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Die neuen Eroberer

In Kolumbien haben ausländische Agrarinvestoren gute Aussichten

Kolumbien ist für die neuen Konquistadoren – potente ausländische Unternehmen im Bereich Land- und Forstwirtschaft, Bergbau und Energie – ein attraktives Land. Es gibt noch viel Grund und Boden, Rohstoffe und Energieressourcen, die nutzbar gemacht oder ausgebeutet werden können, und die Politik zeigt sich ausländischen Investoren gegenüber aufgeschlossen. Sie bringen den Hauch der globalisierten Welt ins Land, sind Ausdruck von Modernisierung, „Fortschritt“ und „Entwicklung“. Schade nur, dass die Umwelt- und Sozialbilanzen der Großprojekte im Agrar- und Bergbausektor meist sehr dürftig ausfallen und letztere im Allgemeinen nicht von den Bedürfnissen der kolumbianischen Bevölkerung, sondern von den Gewinnperspektiven auf den internationalen Märkten bestimmt werden.

Bettina Reis

Irgendwann ist das Maß voll: Am 9. Februar besetzten Sikuani-Indígenas, die im östlichen Departement Meta beheimatet sind, die Gebäude des Agrarunternehmens La Fazenda ALIAR S.A. und blockierten den Zugang für dessen Personal. Der Grund für den Aufschrei: Seit fünf Jahren müssen die Indigenen, die im Resguardo Wacoyo (indigenes Territorium) leben, den höllischen Gestank und Schwärme von Mücken ertragen, die von der benachbarten Massenschweinezucht herrühren. Denn seither gibt es La Fazenda, ein Agrarkonsortium, das 15 Kilometer von Puerto Gaitán entfernt eine Mastanlage betreibt, mit einer Produktion von 400 000 Schweinen im Jahr. Als Eigenmarke La Fazenda, la nueva carne de cerdo – „La Fazenda, das neue Schweinefleisch“, wird dafür nicht sehr originell geworben.1

Zehn Kinder und vier Erwachsene seien in den letzten fünf Jahren an Atemwegserkrankungen gestorben, klagt Sebastián Yepes, Gouverneur des Sikuani-Reservats. Die Indigenen führen diese Todesfälle und andere bisher nie aufgetretene Erkrankungen in der Gemeinde auf die Massenschweinezucht zurück, denn „die Luft ist verpestet und das Wasser verseucht“. Unter anderem leiden sie gehäuft an Durchfall, Fieber, Erbrechen, dauerndem Unwohlsein und an Schmerzen im Unterleib. Die Indigenen fordern, dass die Mastanlage ihren Standort wechselt und das Unternehmen endlich seine Versprechen einlöst, nämlich Produktionsprojekte der Gemeinde zu unterstützen. 

Während sich die Einheimischen über Gesundheits- und Umweltprobleme in Folge der Massenschweinezucht beschweren, schwärmt Sergio Díaz Granados, kolumbianischer Minister für Handel, Industrie und Tourismus auf seiner Website von der „visionären Mentalität“ des Unternehmens ALIAR S.A. Denn La Fazenda sei mit ihren Mais- und Soja-Pflanzungen auf 12 000 Hektar, der Futtermittelverarbeitung, der Schweinemast und dem Schweinefleischverkauf ein „integrales Unterfangen“. Das Unternehmen zeichne sich außerdem durch seine Qualitätsstandards und technisierten Abläufe aus und könne von den Freihandelsverträgen profitieren, die Kolumbien abgeschlossen hat. Bei einem Besuch in Südkorea habe er sich speziell mit Fleischimporteuren getroffen, erzählte der Minister bei einer Betriebsbesichtigung. Die Zukunftsvision des Herrn Ministers scheint demnach zu sein, dass – dank Freihandelsvertrag von Kolumbien mit Südkorea – das „neue“ Schweinefleisch von La Fazenda in Seoul verzehrt wird, während in Kolumbien – dank Freihandelsvertrag mit den USA – Hähnchenflügel Made in USA auf den Tisch kommen. Vielleicht eine verkehrte, aber längst die verquere normale Welt. 

