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Mit Kartenhandy gegen Wahlbetrug

Wie lokale Radiosender in El Salvador über den Wahlkampf und die Wahlen 2009 berichteten

Es ist fünf Uhr morgens, 15. März 2009. In dem kleinen Haus in einer Seitenstraße an der Universität El Salvadors in Santa Ana ist der Strom ausgefallen. Worst case für Eva und Marvin von Radio Milenio, denn heute ist Wahltag und der kleine Lokalsender in Santa Ana hat kein Notstromaggregat. Ein Anruf beim Elektrizitätswerk klärt die Lage teilweise, obwohl es einiges an Verhandlungsgeschick erfordert, den Mann am anderen Ende der Leitung vom Ernst der Lage zu überzeugen. Später wird sich herausstellen, dass der starke Regenguss am Morgen für den Stromausfall in einigen Vierteln der Provinzhauptstadt verantwortlich war. Wichtiger ist, dass Radio Milenio mit weniger Verspätung als erwartet auf Sendung gehen kann.

Helene Kapolnek

Den ganzen Tag über, bis spät in die Nacht hinein, wird Radio Milenio am 15. März über der Verlauf der Wahlen berichten, über Unregelmäßigkeiten, über das Verkehrschaos vor den Wahllokalen, das die Busse, die noch fahren, zwingt, große Umwege zu machen, um nicht im Gewühl steckenzubleiben, über die Stimmung der WählerInnen – direkt aus den Wahllokalen in Santa Ana und den angrenzenden Municipios wie El Congo und Coatepeque. Für Musik ist heute keine Zeit. Milenio, das sonst gerne Musiksendungen und Fußballspiele überträgt, bleibt heute bei der Wortberichterstattung. Auch wenn der vorproduzierte Beitrag aus der Wahlbehörde, dem Tribunal Supremo Electoral (TSE), über die Vorbereitung der Wahlen und den Weg der Wahlzettel in die einzelnen Gemeinden des Landes ein Übermaß an Knistern und Knacksen aufweist und die Berichterstattung per Handy aus den Wahllokalen durch Interferenzen stellenweise unverständlich ist, sind die MacherInnen von Radio Milenio sicher, dass ihre HörerInnen am Ball bleiben. Wie ihre mit Kartenhandys ausgestatteten ReporterInnen die Wahlen abhandeln, erklärt Eva: „Aus den Wahllokalen wird alles live gesendet. Wir haben nur die eine Telefonleitung, deshalb sagen wir allen, dass sie Geduld haben müssen. Und die Beiträge sollen kurz sein, eineinhalb Minuten höchstens. Es geht nicht, dass die Karten mit der Berichterstattung den Tag über leertelefoniert werden und dann kein Geld mehr drauf ist, wenn die Stimmauszählung beginnt.“

Radio Milenio entstand Ende der 90er Jahre als Initiative junger RadiomacherInnen, die neben einem sozial engagierten Lokalradio auch eine Ideen- und Bildungswerkstatt für Jugendliche mit Interesse an Radio und Journalismus aufbauen wollten. Der Sender hielt sich trotz Rückschlägen und mangelnder Finanzquellen. 2004 wird Radio Milenio Mitglied bei der Vereinigung kommunaler Radios ARPAS, zu der heute 21 Lokalradios gehören, darunter als Gründungsmitglieder die Radiosender der Ende der 80er Jahre aus den Lagern in Honduras zurückgekehrten Bürgerkriegsflüchtinge, die als soziale Basis der FMLN-Guerrilla in den umkämpften Einflussgebieten der Guerrilla besonders der Repression der Regierungsarmee ausgesetzt waren. Unter diesen Vorzeichen entstanden Radio Segundo Montes in Morazán, Radio Súmpul in Chalatenango, Radio Victoria in Cabañas und Radio Izcanal im Norden von Usulután. 1992 legalisierten sich diese Radios und teilen sich seitdem die Frequenz 92.1 FM, was die Lage der Lokalsender nicht einfacher macht. Eine durch 21 geteilte Frequenz führt zu Interferenzen und setzt der Mitgliederentwicklung von ARPAS ganz konkrete Grenzen. Für sie ist deshalb ein gemeinsames Vorgehen wichtig. So sendet die Vereinigung seit etwa einem Jahr gemeinsame Programme über den kommerziellen Satellitenanbieter INTELSAT. 18 der 21 Mitglieder können sich in die Satellitenübertragung einwählen und so gemeinsame Nachrichtensendungen und Magazine ausstrahlen. Obwohl die monatlichen Ausgaben für den Satelliten den Radios ebenso große Kopfschmerzen bereiten wie die Löhne ihrer MitarbeiterInnen, lohnt sich der Aufwand. Er stärkt das Gemeinschaftsgefühl und die Reichweite der Sender.

