist die Arbeitsmigration eine wesentliche Voraussetzung für die Entwicklung der Vereinigten Staaten, für ihren Aufstieg zur Weltmacht, für ihre Kriege – und immer auch eine Quelle heftiger gesellschaftlicher Auseinandersetzungen. Seit 9/11 ist die Auseinandersetzung angstbesetzt: Die Südgrenze des Landes soll unkontrolliert geworden sein und inmitten der Gesellschaft ein Schattenreich von 12 Millionen aliens existieren. Gemeint sind die Menschen ohne Papiere, von denen zur Zeit schätzungsweise 12 Millionen in den USA leben, „illegal“, „unauthorized“, „undocumented“, wie sie je nach politischer Couleur genannt werden. Weil unter dem Stichwort „umfassende Reform der Einwanderungsgesetze“ seit 2003 der Worte bereits viele gewechselt worden sind und der kurz vor Ende seiner Amtszeit und damit am Eingang zur Geschichte stehende Präsident Bush Taten sehen will, hat sich die Debatte Mitte Mai belebt.

Eduard Fritsch

In den letzten Jahren sind sich die parteipolitischen Lager immer wieder über einen Punkt einig geworden: Die fast 10 000 km lange Südgrenze zu Mexiko muss gesichert werden, indem man sie zu einem modernen Limes gegen den Ansturm der BarbarInnen macht. Als ab Ende 2005 die BefürworterInnen von Deportationen und „Gastarbeiter“-Programmen – das Antimigrationslager – und die VerfechterInnen von Legalisierungen – das Promigrationslager – im US-Kongress hart aufeinander stießen, ein Kompromissvorschlag im Senat im Vorfeld der November-Wahlen 2006 (Teilwahlen für Senat und Repräsentantenhaus) versandete, blieb von der umfassenden Reform zunächst nur das Grenzsicherungsgesetz (Secure Fence Act) vom 26. Oktober 2006 übrig (zu der ihm zu Grunde liegenden Secure Border Initiative von Präsident Bush vgl. ila 296). Fast zeitgleich bekam Boeing vom zuständigen Ministerium für Heimatschutz (Department of Homeland Security, DHS) einen ersten Vertrag über mehr als zwei Milliarden US-Dollar für die Aufrüstung des „sicheren Zaunes“ mit Kriegstechnik. Damit hat Boeing, zu dessen Großkunden mit einem Auftragsvolumen von über 20 Milliarden US-Dollar (2006) die Bush-Regierung zählt, seine Konkurrenten im militärisch-industriellen Komplex ausgestochen und ist gut aufgestellt bei der Wacht am Río Grande. 

Der Präsident ist damit zufrieden. Als er am 9. April in Yuma, Arizona, auftauchte, um sein Credo vom Grenzschutz als „einem wesentlichen Bestandteil einer umfassenden Einwanderungsreform“ zu verkünden, konnte er schwadronieren: „Als ich hier auf dem Flughafen landete, war das erste, was ich sah, ein unbemanntes Luftfahrzeug. Das ist ein raffiniertes Stück Ausrüstung. Man kann es vom Innern eines Lastwagens aus steuern und sehen, wie sich Leute in der Nacht bewegen.“ Er hatte sich auf den ersten Blick in eine Predator-Drohne verliebt. Die Kosten für die Grenzaufrüstung werden auf ca. acht Milliarden US-Dollar geschätzt. Genaue Berechnungen gibt es nicht und das DHS räumt ein, dass es „immer noch keine ganz befriedigende Methode hat, um festzustellen, ob ein Grenzabschnitt als unter Kontrolle betrachtet werden kann.“ Auch Boeing pflegt es nicht so genau zu nehmen. 2005 musste sein damaliger oberster Finanzmanager wegen Bestechung für einen Pentagon-Auftrag hinter Schloss und Riegel. Die Politologin Frida Berrigan kommentiert: „Bei der Militarisierung der Grenze geht es aber um mehr als Rechungsprüfung ... Der Präsident muss lernen, dass die Grenze kein Kriegsgebiet ist. Mexikaner sind keine Kombattanten und Militärausrüster sind nicht die Lösung“. „Gibt es für Bush noch nicht genug Tote in der Wüste?“, fragt lapidar eine mittelamerikanische Migrantin auf dem Weg durch Mexiko. Und die am 3. November 2006 in Montevideo beim Iberoamerikanischen Gipfel versammelten 22 Außenminister, darunter auch der spanische, erklärten (unbeschadet der EU-Grenzbefestigungen zwischen Marokko und dem spanischen Territorium Melilla), dass sie den „Mauerbau für eine Praxis halten, die unvereinbar ist mit guten Nachbarschaftsbeziehungen und guter Zusammenarbeit zwischen Staaten.“ 

