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Deutsche Waffen, deutsches Geld …

Das G36 von Heckler&Koch und seine unrühmliche Rolle in Mexiko

Sechs Tote, 43 verschleppte Studenten und ein beachtliches Arsenal illegal gelieferter Gewehre in den Waffenschränken mexikanischer Polizisten, kein Vorfall hätte deutlicher die Konsequenzen deutscher Rüstungsexporte aufzeigen können als das Massaker von Iguala. Wenige Wochen nach dem Angriff auf die jungen Männer am 26. September 2014 offenbarten die Ermittlungsakten, dass bei dem Überfall Gewehre vom Typ G36 des Oberndorfer Unternehmens Heckler&Koch (H&K) im Spiel waren.

Wolf-Dieter Vogel

Am Morgen nach dem Angriff von Kriminellen und Polizisten fanden die Strafverfolger im Polizeirevier der Stadt 38 dieser Waffen. Spätere Untersuchungen zeigten: Die Policía Municipal besaß insgesamt 56 der Sturmgewehre. Sieben waren in der Nacht im Einsatz.

Keines der Gewehre hätte dorthin gelangen dürfen. Denn Iguala liegt in Guerrero, einem Bundesstaat, für den deutsche Exportbehörden explizit keine Ausfuhrgenehmigung erteilt hatten. Bereits viereinhalb Jahre vor dem Angriff auf die Studenten der pädagogischen Schule Ayotzinapa hatte der Friedensaktivist Jürgen Grässlin bei der Stuttgarter Staatsanwaltschaft Anzeige gegen H&K erstattet. Er warf der Firma vor, zwischen 2006 und 2009 mehrere Tausend G36-Gewehre widerrechtlich in die Bundesstaaten Chihuahua, Jalisco, Chiapas und Guerrero exportiert zu haben.

Ein ehemaliger Mitarbeiter, der in diesen Regionen Polizisten am G36 ausgebildet hatte, informierte Grässlin über den kriminellen Deal. Der Rüstungsgegner sowie einige JournalistInnen lieferten in der Folge ein Beweismittel nach dem anderen: Aufnahmen von Polizisten, die in Chihuahua und Guerrero mit dem Gewehr patrouillierten, eine Ausbildungsurkunde aus Jalisco und ein Schreiben des Käufers, des mexikanischen Verteidigungsministeriums (Sedena). Dieses Dokument bestätigte, dass 4796 von angeblich 9652 gelieferten Gewehren genau in die vier verbotenen Bundesstaaten geliefert wurden.

Dennoch ließen sich die Stuttgarter Staatsanwälte bei ihren Ermittlungen reichlich Zeit. Hätten die JournalistInnen, Grässlin sowie dessen Anwalt Holger Rothbauer nicht ständig neue Details veröffentlicht, wäre der Fall wohl ad acta gelegt worden. Ein Schreiben des mexikanischen Verteidigungsministeriums belegt, dass der zuständige Staatsanwalt Peter Vobiller ein Jahr nach der Anzeigenerstattung noch nicht einmal beim Kunden nachgefragt hatte. „Wir wissen offiziell nichts von einer juristischen Untersuchung im Zusammenhang mit dem Unternehmen Heckler&Koch wegen des Verkaufs von Waffen“, schreibt die Sedena im März 2011.

Erst als durch die Medien ging, dass die G36 beim Massaker von Iguala im Spiel waren, kam Bewegung in den Fall. Der damalige Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Christoph Strässer, besuchte die Angehörigen der Studenten, ein ARD-Themenabend widmete sich dem Weg der Waffen nach Guerrero. Wenige Wochen nach dieser Ausstrahlung ging die Staatsanwaltschaft endlich den entscheidenden Schritt. Am 5. November 2015 erhob sie Anklage gegen einen früher für H&K in Mexiko tätigen Verkaufsleiter, eine Vertriebsmitarbeiterin, zwei Vertriebsleiter und zwei ehemalige Geschäftsführer. Der Vorwurf: Verstoß gegen das Kriegswaffenkontroll- und das Außenwirtschaftsgesetz. Wann genau der Prozess stattfinden wird, ist unklar, vielleicht Anfang 2017, sagen die Strafverfolger.

