ila

Von Uruguay lernen

Eindrücke von der deutschen Premiere von „Señor Kaplan“ am 12. Juli 2015 in Hamburg
Britt Weyde

Nurr wenige Plätze im großen Saal des Hamburger Abaton-Kino blieben unbesetzt, draußen Hamburger Schietwetter. Ein perfekter Sonntagnachmittag für eine Premierenshow mit prominenten Gästen. Nach der Vorstellung kamen der uruguayische Regisseur Álvaro Brechner, der chilenische Hauptdarsteller Héctor Noguera sowie der Hamburger Schauspieler Rolf Becker zum Gespräch vor den Roten Vorhang.

Der Plot des Films – ein älterer jüdischer Uruguayer wird sich der Endlichkeit und Mittelmäßigkeit seines Lebens bewusst, will noch unbedingt etwas Großartiges leisten, um es der Nachwelt zu hinterlassen, entwickelt die fixe Idee, dass ein deutscher Strandbarbesitzer ein hochrangiger untergetauchter ehemaliger Nazi sein muss, und überzeugt einen abgehalfterten Ex-Polizisten davon, zusammen mit ihm den Altnazi zu überführen und späte Gerechtigkeit walten zu lassen. (vgl. vorangehende Besprechung des Romans „Kaplans Psalm“). Die Komödie legt am Anfang ein schnelles Tempo vor, ein Gag jagt den nächsten. Nun, wenn man Slapstick mag... Danach wird die Geschichte weniger hektisch, der Klamauk kehrt aber immer wieder zurück. Gespannt wartet man darauf, dass der „Nazi“ endlich seinen ersten richtigen Einsatz hat. Der ereignet sich relativ spät, verläuft dafür dann umso fulminanter.
Das ganze Setting ist sehr uruguayisch, der Hauptdarsteller Sinnbild der alternden uruguayischen Gesellschaft; Uruguay-Freunde erkennen mit Freuden die schönen Strände wieder. Das Schauspielerensemble ist erstklassig: Neben dem Hauptdarsteller Héctor Noguera überzeugen Néstor Guzzini, der schon bei den uruguayischen Erfolgsfilmen Gigante und Tres mitspielte, als treu-trotteliger Ex-Bulle sowie die flapsig-coole Enkelin Lottie, gespielt von Nuria Fló, und natürlich Rolf Becker als „der Deutsche“.

Wie er auf die Geschichte gekommen sei, wird Regisseur Brechner bei der Deutschlandpremiere gefragt. Er erzählt von der Generation, die aus Europa nach Lateinamerika auswandern und alles zurücklassen musste. Auch seine heute 90-jährige Oma musste 1939 Europa verlassen, „zu dem Zeitpunkt vergaben nur noch China und Bolivien Visa“. Diesen Menschen wollte er mit dem Film seine Ehrerbietung erweisen. In einem Halbsatz erwähnt der Regisseur, dass er dann auf den Roman „Kaplans Psalm“ von Marco Schwartz stieß, der so gut zu seinem Vorhaben passte. Schnell kommt er auf die Anekdoten aus dem Leben seiner Großeltern zurück, die sich in seinem Film wiederfinden, etwa die Szene beim Augenarzt, wo Jacobo Kaplan schummelt; oder die Szene, in der der Protagonist voll bekleidet auf dem Sprungbrett über einem Becken liegt und mit den Armen rudert, weil er endlich schwimmen lernen will.

Rolf Becker legt eindeutig den coolsten Auftritt hin, sowohl im Film als auch bei der Premiere: Seines Zeichens Mitglied des Auschwitzkomitees, lädt er eine alte Freundin und Genossin, die jüdische Auschwitzüberlebende und Musikerin Ester Bejarano, spontan nach vorne ein.

Nach weiteren Anekdoten, etwa darüber, wie Brechner und Becker für den Film zueinander gefunden haben – Brechner: „Als wir in Berlin zusammen Schnitzel aßen, meinte ich zu ihm, dass er viel zu sympathisch rüberkomme, um einen möglichen Nazi zu spielen; da fing Becker aus heiterem Himmel fürchterlich zu brüllen an. Das hat mich überzeugt!“ – wendet sich Rolf Becker mit einem Appell ans Publikum: Angesichts der dramatischen aktuellen Lage im Mittelmeer, Stichwort Lampedusa, sollten wir uns ein Beispiel an Uruguay nehmen, schließlich habe die uruguayische Regierung zu Zeiten der Judenverfolgung viele Flüchtende aufgenommen.

Zum Schluss macht Brechner für seine Oma ein Foto vom verzückten deutschen Premierenpublikum, bevor dann für alle Empanadas und uruguayischer Wein, vom uruguayischen Konsulat gesponsert, im Foyer kredenzt werden.