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Wo die wilden Grabber wohnen

Land Grabbing – Der globale Kampf um Grund und Boden von Fred Pearce
Britt Weyde

Eine Fülle von Publikationen ist in den letzten Jahren zum Thema Landgrabbing veröffentlicht worden – Studien, Sondernummern und auch so manche Bücher. Da fällt es schwer, einzelne Werke lobend zu erwähnen. Aber wir machen es dennoch. Denn das im letzten Herbst erschienene Buch Land Grabbing – Der globale Kampf um Grund und Boden von Fred Pearce liest sich so geschmeidig wie ein packender Krimi, was nicht nur an Pearces toller Schreibe liegt, sondern auch an der krassen Realität, die er vorgefunden hat. Der Londoner Wissenschaftsjournalist ist ein Jahr lang um die Welt gereist, um sich die konkreten Auswirkungen der globalen Landnahme mit eigenen Augen anzusehen. Er hat sich mit Investoren, Betriebsleitern, Agrarunternehmern und illustren Abenteurern getroffen, und sich mit Wissenschaftlern, NGO-MitarbeiterInnen und der ortsansässigen Bevölkerung – sofern sie noch vor Ort war – unterhalten, um Beweggründe, historische Verbindungen und widerstreitende Interessen auszuloten. Herausgekommen ist sein 400 Seiten umfassendes Werk, das aus einzelnen Reportagen (mit Querverbindungen) besteht.

Pearce war vor allem auf dem afrikanischen Kontinent unterwegs, aber auch in Asien, Saudi-Arabien, in Finanz- und Börsenzentren des globalen Nordens wie Chicago und London sowie in Südamerika.

Wenn von Landnahme in Brasilien die Rede ist, denkt vielleicht so mancher an den Amazonas-Regenwald, doch dort ist zumindest die Abholzung in den letzten Jahren eingedämmt worden. Momentan geht es viel mehr einer anderen Region an den Kragen, dem einst „leeren Herzen“ Brasiliens, der riesigen Savannengegend in Zentralbrasilien, den Cerrados. Die dortigen Gras- und Waldflächen sind in den letzten Jahren doppelt so schnell planiert worden wie der Regenwald am Amazonas zuvor: „Denn diese Region wird gegenwärtig in eine der am unerbittlichsten kommerzialisierten Monokulturen der Welt umgewandelt. (…) In den letzten Jahren haben die Cerrados dem Mittleren Westen mit seinen endlosen Genmais-, Soja-, Baumwoll- und Kaffeeplantagen in puncto Investitionen sogar den Rang abgelaufen. Noch mehr als im osteuropäischen Schwarzerdegürtel liege die Zukunft der Landwirtschaft hier, sagen die Investoren“ (S. 151).

In seinen Reiseberichten lässt Pearce Personen und Landschaften vor dem inneren Auge entstehen, etwa in West-Bahia im Nordosten Brasiliens: „Die Entfernungen sind enorm, und so auch die Betriebe. Und die Landschaft ist alles andere als bukolisch. Bäume sieht man kaum. Stattdessen fährt man an einem konstanten Strom von Schildern vorbei, die an den Feldern für die neuesten Sorten von Agrochemikalien, die hier versprüht wurden, oder für das Saatgut werben: (Gen-)Soja von Bayer, Mais von Syngenta oder BT-Baumwolle von DuPonts Unternehmensgesellschaft Pioneer Hi-Bred“ (S. 155).

