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Die Landfrage, der Putsch und die Sojabarone

Soja in Paraguay

„Was machen die Europäer nur mit so viel Soja“, fragen sich immer wieder die BäuerInnen in Paraguay. „Für die deutsche Tierproduktion werden in Lateinamerika auf etwa drei Millionen Hektar Soja angebaut“, resümiert der Fleischatlas vom BUND, auf einer Fläche also, die in etwa der Paraguays entspricht. Was aber bedeutet dieser Sojaboom für das Land? Welche Auswirkungen hat er auf die ländliche Bevölkerung und die gesamte Gesellschaft?

Regine Kretschmer

Maggui Balbuena von der Koordination indigener und kleinbäuerlicher Frauen, CONAMURI, resümierte es 2003 so: „Der Sojaboom ist ein Schock für uns. Er ist eine Attacke auf unser Leben und unsere Identität“, um dann weiter auszuführen: „Das Gift ruft eine Psychose unter unseren Leuten hervor, sie fühlen sich von den Sojafeldern geradezu eingeschlossen. Die Leute fliehen vor dem Gift.“ Dies war im Jahre 2003, damals wurden „nur“ 1 550 000 Hektar Soja angebaut, im Jahr 2015 hat sich die Fläche mehr als verdoppelt, mit 3 264 480 Hektar; seit 2016 wird auch im semiariden Chaco Soja angepflanzt. Paraguay ist aktuell weltweit der siebtgrößte Produzent von genetisch veränderten Anbauprodukten, nach den USA, Brasilien, Argentinien, Indien, Kanada und China. Seit dem Gespräch mit Maggui ist viel passiert. Soja hat das Land tiefgreifend verändert.

Damals begannen die spontanen Reaktionen im gesamten Land, die bis heute anhalten; ganze Dörfer mobilisierten sich gegen die massiven Pestizideinsätze. Die Sprühtraktoren wurden zum Symbol für die Zerstörung der Umwelt und die Vergiftung der Menschen. Im Juni 2004 schlossen sich die Bauernorganisationen mit Studierenden, Gewerkschaften und anderen zu einer nationalen Vereinigung zusammen, die sich die „Verteidigung der Souveränität und des Lebens“ auf die Fahnen schrieb: Frente Nacional de la Lucha por la Soberanía y por la Vida. Mit dieser Plattform sagten sie dem Agrobusiness den Kampf an und begannen landesweite Aktionen durchzuführen.

Dann kam die Repression. Am 9. November 2004, dem von der Frente ausgerufenen nationalen Protesttag, wurden die Demonstrationen niedergeschlagen und binnen weniger Wochen alle Landbesetzungen geräumt. Im Jahr 2004 gab es die höchste Anzahl von Landbesetzungen seit dem Ende der Stroessner-Diktatur 1989. Im selben Jahr wurden 1500 Bauern und Bäuerinnen strafrechtlich verfolgt und somit ihre Beteiligung an öffentlichen Aktionen unterbunden.

Im Jahre 2004 befanden sich die KleinbäuerInnen Paraguays an einem Scheideweg, denn sie hatten in den vorhergehenden 15 Jahren viel Land, fast 500 000 Hektar, dank Landbesetzungen erobert, die einzige Möglichkeit, ihr Recht auf Land umzusetzen angesichts des fehlenden politischen Willens der Regierung, eine Agrarreform durchzuführen. Anfang des neuen Jahrhunderts gab es aber immer noch 300 000 Familien, die über kein Land verfügten und bereit waren, sich dafür zu engagieren. Eine Landreform ist die wichtigste Forderung der Bauernorganisationen seit dem Sturz der Diktatur 1989.
Seit Anfang des neuen Jahrhunderts steigt aber auch die Soajaanbaufläche rasant an, zwischen 2002 und 2003 wurden knapp 500 000 Hektar in die Sojaproduktion einverleibt. Im selben Zeitraum mussten 14 000 Bauernfamilien ihr angestammtes Land verlassen und wanderten in die Elendsviertel der Städte ab. Die LandarbeiterInnen befanden sich in einer existentiellen Krise, umzingelt von Soja, konfrontiert mit einer Justiz, die sie verfolgt, aber illegale Landaneignung und Umweltverstöße ungesühnt lässt, mit „demokratischen“ Regierungen, die die Sorgen und Bedürfnisse großer Teile der Bevölkerung nicht ernst nehmen, und mit einer neoliberalen Politik, die Land und natürliche Ressourcen zum Ausverkauf freigibt. Hinzu kommt die illegale Aneignung von fast 20 Prozent des gesamten Landes durch Großgrundbesitz, das eigentlich der Agrarreform vorbehalten ist, aber heute vom Agrobusiness genutzt wird. Für die Rückübertragung dieses Landes, eine zentrale Forderung der Bauernorganisationen, fehlt es aber ebenfalls am politischen Willen.

