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Von der Rolle

Frauen schreiben anders, sagt Erna Pfeiffer. Und wie!
Gaby Küppers

Frauenliteratur, weibliche Literatur, Literatur von Frauen – trotz eines guten Vierteljahrhunderts feministischer Literaturwissenschaft und noch älterer Frauenbewegung sind die Begriffe nicht endgültig geklärt. Vorurteile bilden kurioserweise weiterhin einen Nebelvorhang. Bei Autorinnen existieren Scheuklappen und Ängste vor Schubladen und Ghettos. Literaturnobelpreisträger dürfen ungestraft fragen: „Woran denkt sie, wenn sie überhaupt denkt? Ist sie unseresgleichen?“ (Octavio Paz). Feuilletonisten wie akademische Kritiker reden selbstgefällig von „schreibenden Weibchen“ und „Plappermäulchen“ (Jörg Drews). Immer noch.

Erna Pfeiffer, äußerst produktive Hispanistin aus Graz, tut gegen solche Machoreflexe das einzig Richtige: sie bedient sich ihrer. Die sich in derartigem Verhalten niederschlagenden Geschlechterkonflikte befördert sie als zentrales Moment der Literatur und dem Reden über sie ans Licht. Erna Pfeiffer betrachtet literarische Werke und ihre Rezeption selbst mit dem „schiefen Blick“ (den die Germanistin Sigrid Weigel als Charakteristikum weiblichen Schreibens herausstellte) und untersucht, wie aus dieser Perspektive in Romanen, Kurzgeschichten, Theater und Lyrik patriarchale Welten beschreib- und bisweilen überwindbar werden, wie aus der Sicht der nicht an der Macht Partizipierenden die Verhältnisse als ge-Macht-e entlarvt werden und im besten, leserInnen-genüsslichsten Falle zum Tanzen gebracht werden. 

Das tut Erna Pfeiffer ebenfalls schon seit rund einem Vierteljahrhundert anhand eines lohnenden Objekts: die Literatur Lateinamerikas, gilt es doch als „Kontinent der Machos“. Übrigens macht sie das mit unverhohlenem Spaß an der Sache und in semantische Schichten und verborgene Mehrdeutigkeiten sezierender Sprachakrobatik.

Ihr neuer Band „Aus der Rolle geFallen“ liefert dazu schon im Titel ein schönes Beispiel. Es geht Erna Pfeiffer um gefälliges Benehmen, um Fallen des Machismo, denen Autorinnen zu entkommen suchen, und um Phallensteller, um Er-Oberer im Erdteil der Conquista und um weibliches Auf/Begehren. Die in dem Band versammelten Vorträge und Aufsätze entstanden seit Mitte der 80er Jahre, einige sind bisher unveröffentlicht. Überschneidungen und thematische Wiederholungen sind unvermeidlich, aber auch ein Plus, da jeweils andere, sich ergänzende Perspektiven gezeichnet werden.

Ein zentrales Anliegen Pfeiffers ist, den „Mechanismus der parodierenden Subversion des vorherrschend männlich geprägten code culturel“ (S. 64) herauszuarbeiten, der in der neueren Frauenliteratur Lateinamerikas Anwendung findet. Mit diesem Ziel zieht Pfeiffer einerseits Werke von männlichen Autoren heran und verblüfft angesichts der zutage tretenden geballten Ladung an vorherrschenden Geschlechtsrollenzuweisungen auch bei allgemein geschätzten (auch „linken“) Schriftstellern. 

Dem entgegen setzt sie Werke von Autorinnen, die kaum jemals ähnliche Auflagen erreichten wie ihre Kollegen, auch wenn sie vielleicht spannendere, innovativere oder auch komplexere literarische Bearbeitungen gesellschaftlicher Wirklichkeit liefer(te)n. Genannt seien etwa die Mexikanerinnen María Luisa Puga, María Luisa Mendoza und Carmen Boullosa; die Venezolanerin Antonieta Madrid oder die Argentinierin Alicia Kozameh. Aber auch dem „Geisterhaus“ (s. 1982) der Chilenin Isabel Allende, eine der wenigen auflagenstarken Autorinnen, widmet Erna Pfeiffer Aufmerksamkeit und liest den Bestseller nicht vorab als Schmöker, sondern als Radiographie der conditio femenina im historischen Prozess.

Bei aller Vielfalt der literarischen Antworten aus weiblicher Feder (oder Keyboard) arbeitet Erna Pfeiffer doch geschlechtsspezifische Gemeinsamkeiten auf formal-struktureller Ebene – etwa die Vorliebe für das Fragmentarische, Verzerrte, Groteske – wie beim Inhaltlichen heraus: beispielsweise ist das Verhältnis zur Gewalt und folglich die Beschreibung von Gewalt, etwa in den in Lateinamerika leider wahrlich zahlreichen Texten zu Folter unter den Diktaturen, bei Frauen und Männern verschieden. Frauen tendieren zu anderen Metaphern und Symbolen, um Unsägliches sagbar zu machen. Und Erotik ist anders besetzt, um nur einige Aspekte zu nennen.

Erna Pfeiffer gewährt in jedem ihrer Beiträge Einblick in ihre Erkenntniswerkstatt. Sie interpretiert nicht nur aus eigener Anschauung. Als fleißige literarische Übersetzerin tauscht sie sich mit Autorinnen aus und beschreibt das gemeinsame Ringen um den korrekt nuancierten Ausdruck im deutschen Text. Sie hat Autorinnen nach ihrem Selbstverständnis wie nach der Rezeption ihrer Werke befragt. Die Forscherin glaubt nicht an die reine Literaturwissenschaft. Sie arbeitet interdisziplinär – oder disziplinlos, wie sie einmal ironisch anmerkt. Ihr Ansatz verbindet daher psychologische, psychosoziale, dekonstruktivistische und postkoloniale Elemente. Oder sollte man schlicht sagen: er ist feministisch? Literatur ist für sie eine feinsinnigere Möglichkeit als objektive Wissenschaften, komplexe Wirklichkeiten wiederzugeben und zu interpretieren. Diese Grundthese macht ihre Untersuchungen so lesenswert. Schade nur, dass Bücher aus Wissenschaftsverlagen schier unbezahlbar sind.

Erna Pfeiffer: Aus der Rolle geFallen! Neuere lateinamerikanische Literatur zwischen Machismo und Feminismo. Hamburg: Verlag Dr. Kovac 2008, 351 Seiten, 78,- Euro