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Der bitter-süße Geschmack von Stevia

Eine Studie über Irreführung der VerbraucherInnen
Anja Lenkeit
David Klässig

Noch so ein Superfood, mit dem man angeblich schöner, schlanker, schlauer wird. Nachdem synthetische Süßstoffe und weißer Zucker als ungesund eingestuft wurden, schien Stevia der Sündenablass. Mit steigender Tendenz weisen heute schon Hunderte Produkte wie Cerealien, Tees, Joghurts, Bonbons und Getränke Stevia als natürliches Süßungsmittel aus und suggerieren den KäuferInnen, dass sie für ein gesundes Leben nicht auf süße Speisen und Getränke verzichten müssen. Aber was steckt hinter der Produktbewerbung und welche Auswirkungen hat der steigende Konsum auf die Guaraní in Paraguay und Brasilien, die die Steviablätter seit Jahrhunderten nutzen? Sechs internationale Organisationen haben eine Studie dazu herausgebracht.

Stevia, von den indigenen Guaraní als Kaá he‘é bezeichnet, wird von den Guaraní Kaiowá in Brasilien und den Pai Tavytera in Paraguay seit Jahrhunderten angebaut und genutzt. Diese indigenen Gruppen umfassen ca. 15 100 Personen, die in 61 Gemeinschaften leben, von denen wiederum 14 durch Vertreibung über kein eigenes Land verfügen. Sie sind der Gewalt von Polizei und Großgrundbesitzern ausgesetzt, die selbst vor Morden nicht zurückschrecken. In Brasilien leben sie in überfüllten Reservaten oder in Zelten am Straßenrand. Regierungsbeschlüsse für Landvergabe wurden bisher von den Großgrundbesitzern, wie etwa Bunge, einem Zuckerlieferanten für den Coca-Cola-Konzern, ignoriert. Die Folgen dieser Situation sind prekäre Arbeitsbedingungen und sklavereiähnliche Lebensverhältnisse für die Guaraní auf den Plantagen.

Bereits im Jahr 1887 erzählten die Indigenen dem Schweizer Botaniker Bertoni von der Wirkung der Steviablätter, die so auch außerhalb Paraguays bekannt wurden. Er erwarb 1894 einige Blätter und ordnete sie unter die Korbblütler ein, zu denen auch Sonnenblumen gehören, und gab ihr den wissenschaftlichen Namen. Er gilt seither als ihr Entdecker. Kommerzialisiert wurde Stevia in den 70er-Jahren und gilt in der ernährungsbewussten Konsumwelt als gesund, im Gegensatz zum krebserregenden weißen Zucker, Cyclamat und Saccharin. Wie Studien aus Paraguay belegten, ist Stevia auch für die Behandlung von DiabetikerInnen geeignet. Somit müsste der steigende Konsum ein großes Potenzial für die kleinen Bauern und Bäuerinnen haben. Anders als Zuckerrohr oder Mais wird die Stevia vorwiegend von KleinbäuerInnen angebaut, da sie arbeitsintensiv ist. Der Vorteil für die Campesinos/as, die durchschnittlich über fünf bis zehn Hektar Land verfügen, besteht in der Möglichkeit, Stevia in diversifizierten Systemen in Fruchtfolge mit anderen benötigten Nutzpflanzen anbauen zu können.

Allerdings dürfen die Steviablätter in Europa, der Schweiz und den USA nicht auf dem Markt verkauft werden. Sie dienen lediglich als Rohstoff zur Herstellung von genmanipulierten Steviolglykosiden, die als Lebensmittel anerkannt sind und in Produkten auf den Markt kommen. Trotzdem werben die Konzerne mit Attributen wie natürlich, traditionell, seit Jahrhunderten verwendet und mit dem Verweis auf die Guaraní. Lediglich fünf Prozent der Produkte auf dem deutschen Markt waren korrekt gekennzeichnet, sieben Prozent der Produkte entsprachen nicht den EU-Lebensmittelrichtlinien. Coca-Cola Life preist ihr Produkt zur Bekämpfung von Fettleibigkeit an, obwohl neben den Steviolglykosiden weiterhin über vier Teelöffel Zucker in einer Dose enthalten sind.

Derzeit ist es für Campesinos/as in Paraguay noch möglich, für den Anbau der Steviapflanzen als Rohstoff zur Herstellung von Steviolglykosiden einen kleinen Anteil des Gewinns zu erhalten. Doch für das Jahr 2016 haben große Unternehmen das Ziel, mithilfe von synthetischer Biologie Steviolglykoside herzustellen, womit sie auf den natürlichen Rohstoff vollständig verzichten könnten. Im Jahr 2010 hat sich ein Fachverband für die Vermarktung von Steviolglykosiden gegründet. Einzelne Unternehmen befinden sich im Wettlauf um Patente und forschen, um die schmackhafteste Genkombination zum günstigsten Herstellungspreis zu erhalten. Die synthetische Biologie wird als extreme Form der Gentechnik bezeichnet und ihre gesundheitlichen Auswirkungen auf Konsumierende und Umwelt sind noch nicht ausreichend untersucht. Acht Unternehmen, die Patente angemeldet haben, vereinen 46 Prozent der Patente und kontrollieren somit den Steviamarkt.

Die VerfasserInnen der Studie fordern die Einhaltung  der UN-Konvention über biologische Vielfalt und des Nagoya-Protokolls sowie der darin vereinbarten Vorteilsaufteilung unter Berücksichtigung der Bedürfnisse der Guaraní, beispielsweise durch Landvergabe oder monetären Ausgleich, sowie das Verbot der Irreführung der VerbraucherInnen, damit diese zwischen synthetischen und natürlichen Steviabeigaben unterscheiden können. Da es unterschiedliche Rechtslagen gibt, wäre eine einheitliche internationale Implementierung der Abkommen notwendig. Des Weiteren fordern die VerfasserInnen eine Unterstützung der Guaraní durch Beratungsstellen, Kredite und Informationsplattformen. Durch einen regionalen Schutz, ähnlich dem Darjeelingtee oder dem Kölsch, könnte den KleinbäuerInnen ein Alleinstellungsmerkmal und somit eine Verbesserung ihrer Situation garantiert werden.

Der bitter-süße Geschmack von Stevia, Herausgeber: Erklärung von Bern, CEIRAD, Misereor, Pro Stevia Schweiz, SUNU, Universität Hohenheim, 36 Seiten, im Netz unter: www.misereor.de/fileadmin/publikationen/studie-der-bitter-suesse-geschma... herunterzuladen.