Die Soja ist, laut Untersuchung der FAO, eine der wich tigsten Gründe für Landkonzentration (neben Viehzucht und Mais). Der Vergleich der Agrarzensus von 1991 und 2008 bestätigt die Landkonzentration. Während der Großgrundbesitz (vor allem die Ländereien mit über 10 000 Hektar) erheblich hinzugewonnen hat, verloren die Kleinbauern fast ein Drittel ihres Landes. An die 100 000 Bauernfamilien mussten ihre Höfe seit 1991 verlassen und abwandern, meist in die Elendsviertel der Städte.

Dies erklärt, warum Fernando Lugo als unabhängiger Kandidat 2008 die Präsidentschaftswahlen gewann, just in dem Jahr der weltweiten Hungerkrise, die unter anderem durch das Landgrabbing ausgelöst worden war. Die Bauernorganisationen setzten viele Hoffnungen auf die neue Regierung, die 60 Jahre Alleinherrschaft der Colorado-Partei beendete und eine Landreform versprach. Man erwartete partizipative Politikansätze und eine Demokratisierung des Zugangs zu Land. Wie viel Demokratie verträgt jedoch eine Sojarepublik mit einer der längsten Diktaturen in Südamerika (1956-1989), einer enormen Macht- und Landkonzentration und einer absolut abhängigen und peripheren Wirtschaft?
Lugos Amtsführung wurde von Anfang an von der Oligarchie blockiert, seit seinem Amtsantritt gab es unzählige Putschversuche. Die Gewalt erfuhr im sogenannten „Massaker von Curuguaty“ (dies war die gewaltsame und illegale Räumung einer Landbesetzung mit 17 Toten, darunter elf Bauern) einen neuen, traurigen Höhepunkt und wurde als Vorwand genutzt, um den Präsidenten Lugo mittels eines parlamentarischen Putsches abzusetzen. „Was ist in Curuguaty passiert?“, fragen sich die sozialen Bewegungen und sind davon überzeugt, dass es sich dabei um eine für machtpolitische Zwecke instrumentalisierte Aktion handelte, die das Ziel verfolgte, eine ökonomische und politische Kehrtwende herbeizuführen. Paraguay ist das erste Land im Cono Sur, das einen Rechtsruck vollzieht; Brasilien und auch Argentinien sollten folgen.

Übergangspräsident Frederico Franco, später dann auch der gewählte Präsident Horacio Cartes, kombinierten eine repressive Politik mit der Öffnung des Landes für internationale Investoren. Wenige Wochen nach dem Amtsantritt von Cartes wurde am 28. Oktober 2013 in einem Eilverfahren das umstrittene Gesetz der „Privat-Öffentlichen Allianz“ verabschiedet, das Privatisierungen oder langfristige Pacht von natürlichen Ressourcen ermöglicht. Neue Gesetze und „Entwicklungsprogramme“ folgten, die das Land mittels Investitionen in Infrastruktur wirtschaftlich „erschließen“ sollen.
Umweltauflagen werden seitdem nicht mehr eingehalten oder kontrolliert, Normen und Gesetze umgangen oder missachtet. Gesellschaftliche Partizipation ist in diesem Modell nicht vorgesehen, eine Debatte über die ökologischen und gesundheitlichen Folgen des Sojaanbaus und über die Zulassung genetisch veränderter Soja wird nicht geführt. Ein autoritärer Wind, Folge der Stroessner-Diktatur und der aktuellen Narco-Regierung, einer Regierung also, die offen von einer bestimmten Drogenmafia geführt wird, weht wieder durch das Land.

