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Die Gewalttäter fühlen sich im Recht

Interview mit Dane Lewis über Homophobie in Jamaica und erste positive Signale gegen die Diskriminierung

Jamaica ist bekannt für seine ausgeprägte Homophobie, es kam und kommt immer wieder zu brutalen Gewaltakten gegen Homosexuelle. Im folgenden Gespräch äußert sich Dane Lewis, Direktor der LGBT-Organisation J-FLAG (Jamaica Forum for Lesbians, All-sexuals and Gays) dennoch positiv über die Entwicklungen der letzten Zeit. Die nach wie vor angespannte Situation wird jedoch an den Umständen des Interviews deutlich: Als er mir die Adresse der Organisation schickt, schreibt er: „Sag dem Taxifahrer nicht, zu wem du fährst, sondern gib ihm nur die Adresse.“ An dem Haus mit der angegebenen Nummer gibt es kein Schild und keinen Hinweis, es wirkt fast verlassen. Erst nach einigem Durchfragen komme ich an, wohin ich will.

Ina Hilse

Kannst du die Lebenssituation von LGBT in Jamaica beschreiben?

J-FLAG wurde 1998 gegründet und ist die einzige Menschenrechtsorganisation für LGBT in Jamaica. Über die Jahre haben wir die ganze Bandbreite von Menschenrechtsverletzungen gesehen, von verbalen Angriffen über Mob-Attacken, junge Menschen, die ihr Dorf verlassen mussten, weil die anderen EinwohnerInnen sie bedroht hatten, physischer und sexueller Gewalt bis zu Mord. Die Situation für Lesben ist ähnlich, bei ihnen konzentrieren sich die Angriffe vor allem auf Vergewaltigungen. Aufgrund der Berichte, die wir aus dem ganzen Land über Übergriffe erhalten, erstellen wir Statistiken, die wir alle sechs Monate veröffentlichen. Die staatlichen Institutionen, Polizei und Regierung, empfinden das als Ergänzung ihrer Daten, da sie Angriffe gegenüber Leuten aus der LGBT-Community nicht spezifisch erheben. 

Am Anfang waren es 30 Fälle pro Jahr, aber in 2011 waren es 85 Fälle, die bei uns vorgebracht wurden. Eine wichtige Tendenz, die wir aus der Datenbank sehen können: Die Übergriffe geschehen nun näher an oder in den Wohnorten der Betroffenen. Vorher fanden sie stärker im öffentlichen Raum statt. Junge Menschen von 16 bis 24 Jahren werden am häufigsten angegriffen. Wir unterstützen die Leute, die zu uns kommen, auch wenn sie medizinische Versorgung brauchen oder einen sicheren Ort, an dem sie sich aufhalten können.

2011 haben wir eine Studie durchgeführt, in der deutlich wurde, dass 85 Prozent der JamaicanerInnen homophobe Einstellungen haben. Die Mehrheit hat sich gegen eine Entkriminalisierung von einvernehmlichen homosexuellen Beziehungen zwischen Erwachsenen ausgesprochen. In einer so homophoben Gesellschaft entwickeln die Leute Mechanismen, um zu überleben. Schwule Männer leben in heterosexuellen Beziehungen, um Sorgen von Familienmitgliedern fernzuhalten. Auch Lesben haben Partnerschaften mit Männern und bekommen Kinder.

Ich selbst nutze meinen wirklichen Namen auch in der Öffentlichkeit, allerdings nicht mein Gesicht. Auch bei Interviews im Fernsehen erscheint nur meine Stimme.

Wie ist die rechtliche Situation?

Es gibt ein Gesetz, das Buggery Law genannt wird, das Analsex kriminalisiert. Das könnte theoretisch auch zwischen einem Mann und einer Frau stattfinden, es wird aber genutzt, um Homosexuelle zu kriminalisieren. Das „Problem“ dabei ist, dass jemand eine Anzeige erstatten muss. Das wird bei zwei homosexuellen Partnern, die Analsex hatten, nicht der Fall sein, so dass sie in Flagranti von der Polizei erwischt werden müssten. Daher wird es genutzt, um die Community einzuschüchtern oder zu bedrohen, zum Beispiel wenn Polizisten in der Öffentlichkeit Leute sehen, die ihnen homosexuell „erscheinen“.

