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Mangos, Bananen, Gurken...

Marktvariationen in El Salvador

El Salvador ist eines der konsumfreudigsten Länder Mittelamerikas. So liegt es auch nahe, dass man an den verschiedensten Orten einkaufen kann. Für Erdbeeren, Sonnenbrillen, Handytaschen oder den Strauß Rosen zum Wochenende sehr beliebt sind die fliegenden Händler an den Ampeln. In den Kaschemmen des Zentrums bieten sie außerdem Socken, Spielkarten oder Unterwäsche feil. Kaum zu übersehen auch die riesigen Shoppingmalls nach US-amerikanischem Vorbild. Doch es gibt noch eine weitere Variante, Lebensmittel und Co. zu erstehen: Zu Zeiten, als die Maya-Pipiles noch ohne die Spanier Geschäfte trieben, hießen sie Tianguis, heute nennt man sie einfach Märkte.

Anne Hild

Betritt man beispielsweise die Markthalle von San Miguelito nahe des Stadtzentrums von San Salvador, so stößt man zunächst auf Blumen, Blumen, Blumen, in allen erdenklichen Farben, Formen und Materialien, für den Liebsten, für die Verstorbenen, für die Oma. In kleinen Druckereien werden die passenden Glückwunschkarten dazu gedruckt. Noch ein neuer Haarschnitt bei der Gelegenheit? Kein Problem. Klamotten? Besonders die typischen Trachten finden im September, dem Monat, in dem in ganz Mittelamerika die Unabhängigkeit von den Spaniern mit bunten Straßenumzügen gefeiert wird, rege Nachfrage. Toaster, Mikrowelle oder Stöckelschuhe kaputt? Einfach vorbeibringen, hier wird alles repariert. Nebenbei gibt es natürlich alles Erdenkliche an Obst, Gemüse, Käse, Fleisch und Fisch, für zu Hause oder in kleinen Garküchen tafelfertig zubereitet.

Ana de Rivera steht mit ihren 56 Jahren zwischen Körben mit Kürbissen, Bohnen, Bananen, Litschis und Salat. Seit 38 Jahren geht sie dieser Tätigkeit nach, ihre Tochter folgt ihrem Vorbild. Das bedeutet konkret morgens um 3 Uhr aufstehen, um 4 Uhr beim Großmarkt auf der Matte stehen und die Waren einkaufen. Seit die nationale Währung Colón im Jahr 2001 durch den Dollar ersetzt wurde, sind die Ausgaben rapide gestiegen. Während man früher mit 100 Colones (ca. 11 Dollar) den Stand üppig bestücken konnte, bekommt man heute für 50 Dollar (ca. 440 Colones) gerade mal das Nötigste, um ein paar KundInnen anzulocken. „Der Dollar hat uns das Geschäft versaut“, erklärt eine Verkäuferin. „Der Dollar hat was für sich, wenn man ihn (als Geldsendung aus dem Norden, Anm. der Autorin) geschickt bekommt, aber mit ihm Geschäfte zu machen ist unmöglich.“

Preisschwankungen stehen auf der Tagesordnung: Wenn es regnet, wird nicht geerntet – die Tagespreise steigen. Regnet es zu lange nicht, vertrocknet die Ernte – die Preise steigen. Die Verbraucherschutzzentrale schaut ab und zu vorbei und achtet darauf, dass Gewichts- und Maßangaben eingehalten werden und kein Wucher betrieben wird. Während der letzten großen Überschwemmung im Oktober 2011 wurden zum ersten Mal 44 Getreidehändler wegen Wucher angeklagt, ein Novum, das der gemäßigt linken FMLN-Regierung zuzuschreiben ist.

Die KundInnen haben immer weniger Geld zur Verfügung, geben oft nur Pfennigbeträge aus. Ana begründet das mit der kritischen sozioökonomischen Lage. Sie und ihre Familie kommen gerade so durch, haben das Nötigste für Lebensmittel, Gesundheitsversorgung und Ausbildung der Kinder. Und Ana mag ihren Beruf. Das Streben nach beruflichem Aufstieg beschränkt sich auf die Markthalle: „Vielleicht eines Tages einen größeren Stand mit einem vielfältigeren Warenangebot… ein Supermarkt“, sagt sie strahlend und zeigt auf einen metallenen Eckstand, der neben Eiern, Zucker und Salz noch Tütensuppen, Speiseöl, Mais, Bohnen und sonstiges zu bieten hat. Die Verkaufsstrategie? „Die Gnade Gottes. Hier ist unser Angebot: Arayan (eine Guavenfrucht), Palmenherzen, Mangos, Bananen, Gurken, das ist unser Angebot des Tages.“

Die Stände und Gänge sind sehr sauber, die Waren hübsch in Bastkörben und auf Bananenblättern aufgestapelt, es riecht nach frischem Obst und Kräutern, ohne dass einem die Fliegenschwärme den Weg zeigen. Ana erklärt, dass täglich geputzt wird, und die Kammerjäger halten regelmäßig das in den Tropen allseits präsente Ungeziefer im Zaum. Eine tägliche Kontrolle der Stände durch die Marktverwaltung ist die Regel. Das Verhältnis zur Verwaltung wird allgemein als positiv bezeichnet, durchgebrannte Glühbirnen und undichte Stellen am Dach werden zügig bearbeitet. Auch der Umgang mit den anderen VerkäuferInnen ist kommunikativ und freundlich.

