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Aber einen Schelmenroman!

Abschied von Peter-Paul Zahl (1944-2011)
Gert Eisenbürger

Über 30 Jahre ist es her, ich war vielleicht 16/17 Jahre alt, als ich zum ersten Mal von Peter-Paul Zahl hörte. Von dem Drucker und Schriftsteller, der zu 15 Jahren Knast verurteilt worden war, weil er 1972 bei einer Razzia in seiner Druckerei fliehen wollte und dabei einen Polizisten mit einer Schusswaffe verletzt hatte. In erster Instanz war er dafür zu vier Jahren Haft verurteilt worden. Dagegen ging die Staatsanwaltschaft in Revision. Auf dem Höhepunkt der Terroristenhatz konstruierte das Gericht 1976 dann einen zweifachen Mordversuch und Zahl wurde zu 15 Jahren verurteilt. Die Umstände und das Urteil des zweiten Verfahrens empörten damals nicht nur Linke. Für viele Leute, so auch für mich, wurde sein Fall zu einem Symbol für den Unrechtsstaat BRD. Eine „Initiativgruppe Peter-Paul Zahl“ mobilisierte die Öffentlichkeit, ihr wichtigster Sprecher wurde der Dichter Erich Fried, eine der wenigen Vaterfiguren, die die 68er anerkannten.

Zur Charakterisierung der bundesdeutschen Justiz jener Zeit erzählte ppz (so unterschrieb er immer seine Briefe) gerne von einem Gespräch seiner Anwälte mit der damaligen sozialdemokratischen Justizministerin Nordrhein-Westfalens Inge Donnepp, in der es um seine Verlegung in den Normalvollzug und eine mögliche vorzeitige Entlassung nach Verbüßung von zwei Dritteln seiner Haftstrafe ging. Dabei verwiesen die Anwälte auf die günstige Sozialprognose ihres Mandanten und erwähnten auch, dass er im Gefängnis einen Roman geschrieben habe. Worauf die Ministerin spitz erwiderte: „Aber einen Schelmenroman!“ Also weiterhin höchst gefährlich!

Die Rede ist von „Die Glücklichen“ (1979), den er überwiegend unter den Bedingungen der Isolationshaft verfasst hat. Der Roman wurde in den achtziger Jahren zu einem Kultbuch der linksalternativen Szene, weil er wie kaum ein anderes Werk ihr Lebensgefühl in jener Zeit ausdrückte. Damals las ich „Die Glücklichen“ mit großer Begeisterung, heute würde ich sagen, dass seine ebenfalls im Knast entstandenen Gedichtbände „Schutzimpfung“, „Alle Türen offen“ und „Aber nein sagte Bakunin und lachte laut“ literarisch interessanter sind.

Trotz des Schelmenromans wurde ppz 1982 aus der Haft entlassen. Da er nicht mehr in Deutschland leben konnte, flog er auf die kleine Karibikinsel Grenada, wo seit 1979 eine Revolutionäre Volksregierung Basisdemokratie und Sozialismus zusammenzubringen suchte. Er fühlte sich wohl und wollte dort dauerhaft leben. Der Militärputsch gegen die Revolutionsregierung und die anschließende US-Invasion im Oktober 1983 machten seine Pläne zunichte. Er ging stattdessen nach Nicaragua und ließ sich 1985 in Port Antonio auf Jamaica nieder.

Um 1990 begann er Kriminalromane zu schreiben. Sein Vorbild war dabei Ret Marut, der Revolutionär und Autor, der nach der Niederschlagung der Münchener Räterepublik 1919 nach Mexiko geflohen war und dort unter dem Pseudonym B. Traven zahlreiche Abenteuerromane verfasste.