BäuerInnen und Indigene werden seit dem Putsch 2012 massiv unter Druck gesetzt. Menschenrechtsanwalt Dante Leguizamon betont, dass die Repression durch Polizei und Militär durchaus bekannten Mustern folgt, aber unter der Regierung Cartes rasant zugenommen habe. „Drohungen, Verhaftungen sowie Straflosigkeit sind heute an der Tagesordnung“, resümiert der Anwalt. Periodisch gibt es Räumungen von indigenen und kleinbäuerlichen Gemeinden, die mit windigen Landtiteln gerechtfertigt werden und de facto Landvertreibungen sind. Über 70 Landkonflikte soll es seit dem Amtsantritt von Cartes (am 15. August 2013) gegeben haben. Darunter befinden sich Gemeinden, die seit Jahrzehnten das Land bewirtschaften und langwierige Rechtsstreitigkeiten über Besitztitel erdulden müssen, wie der Fall von Latarzakue. Hier leben Familien seit über 40 Jahren und im Oktober 2013 wurde das Dorf brutal geräumt, um für Sojamonokulturen Platz zu machen.

Landbesetzungen werden nicht geduldet. Erst im Juli 2016 wurde das Bauerndorf Ko e Pyahu geräumt, über 1000 Polizisten waren im Einsatz, ein eindeutiger Versuch, einzuschüchtern und Macht zu demonstrieren.

Auch indigene Gemeinden sehen sich immer gewalttätigeren Angriffen ausgesetzt. In Canindeju wurden das indigene Dorf Y´apo geräumt und über 100 Häuser niedergebrannt, während die Dorfmitglieder einer Vorladung durch die lokale Richterin zur Klärung der Besitztitel nachgekommen waren. Es liegt nahe, eine koordinierte Aktion zwischen Justiz, Polizei und dem Unternehmen anzunehmen. Am 15. Juni 2015 wurde dieselbe Gemeinde von Paramilitärs überfallen, mehrere Indigene wurden verletzt. Der bisherige Höhepunkt ist aber der Überfall am 21. Mai 2016 auf die indigene Gemeinde Jejytymiri in Alto Paraná durch Privatmilizen eines brasilianischen Sojahändlers, der sich das Land aneignen will. Sechs Einwohner wurden dabei durch Schüsse verletzt. „Sojabarone und Großgrundbesitzer heuern Auftragsmörder an und können mit der Unterstützung staatlicher Institutionen rechnen“, klagten an die 30 Organisationen in einer öffentlichen Anhörung über Menschenrechtsverletzungen am 9. Juli 2014.
 
Die Politik des laissez faire der Behörde SENAVE, die für die Registrierung und Kontrolle von Saatgut und Pestiziden zuständig ist, gegenüber dem massiven Pestizideinsatz rundet das Bild ab. Die Einfuhr von Pflanzenschutzmitteln und Saatgut wie auch die Verwendung von Pestiziden wird nicht mehr überprüft (siehe nachfolgendes Interview mit Miguel Lovera). So sind seit Juni 2012 17 neue genetisch veränderte Samen legalisiert worden, ohne vorherige Labortests und Beteiligung des Gesundheits- und Umweltministeriums. Der neue Präsident der SENAVE unterbindet nicht nur Kontrollen der Pestizideinsätze, sondern versichert den Sojabaronen auch, dass sie nicht mehr behelligt werden wie unter der Lugo-Regierung.

Der Import von Agrargiften hat sich erheblich erhöht, wie ein Vergleich öffentlicher Statistiken von 2009 und 2013 zeigt. Der Import von Herbiziden stieg von 6 129 260 Kilo im Jahre 2009 auf 32 435 569 im Jahre 2013, der von Insektiziden von 2 442 020 Kilo auf 8 200 327 und der von Fungiziden von 234 930 Kilo auf 3 254 212 Kilo. Laut einer Berechnung von Ines Franceschelli kommen heute auf jedeN EinwohnerIn Paraguays jährlich neun Liter Pestizide.