Gleich nach der Border Security sind „Gastarbeiterprogramme“ das liebste Kind des Präsidenten und seiner Republikanischen Partei. Kein Wunder, sind doch MigrantInnen mit befristeten Einreise- und Arbeitserlaubnissen die ideale industrielle Reservearmee, für edle Hightechjobs ebenso wie für unqualifizierte Billiglohnarbeit. Weil aber bereits 12 Millionen „nicht autorisierte“ MigrantInnen im Land sind, gibt es neben den Betroffenen selbst in den USA auch Promigrations-Kräfte, die für definierte Wege zu unbefristeten Aufenthaltserlaubnissen und Einbürgerungen streiten. Damit ist das Feld für die US-Migrationsdebatte in der zweiten Amtszeit von Georg W. Bush abgesteckt. 

Im Dezember 2005 lancierten beide Lager ihre Gesetzesinitiativen. Der Vorschlag des Republikanischen Abgeordneten Jim Sensenbrenner, der 1100 km neue Befestigungsanlagen vorsah und die Einreise ohne Papiere sowie die Beihilfe dazu zu schweren Verbrechen machen wollte, schlug wie eine Bombe ein, die er denn auch war. Gleichwohl verabschiedete ihn das damals noch von den Republikanern kontrollierte Repräsentantenhaus mit deutlicher Mehrheit. Die Senatoren Ted Kennedy (Demokrat) und John McCain (Republikaner) schlugen ihrerseits ein Gesetz für ein „Sicheres Amerika und eine geordnete Migration“ vor. Als Initiative aus beiden Parteien und von vorne herein als Kompromiss angelegt, war es kein radikaler Gegenentwurf zu Sensenbrenners Machwerk. Es wurde aber zur Grundlage eines weiteren Gesetzentwurfes „für eine umfassende Einwanderungsreform“, den der Senat im Mai 2006 verabschiedete. Dann begann der Wahlkampf für die Zwischenwahlen im November 2006 (vgl. ila 297). Erst im April 2007 unternahmen die Abgeordneten Luis Gutiérrez (Demokrat) und Zoe Lofgren (Republikanerin) einen neuen Anlauf, dieses Mal im Repräsentantenhaus. Ihr Gesetzesvorschlag für „Sicherheit durch regulierte Immigration und eine kraftvoll pulsierende Wirtschaft“ enthält alle Elemente: Grenzsicherung, Sanktionen bei Beschäftigung von Papierlosen, Melderegister aller beschäftigten MigrantInnen, Programme für befristete Aufenthalts- und Arbeitserlaubnisse und für Undocumented Migrants. Dieser Vorschlag, der im Juli diskutiert werden soll, ist in den Hintergrund getreten, seit am 21. Mai im Senat die Diskussion über den wenige Tage zuvor bekannt gewordenen Gesetzentwurf für „Sichere Grenzen, wirtschaftliche Chancen und Einwanderungsreform“ begann. Auf über 300 Seiten enthält der Vorschlag, der drei Monate lang hinter verschlossenen Türen zwischen Regierungsvertretern und einigen wenigen Senatoren ausgehandelt wurde, ebenfalls alle Elemente.

Der Grenzschutz (Border Patrol) soll auf 28 000 Beamte praktisch verdoppelt werden, um nach Ende des Ausbaus an die 30 000 Menschen pro Tag festnehmen zu können. Die physische Aufrüstung soll aus zusätzlichen 600 km Zaun, 320 km davon mit Straßensperren (vor allem in den urbanen Gebieten im Südwesten der USA), 70 Wachtürmen mit allem Schnickschnack und vier Drohnen bestehen. Zusammen mit einem neuen, fälschungssicheren Melderegister für Beschäftigte mit Migrationshintergrund und mit der Erhöhung der Geldbußen für Unternehmen, die Papierlose beschäftigen, sind die Grenzsicherungsmaßnahmen Voraussetzung für die weiteren Elemente des Senats-Vorschlages. Unternehmerkreise bezweifeln, dass das DHS ein solches Melderegister, mit dem die Arbeitserlaubnis von MigrantInnen kontrolliert werden soll, wie vorgesehen in 18 Monaten zustande bringen wird.

