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MapaNica

Ein Busfahrplan für Managua

Managua, Hauptstadt Nicaraguas, mehr als eine Million EinwohnerInnen, eine weitere halbe Millionen PendlerInnen, 9000 Taxis, fast 1000 Busse, aber kein Busfahrplan. Fragt man die Menschen in der Stadt, kennen sie maximal drei bis fünf der insgesamt 37 Buslinien. Nur von diesen wissen sie, wo sie halten und wohin sie fahren. Für Fremde ist es schier unmöglich, mit den lokalen Bussen an das gewünschte Ziel zu kommen. Von Seiten der Behörden tut sich nichts, doch Karina Lange vom Informationsbüro Nicaragua hat eine Gruppe getroffen, die in Eigenregie etwas daran ändern möchte. Felix Delattre berichtet über das Projekt „MapaNica“.

Karina Lange

Was können wir uns unter dem Projekt MapaNica vorstellen?

MapaNica gehört zu dem globalen Projekt OpenStreetMap, dass 2004 in London entstanden ist mit dem Ziel, eine kollaborativ erstellte und allgemein zugängliche Karte der Welt zu erstellen, sozusagen eine „Wikipedia der Karten“. MapaNica nennt sich die Gruppe rund um OpenStreetMap in Nicaragua. Wir sind ein Kollektiv von rund 50 enthusiastischen, technikbegeisterten Menschen, in unterschiedlichem Alter und aus verschiedenen Berufsgruppen, die aber alle Lust haben und die Möglichkeiten suchen, unser Umfeld zu verbessern. Wir sind davon überzeugt, dass der Zugang zu Karten und frei verwendbaren Geoinformationen sich positiv auf die Entwicklung in allen Bereichen auswirkt.

OpenStreetMap stellt Straßen- und Landkarten kostenlos im Netz zur Verfügung. Es gibt Applikationen für Smartphones, Tablets und für den Druck dieser Karten. Doch welchen Nutzen hat ein solches Projekt in einem Land, wo nur 15 Prozent der Bevölkerung Zugang zum Internet haben und nur 10 Prozent ein Smartphone besitzen?

Wenn die Karten und die Programme wirklich frei sind, dann können diese ja auch in vielerlei Weise genutzt werden. Dahingehend gibt es viele technische Lösungen, damit geeignete Karten von jedem Teil der Erde direkt ausgedruckt und verwendet werden können.
Auch für das Aufnehmen von Informationen, für das Erstellen der Karten greifen wir oft auf ausgedruckte Karten (so genannte Field Papers) zurück. Die Leute vor Ort können dann auf dem Papier bestimmte Punkte und Linien einzeichnen. Diese Karten haben einen aufgedruckten QR-Code, sind nach dem Einscannen direkt auf der Karte verortbar und sind eine gute Basis, um die Geoinformationen in OpenStreetMap zu vervollständigen.
Zweifellos ist das Internet eine geniale Plattform, um solche kollaborativen Projekte umzusetzen. Und natürlich brauchen wir Technologie für unsere Arbeit. Aber es gibt viele intelligente Möglichkeiten, auch in Nicaragua die Technologie an die Gegebenheiten anzupassen, um etwas Positives zu schaffen. All das bietet insbesondere Personen und Gruppen mit geringen finanziellen Mitteln die Möglichkeit, die Karten für ihre Zwecke zu entwickeln und zu nutzen. Zum Beispiel können indigene Gruppen ihr Territorium abbilden, es können Karten für den Tourismus oder Katastrophenschutz erstellt werden oder Busfahrpläne eingezeichnet und veröffentlicht werden.

Welche anderen Vorteile hat OpenStreetMap für Nicaragua?

OpenStreetMap ist in Nicaragua die einzige kostenfreie Quelle für geografische Informationen. Es gibt keine andere! Das Nationale Institut für Territoriale Untersuchungen (INETER) verkauft seine Informationen zu einem Preis, den sich nur wenige im Land leisten können. Zudem geben sie die Informationen in Formaten raus, die nicht importiert und im Computer weiterverarbeitet werden können.
In Nicaragua gibt es eine enorme Dichte an kleinen Geschäften, die sich in den Privatwohnungen der Menschen befinden. Fast jedes zweite Haus ist ein eigenes Unternehmen. Eine Karte, die diese Informationen zur Verfügung stellt, würde es den Menschen ermöglichen, die nahgelegenen Angebote zu nutzen, die lokale Ökonomie zu unterstützen und gleichzeitig herauszufinden, welche Produkte oder Leistungen noch nicht angeboten werden, um so eine eigene Nische zu finden.
Sowohl Stadtplanung als auch Katastrophenschutz können mit geeignetem Kartenmaterial und der Partizipation der direkt dort wohnenden Bevölkerung revolutioniert werden. Das Wissen und die Belange der gewöhnlichen Leute, welche natürlich Spezialisten in ihrer Lebensumgebung sind, haben nun einen Platz in den Karten. Das ist ein neuer, wichtiger Schritt!

