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Pures Wunschdenken: die Öko-Garnele

Interview mit dem Umweltaktivisten Líder Góngora zur Garnelenzucht in Ecuador

Líder Góngora Farías ist Vorsitzender der Nationalen Koordination für die Verteidigung der Mangrovenwälder (CCNDEM – Corporación Coordinadora Nacional para la Defensa del Ecosistema Manglar). Die Organisation vertritt die Bevölkerung, die in Ecuador von diesem Ökosystem lebt: Muschel-, Krebs- oder LarvensammlerInnen, Kleinfischer oder Leute, die vom Holz der Mangroven leben. In Muisne, in der Provinz Esmeraldas, hat der Kampf zur Verteidigung dieses Ökosystems bereits im Jahr 1989 begonnen, was zwei Jahre später zur Gründung der „Stiftung für ökologische Verteidigung“ (FUNDECOL – Fundación de Defensa Ecológica) führte. Im Gespräch mit der ila berichtet Líder Góngora von den Auswirkungen der Garnelenzucht, der Unsinnigkeit von Ökosiegeln und der Politik der Regierung Correa.

Britt Weyde

Warum setzt ihr euch für den Erhalt der Mangroven ein?

Das Ökosystem der Mangroven ist ein Wald in Flussmündungsgebieten – hier mischen sich also Süß- und Salzwasser. Rund um dieses einzigartige Ökosystem leben viele Menschen, die mit den natürlichen Ressourcen der Mangrovenwälder ihren Lebensunterhalt bestreiten. Ecuador hat zurzeit 14,6 Millionen EinwohnerInnen, über eine Million EcuadorianerInnen sind von diesem Ökosystem abhängig und leben dort – deshalb ist das Thema so wichtig!

Wir wollten von Anfang an keine große Organisation aufbauen, sondern vielmehr in jeder Provinz bzw. jedem Ort mit kleinen Organisationen vertreten sein, die von einer übergreifenden Koordinierungsstelle zusammengehalten werden, die uns wiederum politisch vertritt. Diese Koordination wurde 1998 ins Leben gerufen. Die Ziele der Arbeit bestehen darin, das Ökosystem zu verteidigen und wiederherzustellen.

Seit den 80er-Jahren fördern Weltbank und Internationaler Währungsfonds (IWF) weltweit den Ausbau küstennaher Aquakulturen. Lief die Einrichtung der Garnelenzucht in Ecuador ähnlich ab?

1967 kam die erste Shrimpsfarm auf Initiative des IWF nach Ecuador, um die dortige Armut zu bekämpfen. Es hieß, es würden viele Arbeitsplätze geschaffen werden und die Leute könnten ihre wirtschaftliche Situation verbessern. Soweit die schöne Mär. Zu dem Zeitpunkt hatten wir schon das Gesetz, das besagt, dass das Ökosystem der Mangroven ein nationales Gut für öffentliche Nutzung ist – die Mangroven gehören also uns allen in Ecuador. Doch die Shrimpsindustrie hat sich auf eine sehr ungeordnete, ja kriminelle Art und Weise angesiedelt. Die Unternehmen besetzten einfach die Küstengebiete mit den Mangroven, zerstörten dieses nationale Gut, holzten ab und legten riesige Becken an, die bis zu 3000 Hektar groß sein können. Die lokale Bevölkerung ist vertrieben und betrogen worden. 

Hinzu kommt, dass diese Gegenden zu den ärmsten des Landes gehören, wo es wenige Arbeitsplätze gibt. Wenn dann diese Unternehmen Arbeitsplätze versprechen, lassen sich die Leute schnell einwickeln. Das sind sowohl ecuadorianische als auch internationale Unternehmen, aber auch einige unserer Politiker, die über viel wirtschaftliche Macht verfügen, sind in diesen Industriezweig involviert. Wir sagen stets, dass diese Industrie ähnlich wie der Coca-Anbau ist, weil du enorme Gewinnspannen hast. Du hast z.B. ein Shrimpsbecken, das einen Hektar groß ist, und bei der ersten Ernte bekommst di 25 Quintales (also 2500 kg) Garnelen, die jeweils 16 Gramm wiegen, d.h., mit der ersten Ernte bekommst du schon deine Investitionskosten heraus. Deshalb haben sich hier so viele Unternehmen angesiedelt, weil es ein schnelles Geschäft ist.