Für MigrantInnen ohne Papiere, die vor dem 1. Januar 2007 eingereist sind, soll es ein neues Visum geben, das Z-Visum. Sie können sich beim DHS selbst anzeigen und dürfen dann auf Probe weiterarbeiten. Anschließend können sie Z-Visa beantragen und müssen ein Bußgeld von 4500 US-Dollar zahlen. Mit ihnen lebende direkte Verwandte qualifizieren sich ebenfalls, Geschwister, Eltern und erwachsene Kinder, die noch im Herkunftsland leben, nicht. Gegen eine Gebühr von 1500 US-Dollar können die Z-Visa alle vier Jahre verlängert werden. Frühestens nach acht Jahren, wenn nämlich durch die Bearbeitung von jährlich 440 000 Greencard–Anträgen ein Stau von vier Millionen solcher Anträge – es gibt MigrantInnen mit Aufenthaltserlaubnis, die seit 22 Jahren auf die Bewilligung entsprechender Anträge für Familienangehörige warten – abgearbeitet sein soll, können die InhaberInnen von Z-Visa Anträge auf unbefristete Aufenthaltserlaubnis (Greencards) stellen. Dazu müssen sie Englischkenntnisse nachweisen und weitere 4000 US-Dollar Gebühren bezahlen. Vor allem aber müssen sie in ihr Herkunftsland zurückkehren, um von dort aus die Greencard-Anträge zu stellen. Möchten sie nach einer geglückten Rückkehr dann US-StaatsbürgerInnen werden, wird das weitere fünf Jahre dauern.

10 000 US-Dollar und 13 Jahre – der Weg zum amerikanischen Traum ist lang, teuer und mit unsinnigen Bestimmungen wie dem Rückkehrgebot gepflastert. Unmittelbar nach Bekanntwerden des Senats-Vorschlages fuhren die Republikaner ihr Allzweckgeschütz auf: Das komme einer Amnestie für Gesetzesbrecher gleich. Bestandteil des Legalisierungspaketes ist auch die Einführung eines neuen Punktesystems. Damit sollen nicht nur, wie erwähnt, die Englischkenntnisse bewertet werden, sondern auch das Bildungsniveau und die Berufserfahrung. Das Punktesystem soll nach und nach zwei Grundpfeiler der bisherigen US-Einwanderungspolitik ersetzen: Bislang können Unternehmen Greencard-Anträge stellen für AusländerInnen, die sie einstellen wollen, und lawfull permanent residents (MigrantInnen mit Aufenthaltserlaubnis) können sie für noch im Herkunftsland lebende Familienangehörige beantragen. In Zukunft wird der Staat bestimmen, wer legalisiert wird und wer rein darf. Unternehmerverbände und VerfechterInnen „amerikanischer“ Werte wie der Familie haben deshalb bereits Bedenken angemeldet. Sprechen sich die neuen Senatsvorschläge herum, werden auch die Betroffenen gegen das Punktesystem und die neuen Regeln der Familienzusammenführung sein, ist doch die Familiensolidarität eine zentrale Lebenserfahrung für sie. Die Familien bringen das Geld für die Schlepper auf, sie helfen Verwandten bei der Ankunft im gelobten Land, und die gegenseitige Hilfe unter Verwandten macht danach das Leben zwar nicht gelobt, aber immerhin möglich. 

Ebenfalls erst nach Umsetzung des Sicherheitspaketes sollen jährlich 400 000 bis 600 000 der neuen Y-Visa für die befristete Zuwanderung von LandarbeiterInnen, Bauarbeitern, Pflegekräften, FließbandarbeiterInnen usw. wirksam werden. Unternehmen, die solche Arbeitskräfte beschäftigen wollen, müssen nachweisen, dass sie keine entsprechenden US-Werktätigen gefunden haben und die gleichen Löhne bezahlen. Unter der Knute des Republikanischen Verdiktes, dass „was befristet heißt, auch befristet sein muss“, ist die Nonsens-Regel herausgekommen, dass Interessierte temporäre Visa für zwei Jahre bekommen, dann für ein Jahr in ihre Herkunftsländer zurück müssen, das Ganze höchstens drei Mal und dann ist Schluss – anschließende Anträge auf Daueraufenthaltserlaubnis sind nicht erlaubt. An diesem Vorschlag kritisieren Unternehmerkreise, dass er den staatlichen Bürokratien zu viele Kontrollmöglichkeiten einräumt. Gewerkschaften wiederum erinnern sich an das berüchtigte Bracero-Programm und befürchten, dass eine Unterklasse von LohndrückerInnen entsteht. (Vgl. zur gewerkschaftlichen Diskussion den Beitrag von Sarah Garland in dieser Ausgabe.) 

