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Chronik eines angekündigten Wahlsiegs

Kommentar zu den Wahlen in Argentinien vom 28. Oktober
Roberto Frankenthal

Während seines langen Exils (1955-73) wurde Juan Domingo Perón des öfteren gefragt, warum er glaube, dass ihn die breite Mehrheit der argentinischen Bevölkerung immer noch unterstützen würde. Seine Antwort war recht bescheiden: „Meine Regierung war gar nicht so erfolgreich, aber die nachfolgenden Regierungen waren wesentlich schlechter.“ Ähnliches könnte auch der amtierende Präsident Néstor Kirchner über seine Amtszeit behaupten. Und das ist einer der Gründe für den Wahlsieg der Kandidatin Cristina Fernández de Kirchner (CFK).

Nach den Bestimmungen des argentinischen Wahlgesetzes wird der/die PräsidentIn direkt gewählt. Dies geschieht bereits im ersten Wahlgang, wenn der/die erfolgreichste BewerberIn mehr als 45 Prozent der Stimmen erreicht oder mindestens 40 Prozent und einen Vorsprung von zehn Prozent zum/zur Zweitplatzierten hat. CFK erhielt rund 45 Prozent, die Zweitplatzierte, Elisa Carrió, 23 Prozent, so dass die Wahl bereits in der ersten Runde entschieden war. Neben dem Präsidentenamt standen auch die Hälfte der Abgeordneten, ein Drittel der SenatorInnen und einige Provinzgouverneure zur Wahl. In der Abgeordnetenkammer konnte die Regierungsfraktion ihre Mehrheit ausbauen und auch im Senat wird sie künftig fünf Sitze mehr haben und 47 der 78 SenatorInnen stellen.

Für den Wahlerfolg gibt es eine Reihe von Gründen:
1. Trotz großer Einkommensunterschiede hat sich die Lage der Mehrheit der Bevölkerung seit 2003 verbessert. Mehrere Lohn- und Rentenerhöhungen haben die Kaufkraft erhöht. Die Arbeitslosigkeit wurde praktisch halbiert und sowohl Landwirtschaft als auch Industrie boomen. Die Kehrseite dieses Aufschwungs ist, dass für ca. 40 Prozent der Beschäftigten keine Renten- und Krankenversicherung bezahlt wird und die zunehmende Inflation die erreichte Kaufkraft schwächt.

2. Neben der Unterstützung breiter Kreise des Peronismus konnte das Ehepaar Kirchner eine Wahlallianz mit weiteren Kräften schmieden. Bis auf einen hatten alle amtierenden Provinzgouverneure der liberalen „Radikalen Bürgerunion“ UCR der Kandidatin ihre Unterstützung zugesichert. Im Rahmen dieser Allianz bewarb sich der amtierende Gouverneur von Mendoza, Julio Cobos, um das Amt des Vizepräsidenten. Auch verschiedene soziale Bewegungen und die PS (Sozialdemokratische Partei) der Provinz Buenos Aires unterstützten die Wahlformel Kirchner-Cobos.

3. CFK und Cobos waren sehr erfolgreich in der Provinz Buenos Aires und den Bundesstaaten des Nordens (z.B. erreichten sie in Santiago del Estero über 77 Prozent der Stimmen). Dagegen haben sie in den drei größten Städten (Stadt Buenos Aires, Rosario und Córdoba) verloren.
4. Die Opposition war unfähig, eineN gemeinsameN Kandidaten/in zu finden. Elf BewerberInnen konkurrierten mit CFK und untereinander.

Erfolgreichste Oppositionskandidatin war Elisa Carrió. Sie erreichte mit 23 Prozent der Stimmen einen Achtungserfolg. Frau Carrió wurde besonders von den traditionell anti-peronistischen Mittelschichten gewählt. Obwohl sie während des Wahlkampfes erklärte, nicht wieder für öffentliche Ämter zu kandidieren, ist es durchaus möglich, dass sie die Rolle der Oppositionsführerin übernimmt. Damit würden erstmals in der argentinischen Geschichte die Regierung und die Opposition von Frauen geleitet.
Erfolgreichster männlicher Bewerber war Roberto Lavagna, Wirtschaftsminister unter Duhalde und Kirchner (2002-2005). Getragen wurde seine Kandidatur von einer Allianz aus den Überbleibseln der liberalen UCR und von Kirchner enttäuschten PeronistInnen. Lavagna wollte seinen guten Ruf als Krisenmanager in die Waagschale werfen, um eine „ordentlichere Version“ der Kirchner-Politik anzubieten. Aber die WählerInnen bevorzugten mehrheitlich das Original und gaben der Wahlformel Lavagna-Morales nur 17 Prozent.

Auf rund acht Prozent kam der ehemalige Gouverneur der Provinz San Luis, Alberto Rodríguez Saá. Er galt als Kandidat der „neoliberalen Peronisten“ und wurde z.B. vom ehemaligen Präsidenten Menem unterstützt. 

Enttäuschende Ergebnisse erzielten zwei Kandidaten der Rechten. Der neoliberale Ricardo López Murphy erreichte nur 1,5 Prozent der Stimmen (2003: 16%) und der konservative ehemalige Gouverneur von Neuquén, Jorge Sobisch, kam auf 1,6 Prozent. 

Die radikale Linke trat mit vier Wahlformeln an, die zusammen auf 2,3 Prozent kamen, ein historisches Minimum. Etwas erfolgreicher war der Filmemacher Fernando Solanas, der sich erst zwei Monate vor der Wahl als Mitte-Links-Kandidat aufstellen ließ und 1,6 Prozent erreichte.
Einen entscheidenden Beitrag zum Wahlsieg von CFK leistete der amtierende Vizepräsident Scioli. Er kandidierte für das Amt des Gouverneurs der Provinz Buenos Aires und siegte klar mit rund 49 Prozent der Stimmen. Keinen Erfolg hatten dort dagegen die „Law and Order“-Kandidaten. Weder Luis Patti, ehemaliger Folterer der Polizei, noch Juan Carlos Blumberg, der Vater eines entführten und ermordeten Jugendlichen, erhielten mehr als 2,5 bzw. 1,6 Prozent der Stimmen.

Gewöhnt an Massenaufmärsche des Peronismus staunten viele BeobachterInnen über den „Nicht-Wahlkampf“ von CFK. Bis zwei Tage vor der Wahl hatte sie der argentinischen Presse keine längeren Interviews gegeben. Ihre Auftritte beschränkten sich auf institutionelle Akte in Begleitung ihres Gatten. Herr Kirchner übernahm die Rolle des Wahlkämpfers, Frau Kirchner beschränkte sich darauf, die Kontinuität des bisher Erreichten zu versprechen.

Néstor Kirchner pflegt zu sagen, dass sich Argentinien am Ende seines Mandats auf dem Weg von der Hölle zum Fegefeuer befinden sollte. Dies ist ihm zum Teil gelungen, wenn man die aktuelle Lage mit der zur Jahreswende 2001/2002 vergleicht. Seine Präsidentschaft bedeutete die Abkehr vom neoliberalen Fundamentalismus eines Carlos Menem. Die Frage ist nun, ob die ArgentinierInnen unter der Leitung einer Präsidentin durch das Fegefeuer gehen wollen, um das versprochene Paradies zu erreichen.