„Nicht vergessen: Heute treffen Sie Ihre Entscheidung!“ Zurück in Santa Ana. Moderatorin Eva Linares sagt es noch einmal, nicht zum ersten und letzten Mal an diesem Tag. Heute ist Stichwahl und der Sieger der heutigen Wahlen wird künftiger Präsident El Salvadors. In Santa Ana gibt es zwölf Wahllokale, die meisten davon sind in den öffentlichen Schulen der Stadt untergebracht. Wie die KorrespondentInnen berichten, verläuft die Wahl im Umland weitgehend ruhig, momentan keine besonderen Vorkommnisse in Candelaria de la Frontera und Texistepeque, angrenzende Wahlkreise in der Provinz Santa Ana. „In Santa Ana selbst gab es einige Unruhe, nachdem in einem Wahllokal gefälschte Personalausweise aufgetaucht sind. Die Inhaber dieser Dokumente konnten nicht festgenommen werden.“ Die potentiellen Wahlbetrüger konnten sich in der allgemeinen Aufregung absetzen. Inzwischen berichtet Marvin aus dem Wahllokal in der Oberschule INSA. Es ist gegen Mittag und der Zulauf der WählerInnen hat etwas abgenommen Deswegen unternimmt Marvin einen Ausflug in das nah gelegene Wahllokal, denn er möchte selber wählen und nicht zu lange anstehen, denn im Studio ist nur eine Minimalbesetzung zurückgeblieben, alle anderen leisten ReporterInnendienste vor Ort. Im kleinen Pressestudio von Milenio sitzt Roxana und wertet im Internet und am Fernseher die Wahlberichterstattung der anderen, größeren Medien aus. In San Salvador sind zwei Staatsangehörige eines anderen zentralamerikanischen Landes festgenommen worden. Auch sie wollten mit gefälschten salvadorianischen Personalausweisen an den Wahlen teilnehmen. Diese Art der Wahlfälschung hat Methode, bereits während der Bürgermeister- und Abgeordentenwahlen am 18. Januar 2009 hat sich herausgestellt, dass rechte Kreise systematisch u.a. zur Zuckerrohrernte angereiste NicaraguanerInnen anheuerten, um das Wahlergebnis zu fälschen.

Wie viele MittelamerikanerInnen tatsächlich auf diesem Wege zum Wahlbetrug überredet wurden, darauf mag sich José Luis Gavira vom Radiosender Izcanal nicht festlegen. Für den Sender, mit Hauptsitz in dem 2000-EinwohnerInnen-Dorf Nueva Granada im Norden von Usulután, ist die vielgepriesene Objektivität bei der Berichterstattung das wichtigste Prinzip. Vier staubige Kilometer von der Carretera Panamericana entfernt, der Hauptverbindungsstraße El Salvadors, entstand Izcanal als Initiative in einer Flüchtlingsrücksiedlung. „Die ersten Sendungen liefen über einen Kassettenrecorder und eine Antenne, die in einem Baum aufgehängt wurde,“ erinnert sich José Luis. Inzwischen ist Izcanal neben dem größten Nachrichtensender El Salvadors, Radio YSKL, der meist gehörte Sender in einem beachtlichen Gebiet in den Provinzen Usulután, San Miguel, San Vicente und Teilen von Morazán und La Unión und unterhält außerdem einen Fernsehsender in der Provinzhauptstadt Usulután, der über Kabel verbreitet wird. Viele MitarbeiterInnen von Izcanal sind schon seit der Gründung dabei: „Für mich ist nicht nur die technische Entwicklung, die bessere Infrastruktur, die größere Reichweite beeindruckend, sondern vor allem die Art und Weise, wie sich die Leute mit dem Radio identifizieren. Dem Radio ist es gelungen, einen wichtigen Beitrag zur Educación Popular zur leisten. Unsere MitarbeiterInnen kommen vom Land, sie haben nicht viel anderes gelernt als Mais anzubauen. Inzwischen gehen sie souverän mit einer aufwändigen Technologie in einem komplexen Medium um.“