Die Finanzkrise und das massive Ansteigen der Nahrungsmittelpreise, gefördert durch die Spekulation mit Grundnahrungsmitteln, haben im letzten Jahrzehnt den Druck auf Land weltweit verstärkt. Der „Run“ auf die Rohstoffe und der schnell expandierende Großbergbau, der Boom von Energieprojekten, einschließlich für Agrartreibstoffe, haben die Gier nach Land noch vergrößert. Am so bezeichneten Landgrabbing, dem massiven Erwerb oder dem Pachten von Land weltweit, sind sowohl Regierungen (z.B. Indien und China) als auch potente transnationale und nationale Wirtschaftsakteure beteiligt. 

In den Studien über Landgrabbing durch ausländische Akteure spielt Kolumbien keine dezidierte Rolle. Dies heißt jedoch nicht viel, denn die Datenlage über ausländische Agrarinvestitionen ist dünn und das Thema wird nur wenig öffentlich diskutiert. Die staatliche Politik hat es sich seit der Uribe-Regierung (2002-2010) zum Ziel gesetzt, das Vertrauen ausländischer Investoren zu gewinnen, und hat ihnen mit Anreizen und Steuererleichterungen die Türen geöffnet. Die aktuelle Regierung von Präsident Juan Manuel Santos setzt diese Linie fort. Kolumbien wird international in eine Gruppe von zehn Ländern eingestuft, die noch beträchtliche Möglichkeiten haben, ihre landwirtschaftlichen Produktionskapazitäten zu erweitern, berichtet Felipe Morales Mogollón in der Zeitung El Espectador. Von 21,5 Millionen Hektar landwirtschaftlich nutzbaren Landes wird derzeit nur circa ein Viertel bewirtschaftet. Infolge der sogenannten Politik der wirtschaftlichen Öffnung werden dagegen über acht Millionen Tonnen Nahrungsmittel, beispielsweise auch Mais, eingeführt. Dabei könnte Kolumbien seine Bevölkerung problemlos selbst mit allen erforderlichen Grundnahrungsmitteln versorgen.

Die derzeit beliebteste Region für Land grabbers in dem Andenland ist das Gebiet der sogenannten Altillanura, das Teile der östlichen Departements Meta, Vichada und Casanare umfasst, insgesamt 15 Millionen Hektar. Diese Region wurde wegen ihrer sauren Böden bisher landwirtschaftlich kaum genutzt, jetzt soll sie zum neuen Getreidespeicher werden und die Produktion von Agrartreibstoffen weiter beflügeln. Dafür müssen die landwirtschaftlichen Nutzungsgrenzen stark ausgedehnt werden, was ökologisch höchst umstritten ist. Das Makroprojekt „Produktive Nutzung, Integration und Entwicklung der Altillanura“ ist Teil des Nationalen Entwicklungsplans (2010 bis 2014). 

Die Eroberung der Altillanura hat bereits begonnen. Das dünn besiedelte Kolonisierungsgebiet (ca. eine Person/km²) und Heimat von indigenen Gemeinden wird derzeit sowohl von nationalen wie internationalen Wirtschaftsakteuren neu „entdeckt“. Die mächtigen nationalen Wirtschaftsgruppen Sarmiento Angulo, Valorem (der Familie Santo Domingo) und Manuelita (der Familie Eder) haben dort über 70 000 Hektar Land erworben. Soja und Mais sollen angebaut werden, perspektivisch auch für den Export (derzeit führt Kolumbien circa drei Millionen Tonnen dieser Getreide ein). Die oben genannte Wirtschaftsgruppe ALIAR, ein Konglomerat von Unternehmern aus den Departements Antioquia und Santander, ist ein weiterer nationaler Player in der Region. Sie hat 100 Mio. US-Dollar in ihren Agrarkomplex La Fazenda gesteckt. 

Aber auch ausländische Konzerne stehen längst in den Startlöchern: Die spanisch-italienische Poligrow-Gruppe hat mittels ihrer kolumbianischen Tochter Poligrow Colombia Ltd. auf 60 000 Hektar Ölpalmen im Departement Meta gepflanzt. Der US-amerikanische Agrarkonzern Cargill will auf 25 000 Hektar Getreide anbauen, das Land dafür wurde laut Presseberichten 2009 erworben. Das brasilianische Unternehmen Mónica Semillas, das zu den größten Sojaproduzenten Lateinamerikas gehört, ist über seine bolivianische Tochtergesellschaft, Mónica Semillas de Bolivia, in der Region tätig geworden. Diese wiederum hat sieben einheimische Firmen gegründet, was sie rechtlich befähigte, 13 000 Hektar Land in Puerto Gaitán (Meta) zu erwerben. Für ihre agrarindustriellen Vorhaben hat die (eigentlich brasilianische) Firma Kredite und Zuschüsse vom staatlichen Agrarförderprogramm Agro Ingreso Seguro erhalten. 
Auch die brasilianische Amaggi-Gruppe und das argentinische Unternehmen Tejar, die beide internationale Spitzenplätze bei Sojaexporten einnehmen, wollen in Ostkolumbien und anderen Regionen in die Soja- und Maisproduktion einsteigen. Amaggi peilt eine Anbaufläche von 100 000 Hektar an. 

