ila

Mexiko hat keine Strategie gegen Trump

Interview mit dem mexikanischen Wirtschaftswissenschaftler Enrique Dussel Peters

Der mexikanische Ökonom Enrique Dussel Peters analysiert seit zwei Jahrzehnten am Studienzentrum China-Mexiko an der Autonomen Nationaluniversität Mexikos (UNAM) die Beziehungen Mexikos und Lateinamerikas zu China und was deren Entwicklung für das Verhältnis zu den USA bedeutet. Die starke Ausweitung des Handels zwischen Mexiko und China sowie die umfangreichen Investitionen chinesischer Unternehmen in Mexiko waren nur aufgrund der Rolle Mexikos als Plattform für Exporte in die USA möglich. Vor diesem Hintergrund hat die Entscheidung des US-Präsidenten Donald Trump, das transpazifische Freihandelsabkommen TPP nicht in Kraft zu setzen und das Nordamerikanische Freihandelsabkommen NAFTA (zwischen den USA, Kanada und Mexiko) neu zu verhandeln, Konsequenzen für das gesamte mexikanische Wirtschaftsmodell. Jenseits der Polemik um Trumps Mauerpläne bedeutet dies eine enorme Herausforderung für Mexiko. Darüber sprach Gerold Schmidt im Januar mit Enrique Dussel Peters.

Gerold Schmidt

Vor Monaten sagte Mexikos Präsident Peña Nieto, das Freihandelsabkommen „Transpazifische Partnerschaft“ (TPP) werde notfalls auch ohne die USA fortbestehen. Ergibt die TPP ohne die USA Sinn? Was bleibt von der TPP übrig?

Die TPP ist tot. Bevor ich detailliert auf die Fragen eingehen werde, möchte ich eines sagen: Es ist ganz wichtig, Trump viel ernster zu nehmen. Es gibt Leute, die in den vergangenen Monaten gesagt haben: Das eine ist der Kandidat Trump, der Präsident Trump wird anders sein. Oder: Das erste Jahr eines Präsidenten wird anders als die drei Jahre danach. Dahinter steht die Idee, der Präsident werde sich beruhigen, normalisieren. Seit Trump Kandidat der Republikanischen Partei geworden ist, ist er extrem kohärent gewesen. Seit Juni des vergangenen Jahres hat er beständig über eine Palette von etwa 20 Themen gesprochen, die Mexiko, NAFTA, China betreffen. Die Unternehmen, mit denen er jetzt verhandelt, hat er vorher bereits erwähnt, unter anderem Ford und General Motors. Es ist absolut wichtig, ihn ernst zu nehmen.  

Was mich persönlich stark beunruhigt: Die Aggressivität und die Implikationen, die der Kandidat Trump, wir machen das Interview ja drei Tage vor seinem Antritt, mit sich bringt. In drei, vier Tagen hat er erreicht, was die bilaterale Politik zwischen China und den USA in 20 Jahren nicht geschafft hat. Ausrufung der Alarmstufe und ansteigende militärische Aktivitäten, die weit über die Themen Wirtschaft, Handel und Finanzen hinausgehen. Seine Witzchen und Tweets haben dafür gesorgt, dass China seinen einzigen Flugzeugträger ins südchinesische Meer, in die Meerenge zwischen Taiwan und China, geschickt hat. Taiwan, Japan und Südkorea waren in Alarmbereitschaft, noch nicht die rote, aber immerhin die gelbe Alarmstufe.

Für Chinas Führung steht die Ein-China-Politik nicht zur Diskussion. Das versteht Trump nicht oder will es nicht verstehen. Oder er spielt den Spaßbolzen. Die USA und China haben das vor 45 Jahren definiert, in den 70er-Jahren, im Rahmen des Nixon-Besuches in China. China wird die Integrität seines Landes nicht diskutieren. Trump dagegen sagt: Alles kann verhandelt werden. Wenn ich das eine China akzeptiere, was gibt mir China dafür? China antwortet: Du bekommst einen Flugzeugträger und die militärische Alarmbereitschaft.

