ila

Lukrativer Raubbau

Peru ist weltweit der größte Fischmehlproduzent

Peru ist der größte Exporteur des eiweißreichen Futters, das hauptsächlich aus Sardinen, Anchovis und immer mehr Makrelen hergestellt wird. Doch die gibt es immer weniger. Steigende Preise tragen zur Überfischung bei, wie Journalisten aus Peru und Chile nachgewiesen haben.

Knut Henkel

Gemächlich flattern die schwarzen Netze im lauen Wind. Hinter den schwarzen, feinmaschigen Bahnen läuft das Förderband. Unendliche Mengen von Anchovis, in Peru anchoveta genannt, werden darauf zur Weiterverarbeitung in die weitläufige Anlage der Fischmehlfabrik Tasa transportiert. 140 Tonnen kleiner Fische kann die Fabrik am Hafen von Chimbote pro Stunde verarbeiten. „Wir zählen zu den Großen“, verkündet Nestor Gómez mit stolzer Stimme. Er ist der leitende Ingenieur der nagelneuen Anlage, die erst seit April 2010 im Einsatz ist. Etliche Tausend Säcke Fischmehl wurden seitdem produziert, um die Nachfrage in Asien und Europa zu decken. „Das sind die Hauptabnehmer unseres Unternehmens“, erklärt Gómez, ein kleiner, kräftiger Mann und schiebt sich den weißen Kunststoffhelm in den Nacken. Tasa ist die Nummer eins am Markt – kein anderes Unternehmen weltweit produziert mehr Fischmehl als das peruanische Unternehmen.

Tasa betreibt mehrere Fabriken an Perus 2400 Kilometer langer Küste und in Chimbote, rund 500 Kilometer nördlich von der Hauptstadt Lima, steht die modernste. „Derzeit können wir kaum die Nachfrage decken, denn der Bedarf der Farmen im Norden und Süden ist immens. Ein Blick ins Open Air-Lager, welches von einem Maschendrahtzaun umgeben ist, gibt dem 52jährigen Mann recht. Auch bei den umliegenden Fischmehlfabriken, auf die man vom Turm, wo die Förderbänder enden, einen guten Blick hat, stapeln sich nur wenige der charakteristischen Plastiksäcke. Das hat verschiedene Gründe. Zum einen hat die erste Fangperiode, in der die überdimensionierte peruanische Flotte in der Regel zwei bis drei Millionen Tonnen der kleinen Fische aus dem Meer ziehen darf, gerade erst begonnen, zum anderen übersteigt die Nachfrage derzeit das Angebot deutlich. Nicht nur weil die künstliche Aufzucht von Fischen und Meeresfrüchten in Becken oder großen Käfigen immer mehr zunimmt, sondern auch, weil die Schwärme der kleinen grätenreichen Fische immer wieder einfach ausbleiben.

„Das kommt immer wieder vor, hat mit Wetterphänomenen, aber auch mit Überfischung zu tun“, erklärt Gómez schulterzuckend. Er verarbeitet, was die eigene Flotte heranschafft. 86 Trawler, von denen rund ein Viertel im Hafen von Chimbote liegt, besitzt das Unternehmen. Längst nicht alle sind im Einsatz, denn das zuständige Ministerium hat die Fangquote gesenkt. Statt sieben Millionen Tonnen wie in 2011 wird es 2012 nur eine Fangquote von 5,5 bis 6 Millionen Tonnen geben, um die Bestände zu schützen, so hat es das Ministerium angekündigt. Fisch wird immer knapper in der Region, die eigentlich zu den fischreichsten der Welt gehört. Um den Fisch und den Schutz der regionalen Bestände an Anchovis, Sardinen und Makrelen, die eine wichtige Funktion in der Nahrungskette einnehmen, ist seit einigen Monaten ein Streit zwischen den ohnehin nicht gerade befreundeten Nachbarländern Chile und Peru ausgebrochen. Schon im Januar 2012 haben die Chilenen dem Nachbarn vorgeworfen, die vereinbarten Fangquoten für Makrelen nicht einzuhalten und das Sechsfache aus dem Meer zu ziehen. 