Seit Monaten schon dreht sich alles um die Wahlen. Radio Izcanal kann mit einer reichen Auswahl an InterviewpartnerInnen aufwarten, die wegen der Bedeutung des Senders den langen Weg aus San Salvador nicht gescheut haben. Unter den Gästen sind die nicaraguanische Botschafterin in El Salvador, die zum heiklen Thema der mittelamerikanischen WählerInnen mit gefälschten Ausweisen befragt wird, FMLN-Pressesprecher Sigfrido Reyes und Raúl Díaz von der parteiunabhängigen Unterstützergruppe für den FMLN-Kandiaten Mauricio Funes, Amigos de Mauricio. Allerdings ist ein großer Teil des Programms den VertreterInnen der sozialen Bewegungen in El Salvador vorbehalten: „Wir haben nun mal eine redaktionelle Linie, wie jedes andere Medium auch“, sagte José Luis. „Und unsere Aufgabe ist es, diejenigen zu informieren, die von den bisherigen Regierungen immer außen vor gelassen wurden.“ Wie auch Radio Milenio haben die MitarbeiterInnen von Radio Izcanal sich vor den Wahlen mit Vertretern der Wahlbehörde TSE getroffen, um sich in allen Einzelheiten über die rechtlichen und organisatorischen Aspekte der Wahlen aufklären zu lassen. Eine Initiative der Lokalradios: „Das ist nicht üblich, da mussten wir schon ein wenig verhandeln“, erklärt José Luis. „Aber netterweise haben die Leute vom TSE dann doch eingewilligt.“ Alle MitarbeiterInnen der Radios sind beim TSE akkreditiert, denn ohne diese Registrierung würde ihnen der Zugang zu den Wahllokalen verweigert. Obwohl es auch bei den Wahlen am 18. Januar vorgekommen ist, dass JournalistInnen bei der Auszählung der Stimmen des Wahllokals verwiesen wurden – ein Verstoß gegen die Regel dass die Presse das Recht hat, auch bei diesem Teil des Wahlprozesses präsent zu sein. Bei den Wahlen am 15. März haben sich die Medien des Landes schweren Herzens bereit erklärt, der Anordnung des TSE zu folgen, Prognosen über den Wahlsieger erst nach der ersten offiziellen TV-Erklärung von TSE-Präsident Walter Araújo um 19.30 Uhr abzugeben. Durch die Tatsache, dass die TV-Sender sofort nach 17.00 Uhr, der offiziellen Schließung der Wahllokale, die Auszählung der Stimmen übertrugen, erübrigte sich eine Prognose ohnehin: Die Ergebnisse der Auszählungen an den einzelnen Tischen sprachen für sich.

Objektivität bedeutet auch, nicht an der Schmutzkampagne der Rechten teilzunehmen. Das Klima im Land war seit Monaten aufgeheizt durch den Wahlkampf, in dem besonders die rechte ARENA-Partei, mit ihrem Kandidaten Rodrigo Ávila Stichwahlgegner der FMLN, mit Gruselvisionen einer chavistischen Diktatur und eines käuflichen linken Spitzenkandidaten eine Schlammschlacht gegen den FMLN-Kandidaten Mauricio Funes führte, die die FMLN ihrerseits mit wenig Feinfühligkeit erwiderte. „Wir sind ganz froh, dass ARENA bei der Stichwahl gar nicht erst auf uns zugekommen ist, um Wahlkampfspots zu schalten“, sagte José Luis. Auch in Radio Milenio ist die Rechte nicht mehr vorstellig geworden, obwohl die Sender vor den Abgeordneten- und Lokalwahlen am 18. Januar Wahlspots aller Parteien ausgestrahlt hatten. „Wahlkampfzeiten bedeuten endlich mal höhere Einkünfte“, erklärt Claudia von ARPAS. „Wenn man von der Hand in den Mund lebt, ist das wichtig.“ An Punkten wie diesen scheiden sich die Geister bei den ARPAS-Mitgliedern und darüber, was ein Lokalsender mit sozialem Anspruch tun kann oder darf. Auch wenn die kleinen Radios, die heute Mitglied bei ARPAS sind, aus Liebe zum Medium und dem Wunsch alternatives Programm zu machen, entstanden sind, drängt sich in der Realität der meisten immer mehr das tägliche Gerangel ums Überleben in den Vordergrund. Die Gründungsmitglieder von ARPAS erhielten oftmals noch im Zuge der Umsetzung der Friedensabkommen eine Zeit lang internationale Hilfen für die Finanzierung ihrer Aktivitäten. Heute stehen sie, ebenso wie die neuen Mitglieder der Vereinigung, vor der Notwendigkeit, ihre Finanzierung durch Werbung zu sichern. Radio Milenio setzt dabei auf hippe Musiksendungen, vor allem, weil seine HörerInnen meist junge Leute sind, ebenso wie das Milenio-Team. Das wichtigste Standbein ist jedoch die Sportberichterstattung. „Das bringt Werbekunden“, erklärt Eva. Für die monatlichen Ausgaben reichen die Einkünfte aus der Werbung aber längst nicht aus, ebenso wie die anderen Radios zahlt Milenio nur winzige Löhne oder Honorare und setzt auf die Selbstausbeutung der MitarbeiterInnen. Für die Leute von Radio Milenio, Radio Izcanal und den anderen ARPAS-Sendern bedeutet der Wahlsieg von Mauricio Funes auch eine ganz konkrete Hoffnung auf finanzielle Unterstützung durch eine progressive Regierung, die sich der Bedeutung der lokalen Radiosender bewusst ist.