Es ist nicht nur schwierig, in Nicaragua Zugang zu Land- und Straßenkarten zu bekommen, es ist auch fast unmöglich, sich in Managua mit öffentlichen Bussen quer durch die Stadt zu bewegen, und dies nicht aus Mangel an Bussen, sondern lediglich auf Grund der fehlenden Informationen über das Streckennetz. Ihr habt euch vorgenommen, daran etwas zu ändern.

Die Menschen in Managua kennen in der Regel weniger als eine Handvoll Buslinien: Die Linie, die sie zur Arbeit bringt, zu Familienangehörigen oder einem anderen, oft frequentierten Ort. Müssen sie jedoch mal einen weiteren Ort aufsuchen wie zum Beispiel zu einem speziellen Arzt, bleibt ihnen oft keine andere Möglichkeit, als ein Taxi zu nehmen, was um ein Vielfaches teurer ist und somit für einen großen Teil der Bevölkerung eher selten in Frage kommt.
Wir glauben, dass ein Linienfahrplan von Managua, der einem sagt, welcher Bus von wo nach wo fährt, das Leben in unserer Stadt signifikant verbessern würde, insbesondere für arbeitende Menschen mit einem geringen Einkommen. Sich in einer Stadt bewegen zu können bedeutet, die Möglichkeit zu haben, sich zu entwickeln, persönlich, ökonomisch und emotional.

Wie ist es möglich, dass es in einer Hauptstadt keine zugänglichen Linienfahrpläne über den öffentlichen Nahverkehr gibt? Gibt es auf Ebene der Verwaltung Linienfahrpläne?

Als die Idee aufkam, einen Open-Data-Bus-Linienplan zu erstellen, haben wir als erstes ein Treffen mit der städtischen Behörde für den Nahverkehr arrangiert, die auch zu Beginn großes Interesse an unserem Vorhaben zeigte. Insbesondere hofften wir auf eine produktive Zusammenarbeit, die großen Gewinn für die Bevölkerung darstellen würde. Es stellte sich heraus, dass es nur sehr rudimentäre Pläne über einen Teil der Buslinien gab. Das sind praktisch Textlisten mit den Namen der vorgeschriebenen Bushaltestellen, welche nicht oder nur bedingt eingehalten werden. Die Buslinien werden von Genossenschaften befahren und diese haben teilweise Änderungen eingebaut. Gerne hätten wir die vorhandenen Pläne als Ausgangspunkt für unsere Recherche genutzt. Die Behörde war allerdings nicht bereit, uns die Daten zur Verfügung zu stellen. Gründe dafür konnten uns nicht genannt werden. Noch weniger waren sie bereit, uns Mittel für die Arbeit zur Verfügung zu stellen, obwohl sie großes Interesse an den fertigen Plänen haben. Eine Zusammenarbeit haben wir uns anders vorgestellt und wir beschlossen daher, das Projekt allein, in ehrenamtlicher Arbeit zu stemmen. Gemeinsam sammeln wir die Informationen über das Netz des urbanen Transportes von Managua, um so eine Karte von der Bevölkerung für die Bevölkerung sowie für die BesucherInnen der Hauptstadt zu erstellen.

Wie genau kann ich mir eure Arbeit vorstellen?

Aus eigenen Mitteln und wenigen Spenden haben wir ein paar GPS-Geräte. Damit und mit Papierkarten ziehen die Freiwilligen los, um die Buslinien und die Haltestellen zu kartieren. Dabei fahren sie erst zum Endpunkt der Linie, um dann mit angeschaltetem GPS die ganze Strecke mitverfolgen zu können. Im Gespräch mit dem Busfahrer oder den Passagieren stellte sich hin und wieder heraus, dass der Bus einen anderen Weg nimmt, als das ursprünglich mal vorgesehen war. Die Linie passt sich an die Bedürfnisse der Bevölkerung an. Kartiert wird die Strecke, die der Bus in Wirklichkeit fährt.

Das klingt nach sehr viel Arbeit. Seid ihr da nicht auf Unterstützung angewiesen?

Wir arbeiten hart an dem Projekt und brauchen in der Tat Unterstützung:,sowohl von einzelnen Personen aus Managua, die bei der Kartierung helfen wollen, aber auch finanzielle Unterstützung, um den Linienplan später ausdrucken und verteilen zu können, damit all diese Arbeit letztendlich auch einen Sinn ergibt. Wir freuen uns natürlich über entsprechenden Kontakt (contacto@mapanica.net). Auch halten wir weiter an dem Traum fest, von den öffentlichen Behörden Unterstützung zu bekommen, um etwas zum Wohlergehen der Bevölkerung der Hauptstadt beizutragen. Bald sollte eine Vorabversion des Liniennetzes fertig sein und mit der entsprechenden finanziellen Unterstützung können wir diese Karte drucken und digitale Applikationen erstellen, so wie man es vom öffentlichen Nahverkehr in anderen Ländern gewohnt ist.