Unabhängig davon, ob er Protektionist ist oder nicht, Reaktionär oder nicht, Rassist oder nicht, stellt Trump eine politische Rationalität in den Vordergrund, keine ökonomische. Noch vor einigen Tagen erklärte Mexikos Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, er wolle Trump von den Vorteilen von NAFTA überzeugen. Die Argumentation von Trump ist aber nicht technisch-ökonomischer Art. Darum verstehen ihn die mexikanischen und lateinamerikanischen Technokraten nicht. Und er versteht sie nicht. Es geht um eine politische Argumentation, bei der  Trump davon ausgeht, dass all die aus den Freihandelsverträgen resultierenden Kapital- und Handelsflüsse die USA negativ beeinträchtigen würden. Er stellt das politische Urteil vor das ökonomische.

Nun zur eigentlichen Frage. Die TPP ergibt ohne die USA überhaupt keinen Sinn. Sie umfasst(e) zwölf Länder, davon wollen elf in die USA exportieren. Niemand will nach Australien, Vietnam oder Mexiko exportieren. Ein TPP-Vertrag ohne den wichtigsten Konsumenten ist für keine der elf Nationen von wirklichem Interesse.

Wie realistisch ist angesichts der rechtlichen und wirtschaftlichen Grundlagen Trumps Aussage, den Freihandelsvertrag NAFTA mit Kanada und Mexiko neu zu verhandeln, eventuell sogar aufzulösen?

Aus der politischen Perspektive hat natürlich jedes der drei NAFTA-Länder zu jedem Zeitpunkt das Recht zu sagen, ich will nicht mehr. Der NAFTA-Artikel 2205 besagt, dass jeder der drei Vertragsstaaten seinen Austrittswunsch aus NAFTA erklären kann und dann sechs Monate Zeit für diesen Schritt hat. Trump kann also nicht nur drohen, sondern ein Schreiben an NAFTA richten und sagen, die USA treten aus. Das muss allerdings über die Legislative in den USA laufen, wo die Republikaner die Mehrheit haben. Da sie nicht mit Trump gleichzusetzen sind, könnte das dort möglicherweise scheitern. Die politische Entschlossenheit der Trump-Administration ist jedoch viel relevanter. In diesen sechs Monaten kann NAFTA auseinanderfallen, verschwinden. Trump kann Unternehmen unter Druck setzen, wie er es mit Ford und VW schon getan hat, Steuern und Zölle erheben oder die Überprüfung der von Mexiko in die USA exportierten Avocados anordnen. Wenn die Tonnen von Avocados dann eine Woche lang an der Grenze geprüft werden, kommen sie nie in den USA an. Es ist relativ einfach, NAFTA zu unterminieren. Das könnte schnell vonstattengehen.

Welche Folgen wären für Mexiko zu erwarten, wenn es dazu käme? Im Moment sind ja Neuverhandlungen noch wahrscheinlicher.

Die kurz- und mittelfristigen Auswirkungen auf Mexiko werden sehr negativ sein. Schließlich setzte die Regierung Peña Nieto darauf, Mexiko in die TPP zu integrieren und NAFTA explizit nicht infrage zu stellen. Schon vor 20 Jahren wäre es absolut wichtig gewesen, NAFTA in bestimmten Bereichen neu zu verhandeln und zu überdenken. Dies ist eine der großen Schwächen Mexikos. Mexiko hat keine einzige öffentliche Auswertung von NAFTA vorgenommen. Die USA machen dies periodisch, zum Beispiel in Veröffentlichungen der Internationalen Handelskommission der USA (United States International Trade Commission), auch die US-Legislative wertet NAFTA regelmäßig aus. Sie fragen: Was funktioniert gut im Automobilsektor, was bei den Garnelen, welche Probleme existieren bei den mexikanischen Zulieferern. Es gibt jährliche Wälzer, in denen jeder Freihandelsvertrag, den die USA in der Welt abgeschlossen haben, ausgewertet wird. 

