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Roadmovie eines jungen Zweiflers

Filmbesprechung: Five Ways to Darío
Britt Weyde

Wer bin ich? Was macht mich und meine Einzigartigkeit aus, wo gehöre ich hin? Identitäten sind nichts Starres, reifen im Leben einer Person heran, erfahren Brüche, ändern sich je nach Kontext. Gerade Menschen, die migriert sind, woanders einen Neuanfang gewagt haben, werden immer wieder auf Identitätsfragen zurückgeworfen. Der Hamburger Filmemacher Darío Aguirre (Regisseur von „Cesars Grill“), aufgewachsen in Ecuador, kam mit 20 Jahren nach Zittau, der Liebe wegen. Er wollte so bald und komplett wie möglich integriert sein. Dazu musste er schnell Deutsch lernen, diverse Anpassungsleistungen vollbringen und aufhören, lateinamerikanische Musik zu hören. Dazugehören, das war sein Ziel. Irgendwann bemerkt er, dass das trotz aller Bemühungen doch nicht so richtig klappt. Mit 30 Jahren stellt er ernüchtert fest, dass er immer noch nicht weiß, wer er ist. Er fragt sich, ob das sein persönliches Problem oder das unserer Zeit. Um Antworten zu finden, begibt er sich auf eine Reise, die im Internet beginnt. Er sucht nach Personen, die denselben Namen wie er tragen. Schließlich stiften Namen auch Identität, sie sagen etwas über deine Herkunft aus; vor allem ist es wichtig, mit welchem Klang in der Stimme man gerufen wird. Darío Aguirre findet Hunderte von Namensvettern, fünf antworten ihm auf seine E-mail und laden ihn sogar zu sich nach Hause ein. Diese persönliche Fragestellung bildet den Ausgangspunkt für den episodischen Dokumentarfilm, der uns nach Mexiko und Argentinien führt, denn dort leben die fünf Daríos, die den Hamburger Darío großzügig für ein paar Tage an ihrem Leben teilhaben lassen.

Der erste ist Psychologe, der in seiner Praxis in Mexiko-Stadt mit Feldenkraismethoden arbeitet. Die Begegnung mit dem bärtigen Familienvater bietet einen guten Einstieg. Sie ist ungewöhnlich herzlich, die beiden kommen sich wirklich näher. Filmemacher-Darío bewegt den mexikanischen Darío dazu, nach langer Zeit wieder seine Gitarre auszupacken, zu spielen und zu singen. Der Psychologe wiederum behandelt den Besucher und vermittelt ihm Techniken, um etwa bei seinem nächsten Termin auf dem Ausländeramt in Hamburg entspannter zu sein.

Die nächste Begegnung verläuft etwas sperriger. Der Rentner Darío aus Ezeiza im Großraum Buenos Aires erzählt zwar großspurig überall herum, dass er jetzt eine tragende Rolle in einem Film haben wird, aber so richtig lässt er den Besucher nicht an sich ran. Letzterer wiederum fühlt sich von dem Älteren eingespannt und ausgenutzt für, wie er vermutet, lange hinausgeschobene Streicharbeiten an seinem Haus. Andererseits bringt der Ältere dem Filmemacher geduldig das Autofahren bei, letztlich ist es auch hier ein Geben und Nehmen. Darío aus Deutschland wird noch mehr lernen. In Comodoro Rivadavia (Patagonien) trifft er auf Darío, der seit 27 Jahren beim Militär ist. Schon als kleiner Junge stand fest, dass er Soldat wird. Am Wochenende vergnügt er sich mit Fußballgucken im Wohnzimmer, dazu wird Mate getrunken und ab und zu verstärkend auf einer kleinen Trommel gespielt. Der gestandene Soldat nimmt den Kriegsgegner aus Deutschland in seinem Panzer mit und bringt ihm das Schießen bei. Beide sind sehr ernsthaft bei der Sache. Abends liegt der Filmemacher todmüde auf seinem Bett und zweifelt – ergibt das alles überhaupt einen Sinn? Als nächstes lernt er Reiten in Córdoba. Und, überraschenderweise, Porträtzeichnen, was man bei dem etwas zugeknöpften Pferdenarr und Wachmann Darío zunächst nicht gedacht hätte. Die letzte Station führt den deutsch-ecuadorianischen Darío nach Feuerland, wo er von dem jungen Darío, der gerade keinen Job hat und noch bei seiner Mutter wohnt, zum Fußballtraining mitgenommen wird. Bei dieser Episode steht das Familiäre im Mittelpunkt. Schließlich wird der junge Namensvetter aus dem südlichsten Süden bald Vater, was den Dokumentarfilmer aus Deutschland die Überlegung anstellen lässt, ob sein Leben ähnlich verlaufen wäre, wenn er in Ecuador geblieben wäre. Am Schluss seiner Reise stellt er fest, dass er seine eigenen Gewohnheiten beinahe vergessen hätte, so sehr hat er sich auf das Leben der anderen eingestellt und mal wieder Anpassungsleistungen vollbracht. Letztlich geht er gestärkt aus der Reise hervor und ist überzeugt, dass die Dinge, die er von den fünf anderen Daríos gelernt hat, ihm sicherlich irgendwann einmal helfen werden. Und er hat eine Entscheidung getroffen, die hier nicht verraten werden soll!

Die Filmbewertungsstelle Wiesbaden hat Five Ways to Darío das Prädikat „wertvoll“ verliehen und den Film zum Dokumentarfilm des Monats erklärt, da er „durch die Offenheit und Neugierde überzeugt, mit denen der Filmemacher sich in neue Erfahrungen stürzt. Er lässt sich jeweils auf das Leben des anderen Darío Aguirre ein… und probiert so verschiedene andere Existenzen aus.“  
Darío Aguirre ist ein intimer Einblick in verschiedene Einzelschicksale gelungen, die allesamt nicht spektakulär, aber unterhaltend sind. Der Film hat einen ruhigen Ton, einige Einstellungen erinnern an inszenierte Fotografie. Ständig präsent, wenn auch unaufdringlich, ist die unterschiedliche lateinamerikanische Musik im Hintergrund, was ebenfalls zu einer gewissen Wiederannäherung des Regisseurs an seine lateinamerikanischen Wurzeln gehört. Und das hört sich gut an.

Darío Aguirre, Five ways to Darío, Deutschland/Argentinien/Mexiko 2010, 82 min., Spanisch (UT dt. oder engl.), Real Fiction Filmverleih, VÖ: Februar 2015
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