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Fehlende Überwachung als Standortvorteil

Costa Rica: Die heimliche Kontamination in Mittelamerikas Urlaubsparadies

1996 begann in den USA der Anbau kommerzieller Sojasaaten aus dem Genlabor. Seither dominieren Soja, Mais, Raps und Baumwolle das transgene Agrobusiness. Sofern die Saatgutvermehrung rasch erfolgen soll, werden Regionen bevorzugt, in denen mehrmals im Jahr ausgesät werden kann. Costa Rica gehört zu jener Gruppe neoliberal ausgerichteter Staaten, wo in den vergangenen zwei Jahrzehnten mit der Umstrukturierung des Agrarsektors und der wirtschaftlichen Deregulierung eine Vermehrungsindustrie für gentechnisch verändertes Saatgut etabliert wurde.

Ute Sprenger

Im Frühjahr 2003 entdeckten costaricanische Umweltschützer in einer Tageszeitung eine Bekanntmachung des Landwirtschaftsministeriums über die geplante Einfuhr gentechnisch veränderten Saatguts. Die Firma D&PL Semillas plane, vier Kilogramm transgener Bt-Baumwollsaat aus den USA in Costa Rica zu vermehren, war dort zu lesen. Negative Effekte seien von der Kultur nicht zu erwarten, und die Saat werde nach der Ernte sofort exportiert, der Ernteabfall unter Aufsicht vernichtet. Kommentare zu diesem Antrag auf Einfuhr von transgenem Saatgut waren innerhalb von zehn Werktagen möglich.

Unter den AktivistInnen in der Hauptstadt San José verfügte seinerzeit niemand über Erfahrungen in der Auseinandersetzung mit der Pflanzenschutzbehörde oder mit internationalen Konzernen wie Delta & Pine Land, dem Weltmarktführer für Baumwollsaaten. Mit Sorge wurde aber schon zuvor festgestellt, dass die Gentechnikindustrie sich im Land breit gemacht hatte. Kurz vor dem Ende der Einspruchsfrist reichte deshalb der Dachverband costaricanischer Öko-Initiativen FECON einen schriftlichen Widerspruch bei der zuständigen Genehmigungsbehörde ein. Darin enthalten waren Fragen nach dem Ort der geplanten Aussaat der transgenen Kulturen, den Sicherheitsmaßnahmen, ob spezifische Untersuchungen über Auswirkungen auf die Ökosysteme stattfänden, und auch, wie die AnwohnerInnen der Felder informiert würden. Damit hoffte man unter anderem, die Mauer des Schweigens, die den gentechnischen Anbau bis dato umgab, zu durchbrechen. Der Einsatz gentechnisch veränderter Organismen (GVO) solle solange eingestellt werden, forderten die Organisationen in dem Schreiben, bis eine ergebnisoffene Debatte mit allen Beteiligten geführt worden sei. Die wortreiche Antwort des zuständigen Pflanzenschutzdienstes blieb im Wesentlichen nebulös. Und auch danach gingen ähnliche Anfragen verschiedener NRO lange Zeit ins Leere. So entstand aber zumindest ein Bild davon, inwieweit ganz offenbar das gentechnische Establishment die Strukturen der Genehmigungsbehörde beherrscht.

Erst im August 2004 schließlich gab besagte Behörde erstmals einen Auszug aus dem Anbauregister für GVO frei. Mit den Angaben über aktuelle Standorte kommerzieller Kulturen und mit Details über deren Eigenschaften reagierte man dort auf den Druck, der inzwischen in der Zivilgesellschaft entstanden war. Denn neben den städtischen NRO hatte sich kurz zuvor eine lokale Bürgerinitiative aus dem Kanton Cañas in der nördlichen Provinz Guanacaste, der Hauptanbauregion von GVO, zu Wort gemeldet. Die BürgerrechtlerInnen hatten die Suche nach den umstrittenen Saaten selbst in die Hand genommen, die Kantone durchkämmt und die AnwohnerInnen befragt und schließlich öffentlich gemacht, was sie dabei vorfanden: Auf vernachlässigten Pflanzungen und zwischen Folgekulturen von Melonen, Reis oder Erdnuss war die Vorjahressaat erneut ausgekeimt, an Wegesrändern, Uferböschungen und in Hausgärten wuchs ausgewilderte transgene Baumwolle – nach der Ernte verschleppt, vom Wind verweht oder von den AnwohnerInnen selbst als Zierpflanze gezogen. Junge Tagelöhnerinnen, die die Blüten per Hand befruchten und dabei den Agrochemikalien ausgesetzt sind, litten an Übelkeit und Schwächeanfällen. Anlieger klagten darüber, dass auf den Feldern rücksichtslos und massiv gespritzt werde, der Drift wehte in die Häuser und ließ die Bananenstauden in den Gärten zusammenbrechen.