Die ausländischen Agrarinvestitionen sind in Kolumbien jedoch nicht nur auf die Region der Altillanura beschränkt. Dieses Phänomen ist auch in anderen Regionen zu beobachten, vornehmlich in denen, die sich traditionell durch Großgrundbesitz und ausgeprägte Bodenkonzentration auszeichnen. Im Küstendepartement Magdalena hat zum Beispiel die argentinische Ingacot-Gruppe 1000 Hektar Land gepachtet, sie baut dort seit 2009 Soja und Mais an. Die israelische Merhav-Gruppe wiederum hat 10 000 Hektar Land in Pivijay (ebenfalls Magdalena) gekauft und gepachtet. Dort wird Zuckerrohr angepflanzt, das zum Agrartreibstoff Ethanol verarbeitet wird. Das Merhav-Unternehmen operiert vor Ort als Agrifuels de Colombia. 

Die Landgrabbing-Problematik in Kolumbien unter die Lupe zu nehmen, führt unmittelbar zu den größten sozialen Problemen des Landes, nämlich zu den Millionen Binnenflüchtlingen und dem ihnen geraubten Land. Dass es in Kolumbien einen direkten Zusammenhang von Vertreibung und Landraub, also einer mit Gewalt vollzogenen Landnahme, gibt, wurde mittlerweile in staatlichen und nichtstaatlichen Studien nachgewiesen. Auch die UN-Entwicklungsbehörde hat dies in ihrem Bericht über menschliche Entwicklung von 2011 aufgezeigt. Dieser bezieht sich speziell auf das „ländliche Kolumbien“. 

Zwischen 1980 und 2010 wurden in Kolumbien insgesamt 6,6 Millionen Hektar Land den ursprünglichen EigentümerInnen und NutzerInnen gewaltsam entwendet oder geraubt, dies entspricht circa 13 Prozent der Gesamtfläche für Landwirtschaft und Viehzucht. Zwischen 1998 und 2008, der Hochphase von Vertreibung und Landraub, waren es über 5 Mio. Hektar. 73 Prozent des „verloren gegangenen“ Bodens gehörten zu Mikrofundien und Kleinbesitz bis 20 Hektar, waren also Land von Kleinbauernfamilien. Gemäß NRO-Daten wurden zwischen 1985 und 2010 über fünf Millionen Menschen in Kolumbien zu Binnenflüchtlingen. Zwar gibt es für Vertreibung und Flucht im Kontext des bewaffneten Konfliktes oft keine monokausalen Ursachen. Jedoch stellt die NRO Codhes, die sich auf die Fragen von Binnenflucht spezialisiert hat, auf Grundlage ihrer Datenbasis eine Korrelation von Vertreibungszonen und Interessen von Bergbau und Agrarindustrie in den jeweiligen Gebieten fest. 

Zum Beispiel wurden im bereits genannten östlichen Departement Meta insbesondere von 1985 bis 1995 im Gebiet der Gemeinden Puerto López und Puerto Gaitán vornehmlich von Paramilitärs massive Menschenrechtsverbrechen verübt. Parallel dazu wurde ebenso massiv Land aufgekauft. Zehn Jahre später finden sich in der Region große Agrobusiness- und Energieprojekte. Im Gebiet von Mapiripán (Meta), einem Ort, in dem Paramilitärs mit Unterstützung der Armee 1997 ein schlimmes Massaker verübten, bewirtschaften sie 12 000 Hektar Land, davon 4000 Hektar mit Ölpalmen. Dies sagte ein paramilitärischer Kommandant vor Gericht aus. 