Ist diese Industrie auch insofern gefördert worden, als die Unternehmen keine Steuern bezahlen müssen und Umwelt- sowie Sozialauflagen fehlen?

Diese Unternehmen haben stets günstige Kredite der internationalen und nationalen Banken bekommen und die Regierung hat sie von Steuern befreit. Dieser Sektor ist schon immer von der Politik unterstützt worden, auf allen Ebenen, von Präsidenten, Ministern, Abgeordneten oder den Bürgermeistern der entsprechenden Gemeinden, die meist gleichzeitig in der Garnelen-, Bananen- oder Holzproduktion tätig sind. 

Wohin werden die ecuadorianischen Garnelen hauptsächlich exportiert?

75 Prozent gehen in die USA, die restlichen 25 Prozent nach Europa, vor allem nach Spanien, Italien, Holland und Deutschland. In diesen Ländern ist der Konsum in den letzten Jahren deutlich gestiegen, deshalb sind auch die beabsichtigten Handelsabkommen für diese Industrie so wichtig. 

Mittlerweile wollen sich auch einige Unternehmen zertifizieren lassen, damit sie ein grünes Label (für „nachhaltig“ hergestellte Garnelen, d. Red.) bekommen. Das ist ein Witz vor dem Hintergrund, dass in Ecuador 70 Prozent der Mangrovengebiete zerstört und Gewässer kontaminiert worden sind, das ökologische Gleichgewicht nachhaltig gestört, Territorium verlorengegangen und die ansässige Bevölkerung vertrieben worden ist. Vor dem Hintergrund kann es gar kein grünes Label geben – wer es dennoch verleiht, ist kriminell!

Meinst du damit das deutsche Label Naturland?

Ja, genau die. Ich war auch schon an ihrem Verwaltungssitz und habe es ihnen direkt ins Gesicht gesagt: Ihr seid hierher gekommen und habt behauptet, dass nachhaltige Garnelen produziert werden können. Dann habt ihr dem erstbesten Garnelenunternehmer ein Label verliehen, habt ihm vertraut, seid wieder weggegangen und als ihr wiedergekommen seid, habt ihr gesehen, dass er sich noch nicht einmal an die Regeln gehalten hat, die Naturland vorschreibt. Wir finden selbst diese Normen unzureichend, weil sie unrealistisch sind. Keine einzige Garnele, die in den insgesamt 243 000 Hektar Shrimpsbecken aufwächst, kann zertifiziert werden, weil diese Garnele dasselbe Wasser wie die Nachbargarnele trinkt, weil es keine Aufbereitung des Wassers gibt, weil sie in den ersten Monaten Antibiotika bekommt und erst in den letzten Monaten vor der Ernte keine Antibiotika und Pestizide mehr verabreicht werden, um die Auflagen der Europäischen Union zu erfüllen. Wir haben all das aufgedeckt, aber die Naturland-Betriebe haben selbst die eigenen – schwachen – Auflagen nicht eingehalten. 