Der Tag endet mit der Berichterstattung nach der Stimmenauszählung und der Verkündigung des Siegers. „Wir haben ein Team, das im Auto unterwegs ist. Die berichten von den Bezirkswahlämtern, an die die Wahlurnen übergeben werden, später dann von den Hauptquartieren der Parteien, beispielsweise ob Aktivitäten geplant sind, um den Wahlsieg zu feiern.“ In der Nacht des 15. März 2009 ist eine Wahlfeier geplant, sie findet auf den Straßen um die Plaza Masferrer in San Salvadors Nobelviertel Escalón statt und setzt sich fort bis in die frühen Morgenstunden. Der Kandidat der Linken, Mauricio Funes, hat gewonnen, so dass der Wahltag für die Radioleute mit Jubel endet, aber auch mit einer beachtlichen Statistik an Unregelmäßigkeiten und Berichten über Betrug und fragwürdige Methoden. Eva berichtet am Mikrofon: „Unter anderem Wahlberechtigte, deren Daten im Wahlregister nicht gefunden werden konnten, oder gefunden wurden und es sich dann herausstellte, dass offensichtlich bereits jemand für sie gewählt hatte. Beschwerden gab es auch über das Gebaren der Parteien vor den Wahllokalen. Die meisten Diskussionen gab es um die Art, wie an den Wahltischen mit abgegebenen Stimmen umgegangen wurde, wenn darüber diskutiert wurde, ob die Stimmabgabe zugelassen werden konnte oder nicht, ob der Wahlzettel vielleicht ungültig war, obwohl genau das im Wahlrecht in allen Einzelheiten geklärt ist. Es gab Fälle, in denen die Wahlberechtigten zwar ihren Daumen in die wasserfeste Tinte tauchen sollten (um ein mehrmaliges Wählen zu verhindern, H.K.), ihnen dann aber anschließend keine Wahlunterlagen ausgehändigt wurden.“ Wie die einheimischen und internationalen WahlbeobachterInnen haben die Medien bei den Wahlen vom 18. Januar und 15. März ihren Beitrag zur Aufdeckung von Betrug und Schwächen im Wahlprozess geleistet. Ob die Berichte über versuchten Wahlbetrug noch ein Nachspiel haben werden oder in die Umsetzung eines transparenten Ablaufs bei den nächsten Wahlen einfließen werden, bleibt erst mal dahingestellt. Dabei wäre es wichtig, sich mit diesem Aspekt genauer zu beschäftigen, um künftige Wahlen transparenter zu gestalten.

Sicher ist, dass der Wahlsieg der FMLN auch für die kommunalen Radiosender einen wichtigen Impuls bedeutet. Eine weitere Aufgabe für die neue Regierung – und eine, an der sie sich nicht die Zähne wird ausbeißen müssen, denn die Radioleute warten nur auf eine Chance, ihr Medium weiter zu entwickeln und ihre selbst gestellte Aufgabe, Informationsarbeit an der Basis zu leisten, unter günstigeren Bedingungen angehen zu können