Die Mitarbeiter sollen gezielt Ausfuhrpapiere geschönt haben, um den tatsächlichen Verbleib der Gewehre zu verschleiern. Waffen, die laut den Dokumenten in den Bundesstaat Colima geliefert wurden, landeten de facto in Chiapas. Dabei sollten diese sogenannten Endverbleibserklärungen eigentlich sicherstellen, dass Ausfuhren genau in die Regionen gelangen, für die das Bundesausfuhramt (Bafa) eine Genehmigung erteilt hat.

Die Anklageerhebung ist ein wichtiger Schritt, um deutsche Rüstungsfirmen für ihre tödlichen Exporte zur Rechenschaft zu ziehen. Und dennoch ist sie nur ein Teilerfolg. Aus gutem Grund hatte Rothbauer die Anzeige bereits im November 2012 auf die Verantwortlichen in den Exportbehörden ausgeweitet. Interne Unterlagen aus dem Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) legen nahe, dass hohe Beamte aktiv daran beteiligt waren, die illegalen Lieferungen abzusichern. Man habe eine „politische Lösung“ angestrebt, erklärte etwa der Ministerialrat Claus W. Dabei wusste er selbst genau, dass die Unterteilung eines Landes in belieferbare und nicht belieferbare Bundesstaaten „völkerrechtliche Probleme aufwerfen könnte“. Aber das Ministerium könne sowieso nicht kontrollieren, wohin die Gewehre gingen, beruhigte er. Tatsächlich hat kein Bafa-Beamter oder Diplomat der deutschen Botschaft jemals ernsthaft geprüft, wo die G36 gelandet sind.

Doch auch unabhängig davon scheint diese fragwürdige Unterteilung einzig dem Ziel geschuldet gewesen zu sein, Rücksicht auf die Menschenrechtslage vorzutäuschen. Die Lieferung der Gewehre fiel exakt in jene Zeit, in der Mexikos damaliger Präsident Felipe Calderón den sogenannten Krieg gegen die Mafia begann. Nicht nur in den vier verbotenen, sondern in fast allen Bundesstaaten mordeten und folterten Polizisten sowie Schergen des organisierten Verbrechens. Und sie tun es bis heute, ganz abgesehen davon, dass angesichts der korrupten Strukturen zwischen Sicherheitsbeamten, Politikern und Kriminellen niemand kontrollieren kann, wer letztlich mit den Schwarzwälder Gewehren schießt. In Guerrero beschlagnahmten Patrouillen der autonomen Gemeindepolizei ein G36-Gewehr bei einem einschlägig bekannten Mitglied einer örtlichen Verbrecherbande. Auch 15 der verhafteten Polizisten, denen im Revier von Iguala ein G36 zugeordnet war, sollen im Sold der kriminellen Guerreros Unidos gestanden haben.

„Regelungen wie die, einige Bundesstaaten auszuschließen, sind nichts als Etikettenschwindel, um eine Rüstungsexportkontrolle zu simulieren, die es nicht gibt“, resümiert Rothbauer. Er fordert, dass auch Beamte des BMWI und des Bafa auf die Anklagebank kommen. Doch die Ermittler ignorierten bislang die Anzeige des Juristen. Konsequenzen hatte das ständige Kritisieren jedoch auf politischer Ebene: Vor allem die inkriminierten H&K-Geschäfte führten dazu, dass Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel im Juli 2015 verfügte, die Endverbleibskontrollen zu verschärfen. Ob seine Maßnahmen zielführend sind, muss sich erst noch erweisen. PolitikerInnen der Grünen und der Linken sind skeptisch.