Überfischung ist in Peru schon lange ein Thema, denn die Flotte ist deutlich zu groß und, wie Recherchen der IDL-Reporteros, einer investigativen Journalisten-Webpage belegen, werden immer wieder die Kontrollmechanismen unterlaufen und mehr Fische aus dem Meer gezogen als erlaubt.

Keine Überraschung für Experten wie den Biologen Rómulo Loayza Aguilar von der Universität Chimbote. „Der Raubbau untergräbt die Perspektiven der Fischerei, die immerhin nach dem Bergbau der wichtigste Wirtschaftssektor des Landes ist.“ Peru ist bekannt dafür, dass sich riesige Fischschwärme vor der Küste des Landes tummeln. Die Ursache dafür sind die sogenannten Auftriebswasser. „Die transportieren – einem Fahrstuhl ähnlich – nährstoffreiches, von Plankton durchsetztes Wasser aus der Tiefe in die Nähe der Oberfläche. Dadurch ist der Tisch vor Perus Küste, wo der kalte Humboldt-Strom vorbeifließt, quasi gedeckt für die kleinen Fische“, erklärt Loayza Aguilar. Wo die Kleinen in großen Schwärmen leben, sind die größeren Edelfische wie Thunfisch, Seehecht oder Barsch nicht weit. Diese Bedingungen haben dazu geführt, dass der Fischereisektor ab Ende der 50er-Jahre stetig gewachsen ist. Seit einigen Jahren gehen die Fänge jedoch zurück. 

Einzelne Edelfischarten müssen wir bereits in Chile einkaufen“, erklärt eine Fischverkäuferin auf dem Markt von Chimbote. Auch bei den kleinen Anchovis sieht es alles andere als gut aus, gibt Tasa-Ingenieur Gómez unumwunden zu: „Zehn Millionen Tonnen Anchovis und mehr haben wir noch zu Beginn dieses Jahrtausends aus dem Meer gezogen“. In diesem Jahr wird es nur die Hälfte sein. Für die Fabrik heißt das weniger Fischmehl und weniger Laufzeit für die riesigen Trommeln, in denen die kleinen Fische unter Dampf getrocknet werden. Dicke Rohrleitungen führen aus den Trommeln ins nächste Segment, wo die getrockneten Fische zermahlen werden. Mit Unterdruck geht es in weiteren Rohrleitungen in ein separates Gebäude. „Das ist unsere Abfüllanlage, wo pro Minute bis zu zwölf Säcke mit Fischmehl befüllt werden können“, erklärt Gómez und deutet auf einige Paletten mit weißen Säcken. 

Auf den Kunststoffsäcken prangt das Logo des Unternehmens, drei in einem Dreieck angeordnete Fische, darunter ist der Aufdruck „Super Prime“ zu lesen. „Super Prime“ steht für das feine, qualitativ beste Fischmehl, das in der neuen, 22 Millionen Euro teuren Fabrik ausschließlich produziert wird. „Technologisch sind wir auf dem neuesten Stand, haben Anlagen, die noch die letzten Tropfen Fischöl aus dem Abwasser ziehen, und eine moderne Filtertechnik“ berichtet Ingenieur Gómez und deutet auf eine Zentrifuge mit dem Schriftzug „Flottweg“ – aus deutscher Produktion. 