Schaut man hinter die Stände, so trifft man dort nicht auf Kinder, die zwischen Obstkisten mit Fliegen und anderem Ungeziefer Verstecken spielen und irgendwie versuchen, ein paar Buchstaben in ihre zerfledderten Hefte zu kritzeln. Das war bis vor ein paar Jahren ein alltäglicher Anblick. Unter der FMLN-Verwaltung sind in den meisten Märkten der Hauptstadt Kindertagesstätten eingerichtet worden, auf welche die meisten Marktverkäuferinnen dankbar zurückgreifen. „Kulis für 25 Cent!“ schallt es neben dem Stand. Anas Angebot wird durch fliegende HändlerInnen, die durch die Marktreihen ziehen, um Büstenhalter, Kuchen, Rattengift und eben auch Kugelschreiber ergänzt. Bis um 2 Uhr nachmittags hofft Ana, das meiste verkauft zu haben, dann schließt sie ihren Stand und widmet sich Krankenbesuchen und anderen Aktivitäten ihrer Kirche und erledigt „das bisschen Haushalt“, das noch auf sie wartet.

Wühlt man sich durch eine Reihe Secondhandklamotten Richtung Garküchen, so trifft man unwillkürlich auf einen Altar mit einem Jesuskind und zwei Hirschen. Neben dem Altar breitet Doña Odilia Vásquez mit ihren 83 Jahren Blumen aus. Sie hört nicht mehr so gut, so dass uns eine jüngere Kollegin über die Bewandtnis des Heiligenbildes aufklärt. Das Jesuskind wird regelmäßig mit Blumen und Bitten, die Verkäufe zu steigern, bedacht. Aha. Also doch eine Verkaufsstrategie. Allerdings wurden früher häufiger Messen und Feste zu seinen Ehren veranstaltet, heute nur noch drei bis vier Mal im Jahr. Ein Zusammenhang mit der sozioökonomischen Krise? Odilia kümmert sich auf alle Fälle weiter darum, dass das Jesuskind immer frische Kleider trägt, und wird von den anderen Marktfrauen dabei unterstützt.

Es stellt sich heraus, dass die jüngere Kollegin, auch bereits Mitte 50, zum Urgestein des Marktes gehört. Die Märkte San Salvadors obliegen seit 1969 der städtischen Verwaltung. In den 70er-Jahren organisierten sich die StraßenverkäuferInnen in San Miguelito, einem populären barrio im Zentrum, und setzten den Bau einer Markthalle durch. Ein Großteil der Verkäuferinnen stammt noch aus dieser Zeit und weiß das feste Dach über dem Kopf zu schätzen. So auch Carmen Prado, die damals ihrer Mutter beim Blumenverkauf aushalf. „Die Markthalle war exzellent für uns. Wir hatten eine große Klientel und konnten über nichts klagen. Heute, Mami, sieht das anders aus. Alles ist viel teurer und die KundInnen haben kein Geld mehr. Früher war mein Stand immer gut sortiert, heute ist es beschämend, über das Geschäft zu reden. Es gibt Tage, an denen ich für einen Dollar verkaufe. Mein Sohn und eine Enkeltochter helfen mir, mich über Wasser zu halten.“ Sie wendet sich wieder ihrem karg bestückten Kräuterstand zu. Die Kräuter kaufen traditionelle HeilerInnen, die Naturmedizin herstellen. Davon gibt es noch einige, aber es sind weniger geworden.

Ein paar Reihen weiter bietet Nelly vom perfekt sortierten „Kräuterverkauf Tonita“ Heilpflanzen an, „für die Nerven, für Diabetiker und auch sonst so alles Mögliche an Krankheiten“. Der Stand ist fein säuberlich mit Pillendosen verschiedenster Größe gespickt. Von der Decke hängen Kerzen in allen Farben und an den Wänden stehen Säcke mit verschiedensten Kräutern. Gegen Grippe wird ein Mix aus Eukalyptus, Ingwer, Balsamrinde, Nelken, schwarzem Pfeffer, Anis und Kamillenblüten feilgeboten. Die Pülverchen, die aus Peru importiert und am Stand verkapselt werden, tragen klangvolle Namen wie Chancapiedra, Katzenkralle, Sandblume, Aloe Vera. Außerdem finden wir Schleimlöser, Mittel für die Gebärmutterreinigung nach der Geburt, 7-Kräutermischungen für Sitzbäder, Babybäder gegen Schrecken und „Komm-komm-Räucherstäbchen“ (Incienso Jala jala), die KundInnen oder LiebhaberInnen anziehen sollen, Gürteltierschalen für die Bronchien, Klapperschlangen gegen Krebs, Ginko, Ginseng für die Durchblutung, kurz: „Hier kann man von allem ein bisschen geheilt werden.“ Das Angebot scheint sich einer regen Nachfrage zu erfreuen. Nelly ist Angestellte, arbeitet sechs (und nicht wie die anderen sieben) Tage die Woche von 8 Uhr morgens bis fünf Uhr nachmittags.

Nach dem Wocheneinkauf zur frühen Stunde macht sich ein leichter Hunger bemerkbar. Durch die Gänge mit den Fleisch- und Fischtheken arbeiten wir uns zu den Garküchen vor. Überall bekundet man uns lautstark, was man uns alles aufzutischen gedenkt. Wir spähen in Fleisch- und Suppentöpfe hinein und entscheiden uns für ein paar Pupusas (mit Bohnen und Käse gefüllte Maisfladen mit sauer eingelegtem Kohl) zu einer Tasse heißen Kakao. Danach fühlt man sich gleich von allem ein bisschen geheilt, vor allem von der Versuchung, eines der hypermodernen Einkaufszentren zu betreten.