Als ppz 1994 zu einer Lesung nach Bonn kam, lernte ich ihn persönlich kennen und interviewte ihn für die ila-Reihe „Lebenswege – Schicksale von Menschen zwischen zwei Kontinenten“ (vgl. ila 177). Beim Bier besprachen wir später, dass er uns bei Bedarf Berichte aus Jamaica schicken wollte. Seitdem sind sechs oder sieben seiner Artikel in der ila erschienen. Dass es nicht mehr waren, lag nicht daran, dass er oder wir nicht gewollt hätten, sondern an der etwas schwierigen Kommunikation. Denn ppz war einer der wenigen, der sich den neuen Technologien widersetzte. Er behauptete, Computer würden die feuchte salzhaltige Luft in seinem am Meer gelegenen Haus nicht vertragen. Vermutlich war das ein Vorwand: Er mochte die Dinger einfach nicht und schrieb lieber mit der Schreibmaschine. So blieb nur die Kommunikation per Post, was recht zeitaufwendig war. Ein Artikel von ihm brauchte mindestens drei Monate Vorlauf. Das war bei unseren kurzen Planungszeiten nur schwer zu realisieren – mit der Konzeption eines Schwerpunktes beginnen wir in der Regel sechs bis acht Wochen vor der Drucklegung. In späteren Jahren war er immerhin per Fax erreichbar, was aber auch seine Zeit brauchte, weil er kein eigenes Gerät hatte, sondern die Faxe an eine Kneipe oder einen Laden in Port Antonio gingen, wo er sie einmal in der Woche abholte. Ähnlich war es mit der E-Mail-Adresse, die er sich irgendwann doch zulegte.

ppz hat gerne in Jamaica gelebt, hatte dort Beziehungen und Kinder, arbeitete mit AutorInnnen und MusikerInnen zusammen. Für sein Schreiben war dies allerdings nicht unbedingt förderlich. In Deutschland hatte er in seiner Literatur eine klare Perspektive, er betrachtete die Wirklichkeit von links unten, beschrieb sympathisierend-kritisch die linke Szene und verspottete die Mächtigen gekonnt und gnadenlos. Er schrieb aus dem Blickwinkel des Narren, des Schelms oder wie sich sein italienischer Kollege Dario Fo einmal definierte, des Flegels. Im Jamaica war er ein Zugereister. Auch wenn er stets seine gute Integration betonte, blieb er der weiße europäische Intellektuelle. Den spöttischen Blick von links unten auf die Leute und die Machtstrukturen konnte er in der schwarzen postkolonialen Gesellschaft nicht einnehmen.

Seine Jamaica-Krimis sind nicht schlecht, sie vermitteln viel von der Kultur und beschreiben liebevoll den Alltag der Leute. Sie packen auch sensible Themen an, etwa im Roman „Im Todestrakt“ die verbreitete Homophobie auf der Insel. Doch in der Schilderung der gesellschaftlichen und politischen Strukturen tritt an die Stelle seines schelmischen Blicks ein moralisch-wertender Erzählstil, der Kriminalromanen nicht guttut.
Neben den Romanen um den Privatdetektiv Frazer hat er auf Jamaica noch mehr geschrieben, darunter das wunderbar anarchistische Kinderbuch „Ananzi ist schuld“, eine höchst informative Landeskunde „seiner“ Insel, und das Kochbuch „Die Geheimnisse der karibischen Küche“, einer der Titel mit dem höchsten Gebrauchswert in meinem Bücherregal.

Einmal blitzte sein schelmischer Stil noch auf, nämlich in der Affäre um seine Ausbürgerung. Weil er sich 1995 in Jamaica hatte einbürgern lassen, entzog ihm die BRD 2002 die Staatsbürgerschaft. Für ppz war das durchaus existenzbedrohend, da er von seinen gelegentlichen Lesereisen oder Theaterinszenierungen in der BRD einen erheblichen Teil seines Lebensunterhalts bestritt. Durch die Ausbürgerung wurde er steuerlich deutlich schlechter gestellt. Dennoch war ppz in dem Konflikt wieder in seinem Element: er stieg – unterstützt von alten MitstreiterInnen – noch einmal in den Ring gegen die Staatsgewalt, in diesem Fall personifiziert durch Außenminister Joschka Fischer. Seine spöttischen Briefe an Fischer gehören zum Schönsten und Lustigsten, was ppz in den letzten Jahren geschrieben hat. Nach zweijährigen Protesten wurde er 2004 wieder eingebürgert.

Und nun ist er tot, an Krebs gestorben. Ähnlich wie sich der französische Poet und Anarchist Georges Brassens schon zu Lebzeiten in Sête eine Grabstätte mit Meerblick ausgesucht hatte, hatte ppz eine solche unweit seines Hauses auf Jamaica bestimmt.