„Wir haben hier unser Leben verbracht und unsere Kinder großgezogen. Und wir wollen nicht, dass Guanacaste und unsere Natur kaputt gemacht wird von Leuten, die nur am Geld interessiert sind“, sagt der Bürgerrechtler Miguel Angel Vásquez. Im kantonalen Comité Cívico habe man eindeutige Belege dafür, dass die Behörden bei der Überwachung der Betriebe eine besorgniserregend lasche Haltung an den Tag legten, berichtet auch Ana Julia Arana. „Die Samen aus den Ernteresten wachsen unbehelligt nach und verunreinigen selbst die Vorgärten.“ In einem Garten in der Nachbarschaft habe man wiederholt erfolglos versucht, eine eingeschleppte Pflanze mit der Giftspritze zu zerstören. „Die anderen Pflanzen im Umfeld der Baumwolle sind zwar vernichtet, aber die Pflanze selbst schlägt immer wieder aus.“ Genau dies wird allerdings von Monsanto, Bayer & Co. mit den herbizidresistenten Sorten auch bezweckt, die dafür gemacht sind, den hauseigenen Agrarchemikalien zu widerstehen.

Bis zu jenem Zeitpunkt, als Umweltschützer erstmals einen Widerspruch gegen den Anbau einlegten, waren bereits über 600 Anträge für gentechnische Arbeiten im Freiland mit Soja, Mais, Baumwolle, Bananen und weiteren Kulturpflanzen behördlich registriert und abgesegnet worden. Die Fläche für kommerzielle Saaten lag 2003 bei 580 ha. Zwischen 1991 und 2005 haben insgesamt mehr als 40 ausländische Unternehmen und Universitäten auf zahllosen Feldern im Land transgene Pflanzen getestet und vermehrt. Als erste wurde schon 1991 die auch heute noch weltweit umstrittene herbizidresistente Sojabohne gesät. In den Anfangsjahren verlief das Wachstum dieses Vermehrungsanbaus in ähnlichem Rhythmus wie die Zunahme der Anbauflächen transgener Sojamonokulturen in den USA und andernorts. Vermutlich bildeten die Bohnensaaten aus Costa Rica in den Jahren zwischen 1994 und 1999 eine der Grundlagen des von der Weltagrarmacht USA ausgehenden Gentech-Feldzugs in der Landwirtschaft. 

Der Abgleich des costaricanischen Vermehrungsanbaus mit den in internationalen Datenbanken registrierten Zulassungen für Roundup Ready- und Liberty Link-Soja der Konzerne Monsanto und Bayer in den Anbauländern USA, Kanada, Argentinien, Japan und Uruguay legt nahe, dass in der zweiten Hälfte der 90er Jahre von Costa Rica aus der entstehende Markt für transgene Sojakulturen aufgebaut und versorgt wurde. Etwa ab 1999-2000 war vermutlich in den kommerziellen Anbauländern jeweils genügend Gentech-Soja verfügbar, so dass dort seither das Material direkt nachgezogen werden kann. Gegenwärtig ist das Land spezialisiert auf die Vermehrung transgener Soja und Baumwolle. Den konventionellen Baumwollanbau hatte Costa Rica schon Jahre zuvor aufgegeben. Den wenigen zugänglichen Daten des Standortregisters zufolge war bis zum Jahr 2005 die Vermehrungsfläche für transgene Kulturen auf über 1440 ha angewachsen, was etwa 0,3 Prozent der Anbaufläche entspricht. Baumwollsaat steht inzwischen auf über 90 Prozent der angemeldeten Flächen.