Es darf munter gesprüht werden, wann und was man will. Bauern, die sich wehren und auf Vorgaben und Rechte pochen, werden verprügelt, verfolgt und kriminalisiert. „Anstatt dass der Staat seiner Verpflichtung nachkommt, die Gesetzte einhält und die Bevölkerung schützt, verfolgt er die BäuerInnen, die ihre Rechte einfordern“, klagt Marcial Gómez von der Federación Nacional Campesina FNC, der aktuell stärksten Kleinbauernorganisation. Momentan werden allein 250 Mitglieder der FNC strafrechtlich belangt aufgrund ihres friedlichen Widerstandes gegen die massiven Pestizidbesprühungen im Agrarjahr 2015/2016. Hiermit sind ihre Rechte, an öffentlichen Aktionen teilzunehmen, erheblich eingeschränkt, Zuwiderhandlungen können Gefängnisstrafen nach sich ziehen.
Eklatant ist der Fall des Dorfes Huber Dure in der Region von Canindeju, wo 2015 nach einer Pestizidsprühung in der benachbarten Sojamonokultur zwei kleine Kinder starben, vier weitere ins Krankenhaus kamen, mehrere Dorfmitglieder erkrankten und an die 300 Tiere verendeten. Die Bauernorganisation FNC erstatte daraufhin bei allen relevanten Institutionen Anzeige (Staatsanwaltschaft, Umwelt- und Gesundheitsministerium), aber nichts wurde unternommen. Das Gesundheitsministerium erklärte noch bevor  Untersuchungen durchgeführt wurden, dass die Todesursache nicht mit den Pestizideinsätzen in Verbindung gebracht werden könne. „Nach unserem Verständnis“, schlussfolgert Marcial Gómez, „sind die Institutionen des Staates, die Justiz, das Parlament, von den Großgrundbesitzern und den transnationalen Firmen unterwandert worden.“

Die Hälfte der Sojaexporte geht nach Europa, überwiegend nach Deutschland. 11,3 Prozent machte 2013 der Export der Bohne nach Deutschland aus, dem wichtigsten Handelspartner Paraguays innerhalb der EU. Deutsches Kapital ist aber auch in der gesamten Wertschöpfungskette präsent: Saatgut und Chemie (Bayer/BASF)1, Transport (Imperial Shipping), Anbau und Vertrieb von genetisch verändertem Saatgut (DEG), Technologie, landwirtschaftliche Geräte oder Fahrzeuge.

In den Publikationen der deutsch–paraguayischen Handelskammer wird immer wieder die Initiative des Präsidenten des Landes gelobt, da er die Einbindung in die lokalen und internationalen Märkte vorantreibe, Auslandsinvestitionen fördere und die defizitäre Infrastruktur ausbaue, um den wachsenden Güterfluss zu bewältigen. Ein „insgesamt positives Geschäfts- und Investitionsklima“ lobt die Handelskammer, auch da „Auslandsinvestitionen (...) durch Steueranreize und niedrige Zölle gezielt gefördert“ würden. Die Rolle Paraguays in der internationalen Wertschöpfungskette wird passend so definiert: „Paraguay importiert als Agrarland Technologien und exportiert dafür Lebensmittel und Agrarrohstoffe.“

Skandalös sind die Investitionen der deutschen Entwicklungsgesellschaft (DEG). Im Jahr 2013 investierte die DEG erstmals in Paraguay und es entstand die Firma PAYCO. Diese besitzt nach eigenen Angaben 128 296 Hektar Land, die sich in zehn Estancias aufteilen, zusätzlich wird Land gepachtet. In der Estancia Golondrina, dem Kernstück des Unternehmens, wird nicht nur Soja angepflanzt, sondern auch genetisch verändertes Saatgut produziert und kommerzialisiert, mit Lizenz von Monsanto. Somit ist PAYCO ein Akteur auf dem Markt, der genetisch verändertes Saatgut in Paraguay produziert und vertreibt, finanziert von der „Entwicklungsbank“ DEG und über deren Aufsichtsrat genehmigt von der Bundesregierung, also mit öffentlichem Mandat und öffentlichen Geldern. Auf diesem Land befinden sich allerdings auch drei indigene Mbya-Gemeinden, die seit den 80er-Jahren ihr Recht auf Territorium einklagen, bisher ohne Erfolg. Die Mbya klagen über gesundheitliche Folgen der Pestizideinsätze. Die Firma missachtet, wie fast alle Unternehmen in Paraguay, die vorgeschriebenen Umweltnormen.