In der Praxis ist der schleichende Prozess von Landgrabbing durch ausländische Investoren in Kolumbien nicht aufzuhalten, denn die Vorhaben des Agrobusiness werden vom Staat gefördert und sind Teil des Regierungsprogramms. Gebremst wird dieser Prozess zuweilen durch die relativ hohen Bodenpreise in Kolumbien, die die landwirtschaftliche Produktion verteuern, oder durch Probleme bei der Formalisierung von Besitztiteln für den Landerwerb. Letzteres trifft vor allem auf Regionen wie die östlichen Kolonisierungsgebiete zu. Zum Beispiel wollte China über eine Staatsfirma 400 000 Hektar Land in der Orinoquia-Region erwerben, um dort Getreide anzubauen und zu exportieren. Sogar die Arbeitskräfte dafür sollten aus China kommen. Wegen der Schwierigkeiten bei der Klärung der Besitzverhältnisse soll das Vorhaben vorerst nicht durchgeführt werden. 

Allerdings müssen aus- und inländische Unternehmen den Grund und Boden für ihre agrarindustriellen Projekte nicht in jedem Fall erwerben. Zum Beispiel greifen einige Firmen, vor allem im Palmölsektor, auf die Formel der sogenannten strategischen Produktionsallianzen zurück. Dabei stellen die Kleinbauern ihre Parzellen zur Verfügung und verpflichten sich, ihre Ernte an das jeweilige Unternehmen zu verkaufen. Eine weitere Möglichkeit für ausländische Firmen besteht darin, Land von Privatleuten zu pachten. Wilson Arias, Vertreter des Linksbündnisses Polo Democrático in der Abgeordnetenkammer, hat zahlreiche rechtliche Unregelmäßigkeiten beim Erwerb von Grundbesitz durch ausländische Unternehmen und ihre nationalen „Papierfirmen“ festgestellt. Nichtsdestotrotz wurden sie vom Staat mit Billigkrediten und Steuervorteilen belohnt. 

Die Auseinandersetzung über das Pro und Contra der sogenannten extranjerización von Grund und Bodens, also Landerwerb durch ausländische Akteure, ist inzwischen auch im kolumbianischen Parlament angekommen. 2012 wurden sowohl von konservativer Seite als auch vom Linksbündnis Polo Democrático Gesetzesinitiativen in Bezug auf die Regulierung respektive Beschränkung des Erwerbs von Grundbesitz durch AusländerInnen eingebracht. Die Regierung war darüber nicht erfreut, zumal zwei der Vorschläge von Parteien des Regierungsbündnisses stammen. In einem Zeitungsinterview äußerte sich Landwirtschaftsminister Juan Camilo Restrepo besorgt über „eine Art von fremdenfeindlicher Stimmung“ im Kongress, was 800 Mio. US-Dollar an Auslandsinvestitionen auf Eis lege. Der Sprecher der Konservativen Partei, Senator Hernán Andrade, hielt mit Verweis auf die weltweiten Landgrabbing-Tendenzen dagegen: „Wir können doch nicht erlauben, dass sie – einfach so – unsere Orinoquia-Region oder die des Macizo Colombiano kaufen. Es geht nicht darum, ausländische Investitionen abzuschrecken. An einigen Orten waren sie gut, an anderen führten sie zu massiver Umweltzerstörung. Ganze Regionen wurden ruiniert, weil diesen Investitionen keine Grenzen gesetzt wurden“.

Immerhin zeigt sich an der Kongressdebatte, dass auch beim konservativen Mehrheitslager die Auffassungen über das moderne Landgrabbing nicht einheitlich sind. Die Zukunft wird entscheiden, ob der nationalen und transnationalen Agrarindustrie in Kolumbien Grenzen gesetzt und Auflagen gemacht werden und parallel dazu der kleinbäuerlichen Landwirtschaft eine Chance eingeräumt wird. Dabei ist auch das Ergebnis der Friedensverhandlungen zwischen Regierung und FARC-Guerilla von Bedeutung (Siehe Beitrag von Juanita León in ila 362). Allzu großer Optimismus ist vermutlich nicht angebracht.
 

Zum Weiterlesen: Einen guten Überblick gibt die Studie „Dinámicas en el mercado de la tierra en Colombia“ (2011), die von Yamile Salinas Abdala für das Regionalbüro der FAO erarbeitet wurde: www.indepaz.org.co/wp-content/uploads/2012/03/608_COLOMBIA-TIERRAS-SALIN...