Während sich in den USA und in Teilen Westeuropas bereits seit Mitte der 80er Jahre die Kritik formierte und ab 1996 schließlich die Proteste europäischer VerbraucherInnen und UmweltschützerInnen gegen erste ungekennzeichnete Lieferungen von Gentech-Soja begannen, war Gleiches in dem Tropenland lange Zeit nicht zu befürchten. Hinzu kommt, dass Costa Rica gegenwärtig weder über eine spezielle Gesetzgebung zur Handhabung der modernen Biotechnologien noch über eine hinreichend funktionierende Infrastruktur und entsprechend ausgebildetes Personal verfügt. Das geltende Pflanzenschutzgesetz erlaubt den kommerziellen Anbau und die Vermarktung transgener Organismen im Land selbst nicht, wohl aber experimentelle Arbeiten und Vermehrungskulturen, deren Saatguterträge erneut exportiert werden müssen. Für die Überwachung ist eine unterbesetzte Behörde zuständig, deren MitarbeiterInnen nicht annähernd die personellen oder technischen Kapazitäten erhalten, wie es für eine ernstzunehmende Kontrolle der gentechnischen Arbeiten und Kulturen notwendig wäre. Erst im Jahr 2005 erhielt die Behörde beispielsweise ein Labor, das DNA-Analysen ermöglicht.

Nahezu das gesamte Land steht den agro-biotechnologischen Konzernen und Forschungseinrichtungen quasi als transgenes Treibhaus offen. Schon die ersten gentechnischen Arbeiten legten den Grundstein für diese Rolle Costa Ricas. Über die Jahre konnten so in fünf der sieben Provinzen derartige Saaten vermehrt oder erprobt werden– eine Dienstleistung, die von der Politik als so genannter Standortvorteil geduldet und durch sie gefördert wird. In der offiziellen Darstellung hingegen – ob auf internationalen Konferenzen oder in der Tourismusindustrie – sucht man diese kontroversen Saaten vergebens. Lieber wird dort über die 25 Prozent des Territoriums berichtet, die unter irgendeiner Form des Naturschutzes stehen, oder über die natürlichen Reichtümer, die sich in diesem international als „megadivers“ gehandelten Land finden lassen. Aber zwischen den beeindruckenden Vulkanen und den Traumstränden mit riesigen Hotelanlagen haben die großen Bäume und die Wälder längst schon Platz machen müssen für Viehzuchtbetriebe und Monokulturen mit Bananen, Ananas oder Zierpflanzen für den Export nach Übersee. Die vor gut 50 Jahren eingeleiteten Agrar- und Sozialreformen wurden eingefroren und zurückgefahren zugunsten von Exportorientierung, Freihandelszonen und ausländischen Direktinvestionen, was nicht zuletzt in der Vergangenheit auch die Zuwächse im transgenen Anbau begünstigt hat.

Wenn Strategen im US-Agrarministerium nun langsam begreifen, dass selbst im beschaulichen Costa Rica eine neue Zeitrechnung für gentechnische Saaten angebrochen ist, dann hat dieser Wandel auch damit zu tun, dass sich dort immer mehr Menschen politisch einmischen. Seitdem im Jahr 2003 der Freihandelsvertrag TLC mit den USA in die Kritik geriet, rückte damit auch die wirtschaftliche Ausrichtung des Landes und die dominierende Exportorientierung auf die Agenda.

Eine traurige Figur macht indes die zuständige Pflanzenschutzbehörde inmitten der neuen Dynamik im Land. Denn bislang hat man dort das 2006 ratifizierte Cartagena-Protokoll über biologische Sicherheit noch nicht ernsthaft wahrgenommen. Im Gegenteil: Im vergangenen Jahr wurde die eigene Abteilung Biotechnologie sanktioniert. Nach Meinung der Genehmigungsbehörde hatte man sich dort wohl zu weit aus dem Fester gelehnt, als angesichts einer Schiffsfracht mit Reis aus den USA, bei der der Verdacht bestand, dass sie mit illegalem Reis von Bayer (LL 601) verunreinigt war, zur Vorsicht geraten wurde. Wenige Tage später musste die gesamte Abteilung einpacken und wurde in eine Außenstelle an den Stadtrand verbannt, in unmittelbare Nachbarschaft zu einer Mülldeponie und einer Armensiedlung.

Ute Sprenger ist Publizistin und Beraterin für politische Ökologie und internationale Entwicklung. Derzeit recherchiert sie zu transgener Verunreinigung von Saatgut und zum Hype der Grünen Revolution für Afrika. 2007 erschien ihre Studie „Die heimliche Kontamination“ über die Erzeugung von transgenem Saatgut in Costa Rica (zu beziehen beim Gen-ethischen Netzwerk, Tel. 030/6857073, www.gen-ethisches-netzwerk.de).