ila

Heimtückischer Mord in den Bergen

Martha Gellhorns Mittelamerika-Reportagen
Klaus Jetz

Die US-amerikanische Autorin Martha Gellhorn (geboren 1908 in St. Louis, Missouri, gestorben in London 1998) gilt als die bedeutendste Kriegskorrespondentin des 20. Jahrhunderts. Zwischen 1937, als sie mit ihrem späteren Ehemann Hemingway nach Spanien ging, und 1990, nach dem Ende des Kalten Krieges, hat sie kaum einen Krieg ausgelassen: In den 30er-Jahren berichtet sie aus der Tschechoslowakei, Polen und Spanien, in den 40er-Jahren ist sie in Deutschland, in den 60er-Jahren in Vietnam und im Nahen Osten, und in den 80er-Jahren berichtet sie aus Zentralamerika. Ihre letzten Berichte thematisieren die Kriege der Contras in Nicaragua und die Repression in El Salvador. 1998 schied die Autorin in England freiwillig aus dem Leben.

Der Züricher Dörlemann Verlag verlegt seit einigen Jahren ausgewählte Werke Gellhorns neu oder auch erstmals auf Deutsch. So auch den über 500 Seiten starken Sammelband „Das Gesicht des Krieges“, der im Original (The Face of War) bereits 1959 erschien und in der deutschen Ausgabe jetzt um spätere Reportagen aus den folgenden drei Jahrzehnten angereichert wurde. Diese mittlerweile Geschichte gewordenen Reportagen sind höchst lesenswert. Martha Gellhorn ergreift Partei, nicht nur für die Opfer von Gewalt und Barbarei. Sie klärt auf, klagt an, benennt klipp und klar die Aggressoren und Kriegstreiber und rückt die Zusammenhänge ins rechte Licht.

Es ist die Reagan-Administration, der Gellhorn die Leviten liest: Der Präsident rechtfertige seine Aggression mit der Erklärung, die Guerillakämpfer in El Salvador und die sandinistische Regierung seien Kommunisten. Der Kongress falle Reagan keinesfalls in den Arm, da kein Abgeordneter als „nachgiebig gegenüber dem Kommunismus“ gebrandmarkt werden wolle. Dies sei schwerwiegender als der Vorwurf des Kannibalismus. 

Mit ätzendem Spott bedenkt Gellhorn auch die ehemalige UN-Botschafterin Jeane Kirkpatrick, die „Cheftheoretikerin der gegenwärtigen amerikanischen Regierung“, die zwei Arten von Diktaturen ausmachte, die kommunistische totalitäre und die antikommunistische autoritäre, als US-Verbündete taugliche Diktatur. Menschenrechtsverletzungen sind laut dieser Kirkpatrick-Doktrin nur in kommunistischen Diktaturen zu verurteilen. Diese systematische Unterscheidung des Unrechts sei von anderen demokratischen Ländern nicht zurückgewiesen worden. Anstatt „freie Welt“ solle der Westen sich lieber umbenennen in die „Welt der freien Wirtschaft“, das sei ehrlicher und diese Bezeichnung umfasse eben auch die autoritären Verbündeten.

Der Krieg der Contras an Nicaraguas Nordgrenze solle, so Gellhorn, „Reagans Krieg“ getauft werden, auch wenn es sich nicht um einen Krieg, sondern um einen „Haufen organisierter Terrorüberfälle“, finanziert und geschürt von der CIA, handele. Dieser „heimtückische Mord in den Bergen“ töte „hauptsächlich Bauern, alte Männer, Frauen und Kinder“ und zerstöre „die bescheidenen Hütten, die neue Kindergärten und Kliniken waren.“ Diese Mörder verglich „Präsident Reagan in vollendeter Maßlosigkeit mit den Gründervätern Amerikas“, was erstaunlich sei, waren diese doch „nicht dafür bekannt, die Augen ihrer Feinde auszustechen und ihre Leiber zu verstümmeln oder andere unschöne Akte dieser Art zu begehen.“

In Nicaragua wurden, resümiert Gellhorn, „bis Ende 1984 mit US-Steuern die Ermordung von 3954 harmlosen Männern und Frauen und 3346 Kindern, die Entwurzelung von 142 980 Menschen, jetzt Flüchtlinge, und die Zerstörung von hundertsiebenunddreißig von den Sandinisten für die Bauern errichteten bescheidenen Säuglingsheimen, Kliniken, Schulen und Kooperativen bezahlt.“

Nicht viel anders in El Salvador: „1982 wurden fünftausendachthundertvierzig verstümmelte Leichen von Männern und Frauen, Jungen und Mädchen (überall im Land) gefunden, einfach irgendwohin geworfen.“ Unzählige Bauern wurden in ihren Dörfern und auf ihren Feldern niedergemetzelt, von der Armee und von Todesschwadronen, allesamt finanziert mit Hunderten von Millionen von Dollars der US-Steuerzahler.

Auch nach mehr als einem Vierteljahrhundert gehen die geschilderten Vorgänge unter die Haut, hinterlassen Wut, Entsetzen und Trauer. Man hätte sich damals, auf dem Höhepunkt des US-Aggressionskrieges gegen Mittelamerika, auch in den hiesigen Mainstream-Medien viel mehr solch klarer und gut geschriebener Texte gewünscht. Damals hätten sie vielleicht in den laufenden Debatten ihre Wirkung entfalten können, heute haben sie immerhin noch historischen und literarischen Wert.

Martha Gellhorn, Das Gesicht des Krieges. Reportagen 1937–1987, Dörlemann-Verlag, Zürich 2012, 576 S., 24,80 Euro