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Rebellische Frauen in Mexiko

Zwischen Surrealismus, Avantgarde und Rebellion
Laura Held

Dieser schmale Band, der als Band 11 der Reihe „Widerständige Frauen“ im Verlag Edition AV erschienen ist, „hat sich vorgenommen, Schriftstellerinnen, Künstlerinnen und Wissenschaftlerinnen, die in Mexiko gearbeitet haben, Frauen mit politisch und künstlerisch avantgardistischen Ideen vorzustellen“, wie es im Rückentext heißt.

Es sind ausnahmslos sehr spannende und hierzulande teilweise recht wenig bekannte Frauen, die hier vorgestellt werden, wie die in Mexiko aufgewachsene US-Amerikanerin Anita Brenner, Anthropologin, Kunsthistorikerin und Kinderbuchautorin, die eine begeisterte Anhängerin der mexikanischen Revolution war und in den 20er Jahren ihr „Versanden“ beklagte. Anita Brenner war mit Frida Kahlo befreundet, durch ihre Vermittlung kam Trotzki nach Mexiko. 

Alma Reed, die sich als Journalistin durch ihr Eintreten gegen die Todesstrafe für Minderjährige in den USA einen Namen machte und später dem verarmt in New York lebenden mexikanischen Künstler Orozco durch ihre Biografie wieder zu neuer Bekanntheit verhalf, findet Eingang in das Büchlein, weil sie sich bei ihrem Mexiko-Besuch 1923 in den anarchistischen Bürgermeister Felipe Carillo Puerto verliebte, der seinen Einsatz für eine Landreform und ein neues Familien- und Schulgesetz mit dem Leben bezahlte, weshalb es nicht zur geplanten Eheschließung mit Alma Reed kam. 

Die dritte unter der Rubrik „Unter Mayas und Azteken“ vorgestellte Wissenschaftlerin ist die Archäologin Laurette Séjourné, eine in Italien geborene Französin, die als Lebensgefährtin des Anarchisten Victor Serge nach der Niederlage der Anarchisten im spanischen Bürgerkrieg nach Mexiko ausreiste und dort bis zu ihrem Tod blieb. Sie wurde durch ihre Bücher über Denken und Religion im alten Mexiko bekannt.

Es folgen Kurzvorstellungen der drei surrealistischen Malerinnen Alice Rahon (zeitweise Ehefrau von Wolfgang Paalen), Remedios Varo und Leonora Carrington, alle drei Immigrantinnen, die aber während großer Teile ihres Lebens die Künstlerszene Mexikos bereicherten. Es folgen zwei Fotografinnen, die ungarische Anarchistin Kati Horna, die 1939 nach dem Sieg der Frankisten ins mexikanische Exil floh, und die in Polen und den USA aufgewachsene US-Amerikanerin Bernice Kolko, die 1951 nach Mexiko kam und deren Bilderserien über „mexikanische Frauen“, „mexikanische Gesichter“ und den mexikanischen Alltag in mehreren internationalen Ausstellungen Aufsehen erregten.

Die letzten drei sind mexikanische Schriftstellerinnen, die Feministin Rosario Castellanos, die wegen ihrer polarisierenden Äußerungen umstrittene Schriftstellerin Elena Garro (lange Jahre mit Octavio Paz verheirat) und das mexikanische „Gewissen der Nation“, die Journalistin, Jornada-Mitbegründerin und Sachbuchautorin Elena Poniatowska. 

Die Beschreibungen sind nicht direkt biografisch, sondern bestehen eher aus einer Aneinanderreihung von Zitaten und Anekdoten aus dem Leben der Porträtierten, angereichert mit Berichten über die mexikanische Revolution, das rasante Anwachsen von Mexiko-Stadt, die Emigrantenszene in Mexiko in den 20er und 30er Jahren und das Massaker von Tlatelolco. Über die Porträtierten urteilt die Autorin sehr subjektiv, vor allem über die „esoterischen Gedankenwelten“ der Surrealistinnen, die sie verurteilt.

Da die Autorin ihre Sympathien für die Anarchisten nicht verhehlt und auch sonst ihre Einschätzungen und Meinungen von Land und Leuten sehr direkt formuliert, hätte ich mir gewünscht, in dem Buch etwas über sie zu erfahren, wer sie ist und welche Motivation sie für das Buch hatte. Auch die Auswahl der zehn vorgestellten Frauen (eigentlich elf, denn auch die Schriftstellerin Katherine Anne Porter und ihre drei Mexiko-Besuche werden vorgestellt) bleibt subjektiv und nicht nachvollziehbar: Sollen es Immigrantinnen und Besucherinnen sein – dagegen spricht das letzte Kapitel über Schriftstellerinnen – politisch engagierte Frauen (das trifft nicht auf alle zu) oder einfach nur die, die die Autorin spannend findet?

Insgesamt ist der anekdotische und sehr sprunghafte Stil amüsant zu lesen, und viele der beschriebenen oder zitierten Episoden sind ganz spannend, etwa dass Frida Kahlo André Breton als „alte Küchenschabe“ bezeichnete, dass Alice Rahon mindestens drei lesbische Liebesbeziehungen hatte oder dass Remedios Varo täglich drei Päckchen Zigaretten rauchte und sich bis 2006 ein Erbschaftsstreit über ihre Bilder hinzog. 

Insgesamt aber erfährt man zu wenig über die Frauen, denen jeweils nur zwischen zwei und sieben Seiten gewidmet werden. Der Kontext der Surrealistinnen und der Künstler- und Emigrantenszene in Mexiko in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wird noch am ehesten sichtbar, aber das ständige Abschweifen und Springen im Erzählmodus ist auf die Dauer anstrengend zu lesen, auch bleibt zuviel unklar. Teilweise kam es mir vor, als wären die einzelnen Artikel zu den Frauen aus einem anderen Buch herauskopiert und neu zusammengestellt worden. 

Da es viel zu wenig Bücher über die in dem Buch vorgestellten Frauen gibt, wäre es zu wünschen, dass demnächst spannend geschriebene und gut recherchierte Biographien zumindest über einige von ihnen in Deutschland erscheinen. Dieses Buch schließt die Lücke leider nicht. 

Schmidt, Birgit: Andere Wege: zwischen Surrealismus, Avantgarde und Rebellion. Künstlerinnen und Wissenschaftlerinnen in Mexiko, Verlag Edition AV, Lich 2010, 103 Seiten, 11,80 Euro