In Mexiko gibt es dagegen keine einzige offizielle Evaluierung. Es existieren viele akademische Auswertungen, auch verschiedene Vorschläge vom Wirtschaftsminister oder Präsidenten. Aber es gibt keine Diskussion, kein Dokument, wo jemand sagen könnte: Das ist die Haltung der mexikanischen Regierung. Das ist explizit nicht gewollt. Ich habe einen Kollegen, der keine 500 Meter entfernt hier auf dem Campus arbeitet. Ende der 90er-Jahre, fünf Jahre nachdem NAFTA in Kraft getreten ist, war er Koordinator im Senat. Die Legislative torpedierte und verhinderte letztlich die Durchführung einer NAFTA-Evaluierung. Heute weiß Mexiko nicht einmal, was das Land verhandelt hat. Was hat gut funktioniert, was nicht? Welche Sektoren haben profitiert, welche nicht, welche sind durch NAFTA verschwunden? Welche Regionen profitierten? Niemand hat den genauen Überblick. Die Position bei Verhandlungen wird daher zu 100 Prozent defensiv sein. „Trump, was willst du?“ – „Ich will das und dies.“ – „Also diskutieren wir deine Themen.“ – „Mexiko, was willst du?“ – Schweigen.

Warum war eine Evaluierung nicht gewünscht? Natürlich wird durch jede öffentliche Auswertung eine Diskussion angeregt. Da würde dann reflektiert, dass in Mexiko, einem Land mit 32 Bundesstaaten und 120 Millionen EinwohnerInnen, die Auswirkungen bestenfalls heterogen gewesen sind. NAFTA hat das Land polarisiert. Es gibt eine kleine Gruppe von Unternehmen, Wirtschaftssektoren und Regionen, die sehr großen Nutzen daraus gezogen haben. Die anderen 99 Prozent nicht. Im Spielzeugsektor, in der Textil- und Schuhbranche, in der Landwirtschaft sind ganze Bereiche verschwunden. Die TPP hätte die Polarisierung übrigens weiter verschärft. Die TPP ist kein Thema und Trump diskutiert etwas, das Mexiko unter den Regierungen der PAN und der PRI 23 Jahre lang nicht diskutieren wollte. Das wird jetzt und in den folgenden Monaten Wirkung zeigen.

In Mexiko sind die NAFTA-Auswirkungen beispielsweise auf die Landwirtschaft häufig kritisiert worden. Könnte eine mögliche Neuverhandlung von Teilaspekten eine Chance für Mexiko sein?

Präsident Peña Nieto hat zur nationalen Einheit aufgerufen: alle zusammen gegen die USA, gegen Trump und für NAFTA. Das ist ein inhalts- und strategieloser Aufruf. So als ob auf einmal alle – Rechte, Zentrum, Linke, alle, die vorher für und gegen NAFTA waren – den Freihandelsvertrag und vor allem den Automobilsektor nun geschlossen unterstützen müssten, als ob NAFTA aus dem Automobilsektor bestünde. Die dort geschaffene Beschäftigung macht 1,3 oder 1,4 Prozent der Beschäftigung in Mexiko aus. Es kann nicht sein, dass wir nun alle notgedrungen für NAFTA sind, damit Ford nach Mexiko kommt und die Arbeiter in San Luis Potosí ausbeutet.

Alles spricht dafür, dass es für Mexiko in Verhandlungen keinen Blumentopf zu gewinnen gibt. Mexiko ist konjunkturell und strukturell ein sehr schwacher Handelspartner. Ich befürchte, Trump wird vom ersten Tag bis zum Ende seiner Administration auf seinen Themen bestehen.

Trump verhandelt, besser gesagt verschickt Tweets an Ford, General Motors, BMW und viele andere. Er sagt ihnen, es wäre sehr intelligent, nicht in Mexiko, sondern in den USA zu investieren. Bisher hat er erreicht, dass anders als geplant 4000 Stellen nicht nach Mexiko kommen. Diese werden aber nicht notwendigerweise in den USA geschaffen.

Der wichtigste Aspekt ist die tiefgehende Unsicherheit, die Trump hervorruft. Seit 1989 beruht die Wirtschaftsstrategie Mexikos auf einer exportorientierten Entwicklung. Der Automobilsektor ist das emblematische Beispiel dieses Strukturwandels. 80 Prozent der Produktion von Autoteilen und Autos in Mexiko gehen in den Export und zwar fast komplett in die USA. Ist ein Automobilsektor in Mexiko ohne Export in die USA denkbar? Nein. 80 Prozent sind dann überflüssig. In der Elektronikbranche, in einem Dutzend anderer Sektoren ist Mexiko eine Exportplattform. Da ist kaum etwas für den internen Konsum bestimmt. Und nun gibt es eine enorme Unsicherheit für mexikanische und ausländische Investoren. Die Ausländer investieren in Mexiko, um zu exportieren. Warum soll ich in Mexiko investieren, wenn ich nicht exportieren kann, vor allem in die USA?