An der Einwanderungsdebatte der letzten zwölf Monate fällt auf, dass sich zwar Promigrations-Kräfte zu Wort melden, die Papierlosen selbst aber kaum. Das war nach Bekanntwerden des Sensenbrenner-Vorschlages im Dezember 2005, bei dessen Realisierung 12 Millionen MigrantInnen mit einem Federstrich zu Kriminellen gemacht worden wären, anders. Im Frühjahr 2006 gingen Zehntausende auf die Straße und machten schließlich den 1. Mai zu einem „Tag ohne MigrantInnen“ (vgl. ila 295). Waren es damals in Los Angeles und Chicago jeweils eine halbe Million, bewegten sich die Zahlen dieses Jahr im fünfstelligen Bereich. Ein Grund dafür ist sicherlich die Tatsache, dass das allein auf Repression setzende Sensenbrenner-Gesetz nicht durchkam und damit der Kristallisationspunkt der Mobilisierungen entfiel. Der andere Grund sind die massiven Razzien in den letzten Monaten. Unter dem Druck der Antimigrationslobby verschärfte die Zoll- und Grenzschutzabteilung des DHS die Repression und deportierte im letzten Jahr über 220 000 Papierlose, 20 Prozent mehr als 2005.

Konkret sieht das so aus: Lilo Macía und seine Frau María Amaya flohen mit ihrem Sohn Kevin aus San Pedro Sula, Honduras, nachdem Marías Schwester bei einem Überfall von Maras auf einen Bus erschossen worden war. Nach der üblichen Odyssee fanden sie Arbeit in der Lederwarenfabrik Bianco in New Bradford, Massachusetts. Bei einer Razzia am 6. März wurden in der Bianco-Fabrik 361 ArbeiterInnen festgenommen. María kam in Abschiebehaft und Lilo wurde freigelassen, um sich um den fünfjährigen Kevin und den in den USA geborenen zweijährigen Jeffrey zu kümmern. Am 18. April wurde María um 4.00 Uhr morgens im Abschiebeknast geweckt, zum Kennedy-Flughafen in New York gefahren und direkt nach Honduras deportiert. Kevin fragt seither unablässig nach seiner Mutter und Jeffrey sitzt traurig in einer Ecke, hat Ohrenschmerzen und isst nichts. Mit sieben US-Dollar Stundenlohn hatten sich die Mancías fast schon reich gefühlt. Sie konnten sich Möbel anschaffen, Kevin gefiel es im Kindergarten, er schwatzte unverständlich für seine Eltern in Englisch und zusammen hatte die Familie bereits einen kleinen Clan gebildet, denn drei Verwandte hatten ebenfalls Arbeit bei Bianco gefunden. So wie den Macías geht es Zehntausenden von Papierlosen. Die Deportationen reißen Familien auseinander, denn viele Deportierte entscheiden, ihre in den USA geborenen Kinder – US-StaatsbürgerInnen – bei Verwandten und FreundInnen zu lassen. Wo ein Hauch von Lebensplanung in die ärmlichen Wohnungen der Papierlosen eingezogen war, herrscht jetzt wieder die totale Unsicherheit darüber, was der nächste Tag bringen mag. Wer noch nicht in eine Razzia geraten ist, versteckt sich so gut es geht – lebt weiter in völliger Unsicherheit. Auf der anderen Seite steht die Sehnsucht des Establishments nach alten Sicherheiten weißer Dominanz und der Wille, ganz sicher Profite zu machen. Eine umfassende, menschenwürdige und emanzipatorische Einwanderungsreform kann dabei nicht herauskommen.

Quellen zum Megathema Migration in den USA: 
 www.immigrationforum.org des National Immigration Forum
 www.migrationinformation.org des Migration Policy Institute

Die drei k's in der Überschrift sind womöglich eine Anspielung an den Ku-Klux-Klan, der wm