Die Stuttgarter Staatsanwaltschaft hat indes zum Gegenangriff ausgeholt. Der Ankläger Vobiller leitete im Frühjahr 2016 Ermittlungen gegen ein Team von Journalistinnen und Journalisten ein, die an dem ARD-Themenabend „Tödliche Exporte“, dem begleitenden Web-Auftritt sowie einem Buch zum Thema beteiligt waren, eine Produktion, die mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet wurde. Er bezeichnet die Veröffentlichung der BMWI-Dokumente als Geheimnisverrat und Verstoß gegen das Presserecht. „Anstatt sich mit der Botschaft auseinanderzusetzen, geht man gegen die Botschafter vor“, reagierte der beschuldigte Filmemacher Daniel Harrich auf die Ermittlungen. „Das Absurde ist“, so ergänzt der ebenfalls betroffene Grässlin, „dass größtenteils wir es waren, die die Unterlagen dem Staatsanwalt vorher gegeben haben.“ Derzeit liegt der Fall beim Landgericht München, weil dort Harrichs Filmfirma angesiedelt ist.

Zurück nach Mexiko. Dort kämpfen die Angehörigen der Studenten weiterhin dafür, dass aufgeklärt wird, was mit den 43 Studenten passiert ist, die am 26. September verschleppt wurden, und dafür, dass die Verantwortlichen nicht straffrei ausgehen. Das könnte nun auch den Waffenlieferanten treffen. Das European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) hat am 6. Oktober beim Landgericht Stuttgart Akteneinsicht im Verfahren gegen H&K beantragt. Das in Berlin ansässige Menschenrechtszentrum vertritt die Eltern des Studenten Aldo Gutiérrez, der in dieser Nacht schwer verletzt wurde und seither im Koma liegt. „Diese Informationen können den Weg für weitere zivilrechtliche und strafrechtliche Schritte gegen das Unternehmen ebnen“, erklärt ECCHR-Vertreter Christian Schliemann. Denkbar sei sowohl eine Schadenersatzklage gegen das Unternehmen als auch ein Verfahren wegen Beihilfe zu schwerer Körperverletzung.  

Noch ist nicht bewiesen, ob Gutiérrez Opfer eines Projektils aus der Oberndorfer Waffe wurde. Einiges spricht dafür. Mindestens elf Schüsse aus drei G36-Gewehren feuerten Beamte dort ab, wo Gutiérrez getroffen wurde. Das ergaben ballistische Untersuchungen. Die Polizisten, die diese Gewehre getragen hatten, sitzen deshalb im Gefängnis, allerdings keiner wegen des Schusses auf Gutiérrez. Verhaftet wurde aber ein Beamter, der das G36 trug und an der Verschleppung von Julio Cesar Mondragón beteiligt war. Der Student wurde am Morgen auf der Straße gefunden. Seine Peiniger hatten ihn gefoltert, ihm die Gesichtshaut abgezogen und die Augen ausgerissen.
Auch in diesem Fall ist unklar, welche Rolle das G36 genau spielte. Das liegt nicht zuletzt daran, dass die Ermittler bei der Sicherung des Tatorts oberflächlich vorgingen und Beweismittel zerstörten. Außer Frage steht jedoch, dass der Überfall auf die Studenten nur durch den Besitz von Waffen möglich war, die u.a. von H&K geliefert wurden. Dass die Gewehre widerrechtlich in Guerrero landeten, ist für die politische und juristische Aufarbeitung von zentraler Bedeutung. Wären sie legal geliefert worden, hätte sich die Öffentlichkeit kaum dafür interessiert.

Das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die meisten Menschen durch Waffen sterben, die ganz legal in Mexiko landen oder gleich dort hergestellt werden, so etwa G3-Gewehre, die unter der Lizenz von H&K jahrzehntelang dort produziert wurden. Bis heute schießen mexikanische Soldaten damit, etwa beim Massaker von Tlatlaya vom Juni 2014, bei dem die Armeeangehörigen 22 Menschen hinrichteten.

Wegen des aktuellen Verfahrens darf die Schwarzwälder Waffenschmiede derzeit keine Gewehre nach Mexiko liefern. Dabei sollte es bleiben. Denn, so erklärt der mexikanische Menschenrechtsaktivist Alejandro Cerezo: „Wer verhindern will, dass deutsche Waffen in die falschen Hände kommen, darf einfach gar keine hierher liefern“.