Aus Umweltperspektive bedeutet dies einen großen Fortschritt, denn in Chimbote wurde über Jahrzehnte hemmungslos Raubbau an Mutter Natur betrieben. „Die Abwässer der Fischmehlbetriebe gingen ungeklärt ins Meer, so dass der Grund der einst malerischen Bucht von einem dicken Schlickteppich bedeckt ist“, erklärt Rómulo Loayza Aguilar. Der Biologieprofessor der Universität von Chimbote wirbt seit zwei Dekaden für mehr Nachhaltigkeit in der peruanischen Fischwirtschaft. Weniger Fabriken, dafür moderne, sowie eine Reduzierung der Fangflotte ist seine Devise. Chimbote, früher ein pittoresker Fischerort, ist heute eine Stadt von rund 400 000 EinwohnerInnen. Die einst weißen Strände sind schmutziggrau, der Geruch nach altem Fisch ist rund um die Uhr präsent. „Eine Folge der enormen Mengen an fischhaltigem Abwasser, die von bis zu 44 Fischmehlfabriken eingeleitet wurden. Heute sind es zum Glück ein paar weniger. Aber auch der Dreck aus dem Stahlwerk und den Haushalten geht nahezu komplett in die Bucht“, erzählt der Wissenschaftler und schlendert die vor vier Jahren eingeweihte Uferpromenade entlang. Die führt zum Fischereihafen, wo die Kleinfischer ihren Fang anlanden. 

Einige sind in kleinen Booten unterwegs, um Edelfische wie Adlerfisch oder Seebrasse für das peruanische Nationalgericht Ceviche zu fangen. Andere jagen Langusten und Octopus. Doch viele der Fischer machen derzeit lange Gesichter. „Es gibt kaum etwas zu holen. Die Fangflotten lassen fast nichts mehr übrig. Angesichts der hohen Preise für Fischmehl werden auch andere Arten verarbeitet, die dann in der Nahrungskette fehlen“ klagt Salvador Viviano. Er ist mit seinen 58 Jahren einer der älteren Fischer am Steg und sieht kaum noch Perspektiven für die Kleinen. „Die Fabriken unterhalten viel zu große Fangflotten, es wird zu wenig kontrolliert und ohne Rücksicht auf Verluste alles aus dem Meer gezogen, was schwimmt“, klagt er. Zwar sollen moderne, satellitengestützte Kontrollverfahren genau das verhindern, aber die Fischer glauben nur, was sie sehen. Dass ihr Misstrauen berechtigt ist, zeigen die Recherchen von Milagros Salazar für IDL-Reporteros. In ihrer Reportage, die Anfang März erschien, hat sie hieb- und stichfest belegt, dass in Peru hemmungslos betrogen wird. 630 000 Tausend Tonnen anchoveta sind zwischen 2009 und der ersten Fangperiode 2011 laut den Recherchen der Reporterin gefangen, aber nicht registriert worden. „In Dollar ausgedrückt handelt es sich um eine Summe von 200 Millionen, die zusätzlich eingenommen, aber nicht versteuert wurden – ein attraktives Geschäft“, so der Redaktionsleiter von IDL-Reporteros, Gustavo Gorriti. 

Vor allem in China, aber auch in Japan oder Indonesien wird Fischmehl en gros in der Aquakultur verfüttert, ebenso wie in Schweine- und Hühnerställen. Aus drei Kilo getrockneten und gemahlenen Anchovis wird etwa ein Kilo Zuchtlachs, so eine branchenübliche Rechnung. Ein Irrsinn, kritisiert die Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) seit Jahren. Es sei verrückt, so deren Experten, tierische Proteine zu verfüttern statt sie für die Ernährung des Menschen zu verwenden. Doch das hat Tradition. Branchenführer Tasa liefert regelmäßig in die Häfen von Hamburg und Bremen. Um die 400 Millionen US-Dollar hat Tasa im letzten Jahr mit dem Export des streng riechenden Tierfutters erwirtschaftet – die ganze Fischverarbeitungsbranche kam auf rund zwei bis drei Milliarden US-Dollar. Damit könnte es bald vorbei sein, denn allein die Bestände der Makrele sind laut Recherchen von IDL-Reporteros in den letzten 20 Jahren um 90 Prozent eingebrochen.