Wichtige Wegbereiter für die modernen Landnehmer in Brasilien sind die Cousins Blairo Maggi und Eraí Maggi Scheffer gewesen, die den Soja-Boom im Bundesstaat Mato Grosso in den 1990er-Jahren maßgeblich mit voran getrieben haben. Heute konkurrieren internationale Investoren aus England, den USA, Argentinien oder China um die begehrten Anbauflächen, aber auch große brasilianische Landwirtschaftunternehmen wie SLC Agricola, das – kritischen Stimmen zufolge – aufgrund seiner standardisierten Geschäftspläne eine „McDonaldisierung“ der Landwirtschaft vorantreibe. Wobei das eher ein nachrangiges Problem ist; existenzieller ist der zerstörte bzw. bedrohte Lebensraum vieler indigener Gemeinschaften. Meist hat ihre Vertreibung und Abdrängung in mickrige Reservate schon vor der aktuellen Landnahme stattgefunden, denn „die privaten Landbesitzer haben hier schon immer getan, was sie wollten“. Wenn Gesetze ihren wirtschaftlichen Interessen entgegenstehen, wie etwa das Waldgesetz, werfen die mächtigen Agrarunternehmer ihr vereintes Gewicht in die Waagschale. Pearce zitiert einen Sprecher des Brasilianischen Verbands für Ackerbau und Viehzucht: „Wenn sich die ländlichen Produzenten samt und sonders nicht in der Lage sehen, die Auflagen zu erfüllen, dann liegt das Problem nicht bei ihnen“ (S. 159). Mit solchen Argumenten schafften sie es, einen deutlich milderen Gesetzestext durchzusetzen. Dreistigkeit siegt.

Der Autor zeigt Widersprüche, Brüche und komplexe Interessenslagen auf; dabei vollbringt er das Kunststück, simple Gut-Böse-Schemata zu vermeiden und dennoch ziemlich dezidiert Partei zu ergreifen: für die Nichtvermögenden, die Ortsansässigen, die Betrogenen und Vertriebenen und vor allem auch die Natur. Einen Satz bekam Fred Pearce bei der Recherche zu seinem Buch immer wieder zu hören: „Wenn das alles schiefgeht oder wenn sie kein Interesse mehr haben, fahren sie einfach wieder nach Hause. Wir aber müssen hier bleiben, denn es ist unser Land“ (S. 88).

Neben den Momentaufnahmen, Begegnungen und Gesprächen kommen auch Fakten und Geschichtslektionen nicht zu kurz. Wichtige Zusammenhänge werden aufgezeigt, etwa die verschiedenen Gründe für den starken Preisanstieg der Getreidepreise im letzten Jahrzehnt: „Während die Preise für Aktien, Immobilien und andere Arten der Generierung von Gewinn in der Kreditkrise des Jahres 2008 einbrachen, stiegen die der Rohstoffindexfonds weiter an (…) Als die Regierungen der Vereinigten Staaten und Europas versuchten, das Weltbankensystem zu retten, indem sie frisches Geld hineinpumpten (…), beschleunigte sich diese Entwicklung noch. 2003 flossen 13 Milliarden Dollar in Agrarrohstofffonds, 2008 schätzen viele Beobachter die Summe auf 300 Milliarden Dollar“ (S. 42). Der Autor zeigt Kontinuitäten auf und erläutert frühere Landnahmen, z.B. im Zuge des europäischen Kolonialismus in Afrika, oder auch von Seiten US-amerikanischer Obstimperien in Zentralamerika oder von evangelikalen Missionaren wie den Mennoniten im paraguayischen Chaco.

Dieses riesige, unzugängliche Gebiet voller Dornenbüsche, bizarrer Tierarten und extremer Temperaturunterschiede hat eine brutale Geschichte – zwei zermürbende Kriege wurden dort ausgefochten. Heutzutage weichen brasilianische Rancher in den Chaco aus. Lange bevor sie kamen, ließen sich andere Fremde nieder: deutschsprachige Mennoniten, die herausfanden, wie man in diesem unwirtlichen Gebiet Vieh züchten kann. Alte und neue Siedler haben eines gemein: Für sie ist der Chaco unbewohntes Gebiet, das zu ihrer freien Verfügung steht; über die unterschiedlichen indigenen Bevölkerungsgruppen wird geflissentlich hinweggegangen. Einige indigene Gruppen wehren sich mittlerweile dagegen, dass ihnen ihr Land geraubt wird, und wenden sich an den Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte. Und sie fordern nicht nur einzelne Landstriche, sondern ihre ursprünglichen Territorien ein, die einen Großteil des Chaco ausmachen. Über diesen Zielkonflikt sinniert Fred Pearce: „Viele Außenstehende werden sagen, dass eine so kleine Zahl von Menschen in unserer dicht bevölkerten, modernen Welt nicht das Recht auf so viel Land haben kann. Aber warum soll eine Handvoll brasilianischer Rancher das Land bekommen, das einer Handvoll indigener Familien verweigert wird? Wer ist da eigentlich derjenige, der nicht genug kriegen kann?“ (S. 176).