Naturland führt seine Inspektionen durch und kassiert dafür ein Prozent der jährlichen Produktion. Wir reden hier von einem Privatunternehmen, das mit seinem Label ein Geschäft macht und die Bevölkerung hereinlegt – und damit meine ich die deutsche Bevölkerung, die z.B. an die landwirtschaftlichen Zertifizierungen glaubt. Aber im Hinblick auf Aquakulturen bedeutet dies, eine sehr blutige Angelegenheit zu zertifizieren. Schließlich sind an den Elektrozäunen derAußenwände der Shrimpsfarmen viele Menschen zu Tode gekommen und 70 Prozent der Mangroven Ecuadors verschwunden. Damit sind wir auch vor den Auswirkungen der Naturphänomene viel schlechter geschützt, die es heutzutage zunehmend gibt: globale Erwärmung, Tsunamis, Hochwasser. Diese Garnelen werden in einem Ökosystem, das aus dem Gleichgewicht geraten ist, hergestellt. Die Verschmutzung ist enorm, die Produktion wird immer intensiver, es gibt immer mehr Viruskrankheiten bei den Garnelen. Und dieser „Garnelenwahnsinn“ wird nach Europa exportiert. Ich frage mich, wer diese Dinger konsumiert.

Wir müssen die Wahrheit sagen: Nach wie vor werden Mangroven abgeholzt, wird die Bevölkerung vertrieben, werden Leute umgebracht. Ich rede nicht von der Vergangenheit, sondern von den letzten sechs Monaten. Sie haben die Außenwände der Shrimpsbecken mit Elektrozäunen versehen. Unsere compañeros und compañeras, die in der Gegend arbeiten und Meeresfrüchte sammeln, laufen mit nasser Kleidung herum. Wenn sie dann in Kontakt mit diesen Hochspannungszäunen geraten, ist es vorbei. Alle sind bei den Becken desselben Unternehmens ums Leben gekommen – das übrigens demnächst zertifiziert werden will. Wie können wir einem Unternehmen, das Menschen umbringt, ein Ökolabel geben?! Ich habe es den Naturland-Vertretern offen ins Gesicht gesagt: In Ecuador kann es keine ökologisch hergestellten Garnelen geben.

Naturland weiß auch von diesen drastischen „Schutzmaßnahmen“ mit Elektrozäunen?

Ja. Es gibt ja auch Wachpersonal mit Maschinengewehren etc., das dafür sorgen soll, dass sich niemand diesen Becken nähert, und Naturland hat dies fotografiert. Ein anderer compañero wurde von einem Dobermann totgebissen. Wie kann angesichts dieses Aggressionsniveaus eine Industrie zertifiziert werden, die vorgibt, „saubere“ Garnelen zu produzieren?! Wir rufen nicht zu einem Boykott auf, denn wir finden, die KonsumentInnen sollten sich damit beschäftigen, was sie zu sich nehmen und dann selbst entscheiden. Informiert euch, denn ein informierter Konsument kann dazu beitragen, die Zerstörung dieses für die Menschheit so wichtigen Ökosystems aufzuhalten. 

Warum rüsten diese Unternehmen derart auf, wovor haben sie Angst?

Nun, das Territorium gehört eigentlich uns, die wir dort seit Generationen leben. Es wurde von diesen kriminellen, unkontrollierten Unternehmen in Beschlag genommen. Sie können uns nicht verbieten, uns dort frei zu bewegen. So steht es auch in unserer Verfassung. Das ist nicht deren Privateigentum, sie sind in die Mangrovenwälder eingedrungen. Wir sammeln die Muscheln, die sich zwischen den Wurzeln der Mangroven im Schlamm verstecken. Die Shrimpsbecken wiederum befinden sich mitten im Mangrovengebiet und sind derart abgeschirmt, „damit nichts geklaut wird“ – so stellen es die Unternehmen dar. Sie stellen uns als Räuber dar, dabei sind wir die Herren dieser Territorien.

Zurzeit wird in Ecuador ein Gesetz zum Schutz der Mangroven diskutiert – worum geht es da genau?

