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Ruth Epelbaum – Privatdetektivin in Buenos Aires

Buchbesprechung
Klaus Jetz

Der Krimi „Sangre Kosher“ ist der erste Roman der Ruth Epelbaum-Trilogie, der Ende 2014 auf Deutsch erschienen ist. Die Autorin María Inés Krimer (geb. 1951) stammt aus Paraná, wo sie zunächst als Anwältin arbeitete. Seit einigen Jahren widmet sie sich ausschließlich der Literatur. Ihre preisgekrönten Romane sind von Raymond Chandler, Isaac Bashevis Singer und der jiddischen Sprache geprägt.
Die Protagonistin Ruth Epelbaum hat mehr als 30 Jahre in der nordargentinischen Provinzstadt Paraná als Archivarin in der jüdischen Gemeinde gearbeitet. Sie stößt dort immer wieder auf Fälle von verschleppten jüdischen Mädchen aus Osteuropa, die vom Zuhälterring Zwi Migdal an den Río de la Plata verschleppt wurden. Ihre bohrenden Recherchen finden keine Gegenliebe bei ihrem Arbeitsgeber. So wird Ruth in den vorzeitigen Ruhestand geschickt, sie siedelt nach Buenos Aires über. Dort arbeitet sie als Privatdetektivin.

Die in der Provinz wirkende Archivarin interessiert sich für Figuren und Geschichten der berühmten jüdischen Mafiaorganisation. Sie übertrafen „an Phantastik alles, was sich ein Schriftsteller hätte ausmalen können“. Zwi Migdal entstand um die Jahrhundertwende. Die Zuhälter gaben sich als wohlhabende Männer aus, gingen in die polnischen Schtetl und hielten um die Hand junger Frauen an. Den verarmten Eltern versprachen sie Wohlstand und den Töchtern das Blaue vom Himmel. In Argentinien oder Brasilien mussten sie dann als Prostituierte arbeiten.

Auf einer von Ruths Karteikarten aus ihrem Privatarchiv heißt es: „Die Gemeinschaft hatte den Zuhältern den Krieg erklärt. Nach der Tragischen Woche vom Januar 1919…war es dringend notwendig, etwas für den Ruf der Gemeinschaft zu unternehmen: Die Zwi Migdal hatte damals an die fünfhundert Mitglieder und kontrollierte zweitausend Bordelle.“ Zehntausende sollen Opfer dieses Menschenhändlerringes geworden sein, der 1930 von den argentinischen Polizeibehörden zerschlagen wurde, obwohl er über gute Beziehungen in politische Kreise verfügte. „Der spätere Anführer der Zwi Migdal war auf der Flucht vor der österreichisch-ungarischen Polizei von Polen nach Argentinien gelangt. Er hatte zu den Anarchisten gehört und sich irgendwann mit Bakunin angelegt. In Buenos Aires angekommen, hatte der Politiker Alberto Barceló sich seiner angenommen und ihm eine Wohnung in Avellaneda besorgt. Von dort aus hatte er angefangen, Frauen aus Osteuropa zu importieren.“1

Die jüdisch-osteuropäische Emigration nach Argentinien spielt eine große Rolle im Roman. Neben den sozioökonomischen Themen werden auch idiomatische und kulturhistorische Themen behandelt. Die Präsenz des Jiddischen ist ein Markenzeichen des Romans, ebenso die vielen Hinweise auf fast vergessene Kulturgrößen, etwa den „jüdischen Gardel“ Jevel Katz, der aus Litauen stammte, 1930 an den Río de la Plata kam und dort Karriere machte.
So viel zum historischen Hintergrund des Romans. Parallel dazu entwickelt die Autorin eine spannende Handlung um die in Buenos Aires wirkende Privatdetektivin Ruth Epelbaum. Sie erhält eines Tages den Auftrag eines reichen Juweliers, dessen verschwundene Tochter aufzuspüren. Ruth stürzt sich in die Arbeit. Dabei wird sie von ihrer Haushälterin, ihrer „shikse“ Gladys unterstützt. Sie diskutieren, disputieren und recherchieren. „Ich nahm mir wieder die Zeitungen vor. Im brasilianisch-argentinisch-paraguayischen Dreiländereck hatte es eine Razzia in einem Bordell gegeben. Drei Argentinierinnen waren befreit worden. In der nächsten Zeitung stammten die drei Frauen aus der Dominikanischen Republik. In der dritten hatten sie nur als Kosmetikerinnen gearbeitet. Was in der einen Version wahr war, wurde in der nächsten zur Lüge.“
Die beiden Frauen sind fest verwurzelt im Alltag des jüdischen Buenos Aires, sie kaufen koscher ein, kochen koscher, gehen zum jüdischen Friseur, ins Sportstudio oder in eine Aufbahrungshalle im jüdischen Viertel Once. Die vielen jiddischen Ausdrücke werden leider nicht in einem Glossar übersetzt oder erläutert. Ganz nebenbei liefert der Roman interessante Einblicke in das Leben der größten jüdischen Gemeinde Lateinamerikas.

Schon bald zeigen Ruths Nachforschungen, die sie zu mehreren Mordopfern führen, dass der bandenmäßige Frauenhandel am Río de la Plata noch immer aktiv ist und von einflussreichen Richtern und Politikern gedeckt wird. „Allzu viel hat sich seit der Zeit der Zwi Migdal eigentlich nicht geändert. Anders gesagt: Ich war dabei, mich auf vermintes Gelände zu begeben.“ Vor allem die Handlung, die sich um die Mordopfer und den attraktiven mediengeilen Bundesrichter Fontana entspinnt, sorgt für Hochspannung, bis Ruth schließlich aufdeckt, dass er das Oberhaupt einer Gesellschaft ist, die nach dem Modell der Zwi Migdal arbeitet.
„Sangre Kosher“ verspricht spannende und kurzweilige Lektüre. Die Dialoge und Berichte sind knapp und präzise, voller Humor. Die Autorin verzichtet auf überflüssiges Beiwerk, so fesseln sie und der Übersetzer Peter Kultzen die Leserinnen und Leser bis zum Schluss. Man darf gespannt sein auf die beiden anderen Romane der Trilogie.

  • 1. Zu den jüdischen Prostituierten und zur Zwi Migdal in Südamerika vgl. „Ein eigener Platz zum Sterben“ in der ila 239, „Doppelt ausgegrenzt“ in der ila 334 sowie die Besprechung des Romans „Hannahs Briefe“ von Ronaldo Wrobel in der ila 365.