Es geht also nicht so sehr um die legale Situation, sondern vor allem um den sozialen Druck?

Ja. Die Homophobie in der Gesellschaft setzt sich aus vielen kleinen Versatzstückchen zusammen, die zusammen den sozialen Druck ergeben. Wie reagieren wir auf das Andere, auf einen Mann, der, gemessen an der jamaicanischen Gendernorm, feminisiert erscheint? Und damit homosexuell erscheint? Er wird als geringerwertiger Mann eingestuft, weil er mit einem anderen Mann zusammen ist. Wir haben viele evangelikale oder fundamentalistische Kirchen in Jamaica, eine christliche Kultur, die sich auf das Alte Testament beruft. Die Gesellschaft nutzt diese „christlichen“ Werte als Rechtfertigung für die Gewalt gegen Homosexuelle. Die Homophoben fühlen sich im Recht, weil sie der Meinung sind, dass Homosexualität unmoralisch sei.

Warum glaubst du, dass Jamaica solch eine homophobe Gesellschaft ist? Es gibt andere christliche Gesellschaften, die nicht so ausgeprägt homophob sind.

Wenn ich das wüsste, hätten wir die Lösung gefunden! Es kommen mehrere Faktoren zusammen: Die fundamentalistische christliche Kultur, das Gesetz, das die Homophobie unterstützt, PolitikerInnen, die bis vor kurzem offen homophob aufgetreten sind. Der vorherige Premierminister Bruce Golding hat sich zum Beispiel 2008 öffentlich dahingehend geäußert, dass keine homosexuelle Person in seiner Regierung tätig werden würde. Die neu gewählte Premierministerin Portia Simpson Miller hat eine ganz andere Position: Sie sagt, bei ihr spiele die sexuelle Orientierung keine Rolle bei der Auswahl der MitarbeiterInnen. Es gibt also eine Veränderung bei der politischen Führung. Die Premierministerin hat außerdem angekündigt, das Buggery Law zu reformieren. Es ist ein wichtiger Schritt, wenn sich die Führungsebene einer Gesellschaft deutlich und öffentlich gegen die Diskriminierung positioniert. Das tut die aktuelle Regierung.

Du siehst also insgesamt Fortschritte?

Diese Prozesse dauern viele Jahre. Es beginnt mit solchen Statements wie dem erwähnten der neuen Premierministerin. Auch als sich Golding 2008 so diskriminierend äußerte, hat es Stimmen gegeben, die das kritisiert haben. Das sind Schritte in die richtige Richtung.

Wir versuchen, den Wandel zu unterstützten. Wir treten in den öffentlichen Medien auf, um unsere Position zu verbreiten. Ein großer Teil unserer Arbeit ist aber auch die Kommunikation mit Einzelpersonen, die sich später in ihren öffentlichen Ämtern entsprechend äußern. Das braucht viel Zeit, bis diese Menschen ein Bewusstsein entwickelt haben und die richtige Sprache nutzen, um mit dem Thema umzugehen. Es ist wichtig, Dinge in einer bestimmten Art und Weise zu benennen, um wirklich einen Wandel hervorzurufen und nicht die Stereotype zu zementieren. Vieles von dem, was gut gemeint ist, bewirkt das Gegenteil. Zum Beispiel Gay Rights. Das suggeriert, dass wir spezielle Rechte hätten, die nur für uns gelten. Dabei geht es darum, dass die Rechte, die für alle anderen gelten, auch für uns gelten. 

Es gibt ein generelles Unwissen darüber, dass Leute immer noch aufgrund ihrer sexuellen Orientierung Angriffen ausgesetzt sind, von zu Hause verjagt und verstoßen werden. Gerade im Februar hatten wir den Fall eines 24-jährigen Bisexuellen, nennen wir ihn Mike. Seine Freundin hatte in seinem Dorf erwähnt, dass er bisexuell ist. Daraufhin wurde ihm deutlich zu verstehen gegeben, dass er das Dorf sofort zu verlassen habe. Ein guter Freund warnte ihn, dass es Pläne gebe, ihn zu ermorden. Obwohl seine ganze Familie dort lebt, kann er nicht zurückkehren.