Die mexikanische Währung steht bereits gewaltig unter Druck, der Peso ist in den vergangenen zwei, drei Monaten um 20 bis 25 Prozent abgewertet worden, mehr als jede andere Währung.

Kann China den Platz der USA einnehmen? Wäre das für Mexiko sinnvoll?

China kann eine stärkere Rolle spielen, ja. Aber es kann den US-Markt nicht ersetzen. In unserem Studienzentrum China-Mexiko an der UNAM untersuchen wir seit 20 Jahren Handel und Investitionen, Infrastrukturprojekte, Finanzabkommen von China mit Lateinamerika und anderen Ländern. Heute glauben viele, die Handelspolitik Trumps würde China weltweit Spielräume eröffnen und China würde diese sofort strategisch besetzen. In der Praxis wird das wesentlich schwieriger sein. China ist an Handel und Investitionen interessiert, hat aber eine spezifische Globalisierungsstrategie, die von den meisten Ländern nicht verstanden wird. Du kannst nicht einfach sagen, gestern habe ich nach Houston exportiert und übermorgen exportiere ich nach Shenzhen. China hat eine bestimmte Entwicklungsvision, einen allgegenwärtigen öffentlichen Sektor.

Aus lateinamerikanischer Perspektive war es bisher so, dass China den Subkontinent vielfach auf eine Produktionsstruktur von vor 50 Jahren zurückfallen ließ. Lateinamerika exportiert Soja, Minerale, Fleisch, noch ein paar andere Produkte, ohne Wertschöpfung, ohne implizierte Technologie. Und China exportiert unter anderem Autos, Telekommunikation, Leiterplatten (PCB). Es gibt eine enorme technologische Kluft, die Lateinamerika und Mexiko mit den USA oder der EU nicht so ausgeprägt haben. Daher geht das nicht einfach, Herrn Trump zu verabschieden und Herrn Xi Jinping willkommen zu heißen.

Welche Rolle spielt die Europäische Union in der aktuellen Entwicklung?

Der politische, ökonomische, kulturelle Aufstieg Chinas bringt die historischen Beziehungen zwischen den USA und Mexiko, Brasilien und Argentinien oder auch zwischen Guatemala und El Salvador durcheinander, beziehungsweise hinterfragt sie. Chinas Präsenz hat zu einer zunehmenden Desintegration Lateinamerikas geführt. Die EU gehört zu den Blöcken, die angesichts der chinesischen Präsenz am meisten verloren haben, auch strategische Präsenz. Von einem relevanten Dialog EU-Lateinamerika ist nicht viel zu bemerken, nicht für Brasilien, Argentinien, nicht für Mexiko. Das hat natürlich auch mit dem internen Prozess der EU zu tun. Freundlich gesprochen kann von einer relativ konstanten und stabilen Beziehung Lateinamerika-EU gesprochen werden – mit abnehmender Tendenz. Das ist ein Prozess der vergangenen zehn, 20 Jahre gewesen.

Mexiko hat die vorgesehenen Wirtschaftlichen Sonderzonen (ZEE) als einen Wirtschaftsmotor bezeichnet. Können sie ein Entwicklungsweg sein, auch mit Blick auf chinesische Investitionen?

Nochmal zurück zum Thema Trump, Mexiko und China. Mexiko ist eindeutig der schwächste Handelspartner. Traurigerweise wird sich die Trump-Administration aus einer perversen und sehr maquiavellischen Perspektive eindeutig auf den schwächsten Akteur konzentrieren. Ich werde dich die Mauer bezahlen lassen. Wie, werden wir sehen, aber ich werde dich bluten lassen. Wie die Dinge stehen, hat Trump damit Aussicht auf Erfolg. Wir haben eine geschlagene Peña-Nieto-Regierung.

Mein Eindruck ist, dass Trump dasselbe mit China versuchen will und dabei feststellen wird, dass es mit China etwas anders ist. China wird sagen, du willst 45 Prozent Steuern auf einige meiner Produkte erheben? In Ordnung, ich mache das mit deinen Produkten genauso. Wo tut es dir weh? Bei Ford. Dann erhebe ich Steuern auf deine Autos von Ford und General Motors. Noch mehr, dann eben mehr. Weniger? Dann gehen wir runter. Das ist ein Spiel und eine Verhandlung. Im Handels- und Finanzbereich scheint das einfach zu sein. Aber die militärische Eskalation ist viel beunruhigender.

