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Lieber Narco als schwul?

Homosexualität ist in Kolumbien ein Stigma

Ein Staat kann sich schlecht demokratisch und pluralistisch nennen, wenn seine Behörden ein Verhalten voller Vorurteile, Diskriminierungen und Stigmatisierungen an den Tag legen. Das scheint leider in Kolumbien das übliche Panorama zu sein, zumindest was sexuelle Freiheit und männliche Rollenmodelle betrifft.

Nelson Camilo Sánchez

Nicht wenige Staatsdiener haben immer noch nicht begriffen, dass Homosexualität keine Krankheit oder Abnormität ist, die man heilen oder bekämpfen muss, sondern dass es sich dabei um eine legitime sexuelle Orientierung und einen essentiellen, intimen Aspekt der persönlichen Identität handelt. Ihnen zufolge muss Homosexualität nicht nur getadelt, sondern sogar bestraft werden. Einige Personen vertreten gar die Meinung, dass homosexuelle Neigungen, Verhaltensweisen oder Erscheinungsbilder mit Delinquenz oder einer Art Wildheit gleichzustellen sind. Ein Beispiel dafür ist der Fall des neuen Disziplinarstaatsanwalts (procurador) und seine These von der „freien Entwicklung der Animalität“.

Man könnte denken, dass solche Positionen nur von Personen mit konservativer und moralistischer Grundhaltung bezogen würden, bei fortschrittlichen Sektoren und Parteien jedoch ausgeschlossen sind. Aber dies ist falsch. Die kolumbianische Politik ist von den Vorurteilen und der Logik machistischer und homophober Dominanz geprägt. Dies ist in der Tat eine der wenigen Übereinstimmungen, die es zwischen einer ansehnlichen Zahl von traditionellen und oppositionellen Politikern gibt.

Ein Beispiel dafür sind die Erklärungen des städtischen Menschenrechtsbeauftragten (personero) von Bogotá, Francisco Rojas Birry, einem Embera-Indígena und Politiker des Linksbündnisses Polo Democrático Alternativo, die er im Zusammenhang mit seiner mutmaßlichen Verwicklung in einen Finanzskandal abgegeben hat. Er sagte: „Sie haben mich fertiggemacht, mich in Stücke zerlegt, mich als Killer, sogar als Narco bezichtigt. Das einzige, was jetzt noch fehlt, ist zu sagen, dass ich ein Vergewaltiger oder ein Schwuler bin.“ Anscheinend spiegelt sich in der Vorstellungswelt von Herrn Rojas Birry die Tendenz wieder, dass bei Beschimpfungen und Beleidigungen vorzugsweise Wörter verwendet werden, die sich auf die freie sexuelle Wahl beziehen. Was könnte in gleicher Weise so schrecklich sein wie etwa die schlimme Beschuldigung, Narco (Drogenhändler) oder Vergewaltiger zu sein? Nun, eben schwul zu sein.
Aber das Stigma hört hier noch nicht auf. Es drückt sich in einer systematischen Verweigerung von Rechten aus: Denjenigen, die die Vielfalt von sexuellen Identitäten verteidigen, wird Anerkennung und Gleichstellung verweigert. Wie könnte man sonst erklären, dass im nationalen Parlament sechs Gesetzesinitiativen, die gleichgeschlechtlichen Paaren gleiche Rechte zugestehen wollten, gescheitert sind? Oder dass das Außenministerium sich geweigert hat, eine Empfehlung des UN-Menschenrechtskomitees in diesem Bereich umzusetzen? Oder dass die 60 Fälle von Morden an homo-, bi- und transsexuellen Personen, die im letzten Bericht der Organisation Colombia Diversa aufgeführt sind, nicht aufgeklärt werden?

Wirklich Sorge bereitet, dass derartige Positionen von Führungspersonen bei Kontroll- und Menschenrechtsbehörden geteilt werden. Haben procuradores und personeros nicht etwa den Auftrag, die Menschenrechte zu garantieren? Sind es nicht etwa sie, die die Staatsbediensteten in die Schranken weisen müssten, die diese stigmatisierenden und diskriminierenden Diskurse fördern? So wie der Lauf der Dinge ist, wäre es nicht verwunderlich, wenn der procurador dem Präsidenten vorschlagen würde, seine Verfassungsreform bezüglich der „persönlichen Drogendosis“ dafür zu benutzen, als „Begünstigte“ der Therapeutischen Tribunale diejenigen einzuschließen, die „anormale Lust“ praktizieren. 

Trotz einiger Fortschritte in der Rechtsprechung und einiger Initiativen lokaler Regierungen sind die Vorurteile, die die Diskriminierungen aufgrund von sexueller Orientierung aufrechterhalten, nicht beseitigt. Diese Vorurteile lassen sich nicht (nur) mit Urteilen des Verfassungsgerichtshofes beseitigen. Erst wenn wir anfangen, uns massenhaft wegen Vorfällen wie den hier geschilderten zu entrüsten und zu fordern, dass die Staatsvertreter, die diese fördern, dafür politische Konsequenzen ziehen, beginnen wir uns der ideellen Leitlinie von Pluralismus und Zusammenleben anzunähern, die uns die Verfassung von 1991 verspricht. Und selbstverständlich wäre es wünschenswert, dass die Staatsbeamten deren Inhalte etwas besser kennen würden, bevor sie öffentliche Erklärungen abgeben.

Nelson Camilo Sánchez arbeitet für das Centro de Estudios de Derecho, Justicia y Sociedad – DeJuSticia –, eine 2003 gegründete NRO, die einen Beitrag zur Debatte über Recht, Institutionen und öffentliche Politik in Kolumbien leisten will. (www.dejusticia.org). Aus: Semana, 27. April 2009. Übersetzung: Bettina Reis