Auch die Arbeit mit kirchlichen Autoritäten trägt Früchte. Das machen wir nicht direkt selbst, sondern eine befreundete Organisation. Es gibt hier viele evangelikale Gruppen und wir wollen verhindern, das hier das gleiche passiert wie in Uganda, wo die sexuelle Orientierung stärker kriminalisiert wird als vorher, also der Prozess in die falsche Richtung läuft. Wir müssen aufpassen, dass, während wir versuchen, vorwärts zu gehen, die Regierung nicht zehn Schritte zurück macht. Das heißt, wir müssen auf einer Höhe sein mit denen, die unsere Rechte beschneiden wollen.

Du hast vorhin einen Mordfall erwähnt, kannst du den genauer schildern?

Zwei Jungen aus dem gleichen Dorf haben einen anderen ermordet, den sie seit Jahren kannten. Sie sind zusammen aufgewachsen und es war seit Jahren bekannt, dass der Ermordete schwul war. Ihm wurde der Kopf vom Rumpf abgetrennt. Wir beobachten nun, wie der Fall vom Gericht behandelt wird. Das Thema der sexuellen Orientierung wurde aufgebracht und wir werden sehen, wie es sich entwickelt.

Ich habe einige Jahre in Honduras gelebt, auch eine sehr homophobe Gesellschaft, wenn auch in einer anderen Art als hier in Jamaica. In Diskotheken von Homosexuellen wurden regelmäßig von der Polizei Razzien durchgeführt. Danach wurden Männer auf die Wache mitgenommen und gezielt mit den andern männlichen Gefangenen in eine Zelle gesperrt, damit sie dort vergewaltigt und misshandelt würden.

Da haben wir einige Fortschritte erzielt, je nachdem, um welches Polizeiquartier es sich handelt. Wenn sie genug Platz haben, würden sie die homosexuell erscheinende Person vermutlich allein in eine Zelle sperren, zu ihrer eigenen Sicherheit. Das ist eine positive Sache, aber sie ist auch zweischneidig: Dann ist die Person offiziell als homosexuell identifiziert und es können Gewaltakte nach der Entlassung aus der Polizeiverwahrung folgen. Aber die Polizei ist grundsätzlich gewillt, die Situation anzugehen. Es gab Schulungen, dass sexuelle Orientierung einer Person nicht bestimmen darf, welche Behandlung sie erhält.

Gibt es ein politisches Bewusstsein in der LGBT-Community?

Die Community muss noch viel lernen über ihre Rechte und wie sie zu erlangen sind. Und auch im Bereich der „internen“ Homophobie der Homosexuellen gegen sich selbst ist noch viel zu tun. Wenn du dein ganzes Leben lang gehört hast, dass du die größte Sünde begehst, dass du eigentlich keinE richtigeR StaatsbürgerIn mehr sein darfst, dann wirkt sich das auch auf die Selbstwahrnehmung und das Verständnis deines Selbst aus. Daher ist auch ein Teil unserer Arbeit, ein Bewusstsein in der Community für das Recht auf Nichtdiskriminierung zu wecken, auf freie Gesundheitsversorgung, soziale Unterstützung. 

Wie nehmen Schwule und Lesben Kontakt zueinander auf?

So wie sie es vermutlich in allen homophoben Gesellschaften tun, auf sehr versteckte Art: Über geschlossene Gruppen im Internet, über persönliche Bekanntschaften. Es gibt einige Nachtclubs. Der Polizei ist bekannt, dass es sich um Orte der Gay-Community handelt und die EigentümerInnen konnten eine Beziehung zur Polizei aufbauen, die es ermöglicht hat, dass diese Läden weiter bestehen. Es gab nur einen Nachtclub, in dem die Polizei vor ungefähr zwei Jahren eine Razzia durchführte, bei der auch Leute verprügelt wurden. Ohne eine gute Beziehung zur Polizei ist die Sicherheit nicht gewährleistet.

Das Gespräch führte Ina Hilse im März 2012 in Kingston.