Auch das Spannungsverhältnis zwischen Naturschutz und Menschenrechten lotet Pearce aus. Wobei eigentlich von Umweltschutz bei der vorgestellten Form des Greengrabbings in Argentinien und Chile gar nicht die Rede sein kann. Eher geht es um Luxus-Wildlife-Projekte einiger Outdoorfreaks, die etwa Freizeitanlagen für Jäger und Forellenangler anlegen, oder um Geschäftsleute, die entdeckt haben, wie gewinn-bringend es ist, Bäume zum Emissionsschutz anzupflanzen, und dafür mit dem riesigen Forstwirtschaftsunternehmen Arauco zusammen arbeiten. „Die größten und wunderlichsten Ungeheuer sind die wilden Menschen aus der Welt der Reichen, die fest entschlossen sind, auf dem letzten Flecken dieser Erde ihr Reich abzustecken“ (S. 199), stellt Pearce ernüchtert fest. Als größte private Landbesitzer Argentiniens gelten die Mode-Brüder Benetton aus Italien. Sie verfügen über 900.000 Hektar und eine Viertel Million Schafe. Solch große Player brauchen keine interkulturellen Trainings. Da ist jeder Fettnapf recht: „Heute sehen die Mapuche mit Bitterkeit, dass die Benettons auf ihrem Land ein Touristenmuseum zur Geschichte der Völker Patagoniens gebaut haben. Darin zeigt man sie als Relikte eines fernen Landes, aus fernen Zeiten, und nicht als die rechtmäßigen Besitzer des riesigen Anwesens“ (S. 196).

Pearces Stil ist erfrischend, gerade weil er so trocken über die unglaublichsten Dinge schreibt. Manchmal wird es dann ein bisschen zu salopp, so z.B., wenn er von der „umweltfreundlichen Direktsaat“ spricht. Diese Methode, die auch wegen des erforderlichen Herbizideinsatzes und der nach einiger Zeit eintretenden Bodenverdichtung in der Kritik steht, wird z.B. auch für Sojaplantagen mit genetisch modifiziertem Saatgut angewendet, die ja nicht gerade für ihre Umweltfreundlichkeit bekannt sind. Gerade bei den Reportagen zu Lateinamerika fällt diese etwas flapsige Herangehensweise auf (aufgrund des im Vergleich zu anderen Regionen größeren eigenen Hintergrundwissens) und die Leserin hätte sich ein bisschen mehr Tiefgründigkeit gewünscht. Doch bei einem Buch, das die ganze Welt abstecken will, ist dies wahrscheinlich unvermeidlich. Und die Globalität des Themas verlangt diese allumfassende Herangehensweise, schließlich entkommt kein Winkel der Erde den global bestens vernetzten Grabbern. Wer dann noch mehr Infos will, kann die von Fred Pearce verwendeten Quellen selber nachlesen, da der Autor dankenswerterweise im Anhang seine Quellen akribisch aufgelistet hat, inklusive der entsprechenden Links!

Fred Pearce stellt unmissverständlich klar, dass das agrarindustrielle Modell, das zugleich Voraussetzung und Folge der globalen Landnahme ist, für Mensch und Natur verheerend ist, dass es so nicht weiter gehen kann und vielmehr überall die kleinbäuerliche Landwirtschaft gestärkt werden muss. Und wer hier die Wilden sind, das stellt für ihn ein Sprecher der paraguayischen Totobiegosode-Indígenas fest: „Die Weißen sind gewalttätig. Sie wollen unbedingt Land. Wir haben Angst vor ihnen, weil sie sehr aggressiv sind.“ (S. 175). 

Fred Pearce, Land Grabbing. Der globale Kampf um Grund und Boden, 400 Seiten, übersetzt von Gabriele Gockel, Barbara Steckhan, Verlag Antje Kunstmann, München September 2012, 22,95 Euro, ISBN 978-3-88897-783-1