In der Regierung sind Leute aus der Garnelenindustrie vertreten, so z.B. die Umweltministerin. Auch im Landwirtschaftsministerium sitzen deren Repräsentanten. Aktuell soll dieser Industriezweig reguliert, d.h. von einem illegalen in einen legalen Status überführt werden. Letztlich wollen sie Landtitel bekommen, was jedoch unmöglich ist, denn unsere Verfassung besagt, dass es sich bei den Mangrovenwäldern um ein nationales öffentliches Gut und Territorium der ansässigen Bevölkerung handelt. Weil nicht ohne Weiteres Landtitel vergeben werden können, haben sie sich diese Sache mit der Regulierung einfallen lassen. Warum? Um leichter an Kredite heranzukommen, um weniger Import- und Exportsteuern zu zahlen, um Subventionen zu erhalten und ihren ArbeiterInnen weiterhin keine Sozialleistungen, dafür aber umso schlechtere Löhne zu zahlen. Im Zuge dessen haben sie sich andere Namen zugelegt, das Unternehmen aufgeteilt oder an die Ehefrau oder die Söhne weitergeben, um sich von in der Vergangenheit begangenen Verstößen reinzuwaschen und Verfahren gegen sie zu vermeiden.

Wir haben bereits im Jahr 2001 ein Gesetz für den Erhalt der Mangrovenwälder vorgeschlagen. In der neuen Verfassung (von 2008, d. Red.) sind dann die kollektiven Rechte der seit Generationen ansässigen Gemeinschaften sowie die Tatsache, dass es sich bei den Mangrovenwäldern um ein fragiles und gefährdetes Ökosystem handelt, festgehalten worden. Unser Gesetzesvorschlag beinhaltet zum einen den Schutz der Mangrovenwälder, die es noch gibt, gerade mal 108 000 Hektar – früher waren es 372 000 Hektar –; gleichzeitig sollen verlorengegangene Gebiete wiederhergestellt und aufgeforstet werden. Wir verteidigen hier kein bestimmtes Bäumchen, sondern das Leben und die Würde der Bevölkerung! Des Weiteren wird darin ein internationaler Tag für den Schutz der Mangroven vorgeschlagen. Schließlich soll die seit Generationen ansässige Bevölkerung die Territorien zurückbekommen. Wir fordern, dass die Shrimpsfarmen das Feld räumen, da sie sich illegal in diesem Ökosystem aufhalten. Das sorgt natürlich für politischen Wirbel und deshalb wird das Gesetz immer wieder aufgeschoben, obwohl sie genau wissen, dass es in diesem Moment sehr wichtig ist, in Ecuador dieses Gesetz zu haben.

Die Regierenden hatten nicht erwartet, dass wir uns organisieren, zehn Jahre lang an unserem Gesetzesvorschlag arbeiten und eine gesetzgebende Körperschaft dafür bekommen. Wir haben den Vorschlag persönlich vorgestellt, kein Politiker hat uns dabei unterstützt und nun ist er vom Gesetzgebungsrat des Landes zur nationalen Priorität erklärt worden. Jetzt wird der Vorschlag von einer Parlamentskommission analysiert. Es sollte schon eine erste Parlamentsdebatte darüber geben, die jedoch abgesagt wurde, schließlich macht dieses Gesetz den Unternehmern das Leben schwer.

Bezieht sich euer Gesetzesvorschlag auch auf die in der ecuadorianischen Verfassung proklamierten „Rechte der Natur“?

Ja, das Gesetz ist in diesem Rahmen entstanden. Wir haben die Naturrechte, die kollektiven Rechte, das Konzept der Ernährungssouveränität, das Recht auf kostenloses Trinkwasser in den Vorschlag mit aufgenommen. Das verkompliziert jetzt das Ganze für die Regierung, weil wir uns auf all die Rechte beziehen, denen mit der neuen Verfassung Platz eingeräumt worden ist. Wir können die Fortschritte, die wir mit der Verfassung gemacht haben, nicht zugunsten eines ausgeprägten Extraktivismus opfern, den die Regierung vorantreibt.

Das Interview führte Britt Weyde am 18. April 2012 per Skype.