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Rauchende Kühlerhaube

Hip-Hop in Havanna: Afroamerikanische Musik im Widerstand
Britt Weyde

Hanna Klien hat ein Buch zu cubanischen Rappern der zweiten Generation1 veröffentlicht, das reich an Fakten und O-Tönen ist. Darin kommen Raperos zu Wort, die mit ihren Texten Kritik an Repression, zunehmender Verarmung, aber auch an Kommerzialisierung und Konsumgesellschaft üben. Sie kämpfen für Meinungsfreiheit und Gerechtigkeit und sehen sich selbst als „Untergrundkrieger“. 

In der Einleitung bestimmt Klien ihren eigenen Standort als europäische Forscherin, die mit den cubanischen Autoritäten in Konflikt geraten ist sowie bestimmten Erwartungshaltungen und Vorurteilen begegnete – ein Interviewpartner führte erst einen „ideologischen Check-Up“ durch: „So zum Beispiel Mestizo, der mich fragte, ob ich die Autobiographie von Malcolm X gelesen hätte, und sich erst dann Zeit für ein Interview nahm.“ (S. 18) Hier schimmert schon durch, dass sich viele afrocubanische Raperos in einem größeren afroamerikanischen Zusammenhang verorten. 

Bevor auf Hiphop in Havanna und die Strategien des kulturellen Widerstands eingegangen wird, liefert Hanna Klien einen konzisen historischen Überblick mit Schwerpunkt auf die letzten 50 Jahre und reißt die wichtigsten sozialen und ökonomischen Veränderungen in Cuba seit Zusammenbruch des Ostblocks und Ausrufung der Período Especial (1991) an: Tourismusboom, Wettstreit um Devisen, neu aufflammender Rassismus, Migration. Im postsozialistischen Cuba kehrt die Klassengesellschaft zurück, denn von Rücküberweisungen durch ausgewanderte Familienangehörige oder Devisengeschäfte im informellen Bereich profitieren nicht alle gleichermaßen, vielmehr setzen sich strukturelle Benachteiligungen, die durch die Revolution 1959 abgemildert werden konnten, erneut und verstärkt wieder durch. Rassismus auf Cuba? Existiert offiziell gar nicht. Dementsprechend gibt es auch keine afrocubanischen Organisationen. Die Unzufriedenheit mit ungerechten Lebensbedingungen bahnt sich in Subkulturen ihren Weg. Hinzu kommen neue marginalisierte Bevölkerungsgruppen: Illegale BinnenmigrantInnen, die Palestinos genannt werden. Weil u.a. die Agrarpolitik der Regierung der Verarmung vieler Provinzen nicht wirklich etwas entgegen setzen kann, kommt es zur verstärkten Landflucht; die meisten gehen in die Hauptstadt, wo sich Devisengeschäfte und Tourismus konzentrieren. Diese unerlaubte Zuwanderung wird mit Geldstrafen oder Abschiebungen geahndet. Das Leben der Palestinos in Havanna ist besonders prekär, da sie vom sozialistischen System ausgeschlossen sind und z.B. keinen Anspruch auf kostenlose Lebensmittel der Libreta haben. Sie sichern ihren Lebensunterhalt meist mit illegalen Tätigkeiten, z.B. auf dem Schwarzmarkt. 

Marginalisierte, die es eigentlich gar nicht geben dürfte und die in ihren Raps ausgeblendete soziale Missstände benennen – das ist natürlich eine harte Nuss für den cubanischen Staat. Was macht er? Er kümmert sich um die entstehende Subkultur. So wird 2001 die Agencia Cubana de Rap gegründet. Deren erste Direktorin soll denkbar ungeeignet für den Posten gewesen sein: Sie gehörte nicht zur Hiphop-Community und interessierte sich auch nicht sonderlich dafür. Die meisten Underground-Rapper fühlen sich von der Rap-Agentur nicht repräsentiert. Die von der Agentur betreuten MusikerInnen wiederum fungieren einerseits als Vermittler, andererseits büßen sie ihre Autonomie ein.

Nach einem kurzen Boom befindet sich der cubanische Hiphop seit 2006 in einer Krise: Es gibt kaum noch Unterstützung von Seiten des Staates. Die Begründung: Hiphop habe seine soziale Funktion erfüllt. Außerdem käme beim Publikum Reggaeton viel besser an.

Im Hinblick auf die zweiten Generation konstatiert die cubanische Hiphop-Zeitschrift Movimiento eine deutliche Radikalisierung und Politisierung: „Die zweite Generation ist Feuer, Rauch aus der Kühlerhaube(…) mir kommt es aggressiv vor, sehr ernst.“ (S. 82) Die von Hanna Klien interviewten Rapper meinen es wirklich Ernst, sie wollen Wissen vermitteln, kritisieren und soziale Chronisten sein sowie ihr Publikum mobilisieren. Während die erste Generation konstruktive Kritik übte, ist die zweite kompromiss-loser und befindet sich in einer klaren Oppositionsrolle gegenüber der Regierung. Dennoch, und das stellt Hanna Klien explizit heraus, verorten sich die meisten innerhalb der Cubanischen Revolution. 
Die Autorin schafft es sehr gut, die verschiedenen Dilemmata der afrocubanischen Raperos, die an mehreren Fronten kämpfen, darzustellen. Darüber hinaus bekommen die LeserInnen Rap-Texte und junge dissidente – linke – Stimmen serviert. Kliens differenzierte Darstellung nimmt auch den blinden Gender-Fleck der Szene unter die Lupe. Alternative feministische Stimmen werden innerhalb der cubanischen Institutionen kaum wahrgenommen: Deshalb ist Rap ein wichtiges Medium für sie. Die Raperas kritisieren Rassismus, Sexismus, Homophobie, doch von ihren männlichen Kollegen werden sie nicht ernst genommen – sie seien „kommerzieller orientiert“ lautet ein Vorwurf. In einer machistischen Gesellschaft, in der trotz Revolutionsbemühungen die wichtigen Machtpositionen von Männern besetzt und im Privaten spätestens ab Familiengründung die Zuständigkeiten klar und traditionell aufgeteilt sind, ist ein Leben im prekären Hiphop-Untergrund sehr schwierig zu bewerkstelligen. So hat die weibliche Beteiligung in der Bewegung in den letzten Jahren auch dramatisch abgenommen.

Hanna Klien, Hip-Hop in Havanna. Afroamerikanische Musik im Widerstand, Lit-Verlag, Wien 2009  http://hip-hopinhavanna.blogspot.com

  • 1. In Abgrenzung zur Ersten Generation, der sog. Vanguardia (Avantgarde) des Hiphop auf Cuba