Trump schafft bezüglich der Beziehungen zu China in den USA sehr aggressive Erwartungshaltungen, die schwierig zu erfüllen sein werden. Er macht die Leute glauben, die Handels- und Investitionsbeziehung mit China würden sich verändern. Wie er das bewerkstelligen wird, das möchte ich sehen. Wenn er mit China so spielt wie mit Mexiko, wird China mit gleicher Münze zurückzahlen. China investiert bereits massiv in den USA und ist dort ein bedeutender Investor. Wenn Trump Ford anruft und sagt, investiere nicht in China, dann antwortet China, einverstanden, ich werde auch nicht in den USA investieren und 20 Milliarden Dollar aus den USA abziehen. Herr Trump, machen wir weiter so, oder belassen wir es dabei? Wollen Sie weiter twittern oder hören wir mit den Spielchen auf? Sie entscheiden, wie weit das führen soll. Mexiko ist da unglücklicherweise ein viel schwächeres Glied in der Kette.

Und die „ZEE“?

Die Special Economic Zones, ha! Das Konzept kommt ursprünglich aus China. Das in Mexiko entwickelte Konzept hat damit aber nichts zu tun. In China geht es um ein Konzept der wirtschaftlichen Entwicklung, örtliche, spezifische, ökonomische Laboratorien. Der öffentliche chinesische Sektor benutzt diese Territorien und Laboratorien für Lernprozesse. Mit Lupen und Sensoren, um zu sehen, was dort gemacht wird. Man bietet dort auch internationalen Unternehmen, wie zum Beispiel Ford, Vorteile und Vergünstigungen an wie chinesische Ingenieure, unternehmerfreundliche Gesetze, Steuerinstrumente, Verbindungen zu Universitäten, Zulieferer, billige chinesische Arbeitskraft. „Aber aufgepasst, alles was du dort machst, werde ich lernen.“ Und China hat sehr schnell gelernt. Ganz im Gegensatz zur Teilfertigungsindustrie in Nicaragua, Honduras, Manaus (Brasilien – die Red.) oder Mexiko. Dort hat nie ein Lernprozess stattgefunden, das heißt 50 Jahre mit derselben Teilfertigungsindustrie. In Mexiko oder Brasilien können wir immer noch nicht selber eine Schraube von Volkswagen entwerfen. Wenn VW geht, bleibt wenig oder nichts zurück. China hat sich auf bestimmte Dinge konzentriert und entschieden, abzuschauen. Heute spricht man von Raubkopien. Innerhalb kürzester Zeit gab es im Umfeld der Sonderwirtschaftszonen ein chinesisches Unternehmen mit Ingenieuren, die fünf Jahre lang bei Ford in China gearbeitet hatten. Sie bauten dann ein Fordmodell, nur billiger und besser. Aber nicht nur das. Heute produziert China doppelt so viele Autos wie die USA. China lernte, verbesserte.

Das Konzept einer Sonderwirtschaftszone in Mexiko ist völlig anders. Es geht um Armutsbekämpfung. Die drei ZEE wurden entworfen, um die Armut in bestimmten Regionen zu verringern, in Chiapas, Oaxaca und Michoacán. Es handelt sich um äußerst schwache Instrumente. Derzeit gibt es dafür keine Finanzierung. Sollte unter der nur noch kurzen Amtszeit von Enrique Peña Nieto keine große institutionelle Anstrengung unternommen werden, werden die ZEE kurzfristig keine nennenswerten Wirkungen zeigen. Zudem verwirren sie. Wenn chinesische Unternehmen nach Mexiko kommen, und das habe ich selbst mitbekommen, dann erwarten sie, dass die ZEE wie in China sind, dass sie also eine Sonderbehandlung gegenüber allen anderen Unternehmen außerhalb der Zonen anbieten. In Mexiko gibt es überhaupt nichts Spezielles. Da sagen die Chinesen „Danke, ich rufe morgen mal wieder an.“ Also: Kurzfristig werden die ZEE keine Bedeutung haben.

Das Gespräch führte Gerold Schmidt im Januar 2017 in Mexiko-Stadt.