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Prototyp des Diktatorenromans

„Der Herr Präsident“ von Miguel Angel Asturias neu aufgelegt
Klaus Jetz

Der lateinamerikanische Klassiker „Der Herr Präsident“ des guatemaltekischen Romanciers Miguel Angel Asturias (1899-1974) ist allemal eine Neuausgabe in überarbeiteter Übersetzung wert. Die hat der Züricher Rotpunktverlag besorgt, der zudem Asturias' Erzählband „Weekend in Guatemala“ im Programm führt. Diese spannenden, höchst politischen, da den US-Imperialismus denunzierenden Erzählungen thematisieren jene für das mittelamerikanische Land so verhängnisvollen Tage im April 1954, als die reformorientierte Regierung Jacobo Arbenz durch Intervention der CIA und der United Fruit Company gestürzt wurde.

„Der Herr Präsident“ ist Asturias' erster Roman. Er gilt als das Meisterwerk des guatemaltekischen Nobelpreisträgers, das erst 1946 in Mexiko erscheinen konnte, wo Asturias als Kulturattaché seines Landes arbeitete. Der in den zwanziger Jahren entstandene Roman hat die Diktatur von Estrada Cabrera (1898-1920) zum Hintergrund, die Asturias als junger Mensch erleben musste. Der Vater bekam Probleme mit dem Diktator, die gesamte Familie musste die Hauptstadt verlassen und aufs Land ziehen. Eigene Erfahrungen und Erlebnisse flossen durchaus in den Roman ein, doch genaue Zeit- und Ortsangaben werden vermieden. 

Auch der Diktator tritt nur hin und wieder in Erscheinung. Zudem belegen Sprache, Stil und Romanaufbau, dass es sich nicht um ein dokumentarisches Werk handelt. Denn Asturias, der bereits als Student im Paris der 20er Jahre mit den französischen Surrealisten in Kontakt gekommen war, gilt als Vorreiter des magischen Realismus in Lateinamerika, und auch in seinem Meisterwerk greift er Mythen und Legenden der Mayas auf, die für eine bildreiche Sprache, Kapitel voller symbolträchtiger Szenen und imaginäre Vorstellungswelten sorgen. '

Asturias hatte den Roman „Tyrann Banderas“ (1926) des spanischen Avantgardisten Valle-Inclán zum Vorbild. Der wollte einen lateinamerikanischen Diktatorenroman schreiben und nahm viele Elemente des lateinamerikanischen Spanisch auf. Er stellte das Groteske, Geckenhafte und übertrieben Realistische in den Mittelpunkt, eben das, was in die spanische Literaturgeschichte als género esperpéntico oder esperpentismo (esperpento meint Sonderling) eingegangen ist. Bei Asturias herrscht das bilderreiche und blumige guatemaltekische Spanisch vor, und für das Groteske und Geckenhafte sorgen der Herr Präsident, seine Entourage und die Auswüchse der Diktatur.

Der Roman weist drei Teile auf. Die beiden ersten Teile erstrecken sich über eine Woche (21.-27. April), der dritte Teil ist irgendwann in der Zukunft angesiedelt (Wochen, Monate, Jahre…). Das Werk beginnt in bedrückender Atmosphäre, in der nächtlichen Hauptstadt, unter den Arkaden „im Schatten der eisigen Kathedrale“, wo die Bettler „an der Pforte des Herrn“ ihr Nachtlager aufschlagen. Hier tötet ein Verrückter im Wahn den Leutnant José Parrales, was der Diktator ausnutzt, um mit vermeintlichen Gegnern abzurechnen, die ihm zu stark und gefährlich werden könnten. Insbesondere der General Eusebio Canales wird ihm zu vorlaut und mächtig, er will ihn beseitigen lassen. Instrument des Verbrechens ist Cara de Ángel, der sich jedoch in Canales' Tochter Camila verliebt und den Befehl des Diktators missachtet. Canales kann fliehen, Cara de Ángel heiratet Camila, der Diktator tobt. Mit der Flucht aufs Land enden die beiden ersten Teile des Romans.

Auch im dritten Teil überschlagen sich die Ereignisse. Der Leser wird in kurzen Kapiteln von Vorfall zu Vorfall getrieben, von Person zu Person, alle eint die Angst vor dem Kaziken, jene allgegenwärtige, lähmende, destruktive Angst, die für die düstere Atmosphäre voller Pessimismus im Roman sorgt, so wie all die plastischen, übertrieben detailgetreuen Darstellungen der verschiedenen Facetten einer totalitären Diktatur: blutige Folterszenen, schändliche Schauprozesse, brutalster Psychoterror und ausgeklügelte Intrigen. Gegen Ende des Romans bezahlt Cara de Ángel den Verrat an seinem Herrn mit dem Tod: Er endet nach unzähligen Intrigen und Machenschaften, seiner Persönlichkeit und Identität beraubt, in einem Straflager, wo ihm ein Mithäftling, der sich als Spitzel des Diktators entpuppt, erzählt, er habe der Tochter des Generals Canales den Hof gemacht, die ja auch die Geliebte des Herrn Präsidenten sei.

Der Roman ist die Karikatur einer unterdrückten Stadt, in der menschliche Beziehungen unmöglich gemacht, Familien zerrissen und unzählige Individuen gemeuchelt werden. Nur auf dem Land, fern von der Stadt, herrscht eine Idylle, gibt es noch ein intaktes Gemeinwesen. Die dort angesiedelten Szenen sind die einzigen lichten Momente im Roman, in der Stadt aber herrschen Alptraum, Schatten und Dunkelheit.

Der Asturias-Biograph Carlos Marroquín sah in „Der Herr Präsident“ so etwas wie ein Thermometer der politischen Temperatur in Lateinamerika: Lag ein Putsch in der Luft, verschwand er fix aus den Schaufenstern der Buchläden, da die verkommene, reaktionäre Bourgeoisie der südamerikanischen Länder sich porträtiert und durch den Dreck gezogen fühlte. Das Werk ist als Prototyp des lateinamerikanischen Diktatorenromans beste littérature engagée und begründete eine Gattung und lange Romantradition, die bis in die Gegenwart reicht und der sich auch die Crème de la Crème des lateinamerikanischen Romans (Carpentier, García Márquez, Vargas Llosa) verpflichtet fühlte und noch immer fühlt.

Miguel Angel Asturias, Der Herr Präsident, Übersetzung: Jacob Bachmann, Rotpunktverlag, Zürich 2009, 338 Seiten, 24,- Euro