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Wie der Hunger zurückkehrt

Eindrücke einer Reise nach Brasilien
Gaby Küppers

„Zero Fome“ – Null Hunger in Brasilien. Das Ziel gab es einmal. Wie brutal es gerade zerstört wird, erleben wir am Ende unserer Brasilienreise.

In der örtlichen Mehrzweckhalle von Reboucas essen wir mit örtlichen Heilerinnen und sie unterstützenden Gemeinderäten zu Mittag. Drei sichtlich deprimierte Männer tauchen auf. Zwei davon gehören zu den elf Bauernführern im Bundesstaat Paraná, die rund zwei Monate im Knast saßen, weil ihre ökologische Produktion dem Agrobusiness ein Dorn im Auge war, der dritte ein Bruder.

Um das Jahr 2000 herum hatten Kleinbauern begonnen, Nahrungsmittel ökologisch anzubauen und zu verkaufen. Nach und nach organisierten sie sich in Kooperativen. Immer mehr Bauernfamilien traten bei, weil sie der Ökoanbau „ohne Gift“, wie die Bauern sagen, sie überzeugte. Das Null-Hunger-Programm des damaligen Präsidenten Lula ab 2003 war ihre große Chance. Denn das Programm besagte, dass mindestens 30 Prozent der Aufkäufe des staatlichen Beschaffungsprogramms PAA (Programa de Adquisicão de Alimentos) für Kantinen in Schulen und öffentlichen Einrichtungen von Kleinbauern stammen sollten. Das Null-Hunger-Programm senkte die extreme Armut im Land tatsächlich in sechs Jahren von 12 auf 4,8 Prozent. Bis 2016 entkamen laut Weltbank 28 Millionen BrasilianerInnen der extremen Armut. Seit Präsident Temer die Regierung führt, sind bereits 3 Millionen Menschen wieder in die extreme Armut zurückgefallen, so die Weltbank weiter.

Der Verband von Roberto Carlos Martins war der erste, der dem PAA in Paraná 100 Prozent ökologisch produzierte Nahrungsmittel anbieten konnte. Das war für beide Seiten gut. Kantinen boten gesundes Essen an, Kleinbauern hatten eine gesicherte Abnahme ihrer Produkte und damit ein festes Einkommen, bis 2015. In einer Nacht- und Nebelaktion, genannt Operacão Agro-Fantasma, brachte Staatsanwalt Sérgio Moro die elf Bauernführer in Paraná hinter Gitter. Derselbe Staatsanwalt übrigens, der selbstgerecht und kameraverliebt den sogenannten Lavajato-Skandal gegen Dilma Rousseff ins Rollen brachte. Der Vorwurf: Betrug und Veruntreuung von Staatsgeldern. Das voraussehbare und eingetretene Ergebnis. Die Agrarkooperativen brachen ohne ihre Köpfe zusammen, in Paraná gab es einen Mitgliederschwund von 60 Prozent. Das Programm wurde landesweit diskreditiert, ökologische Landwirtschaft gleich mit, und die erschreckten Bauern kehrten zu ihrem vormaligen Anbau von Tabak mit seiner heftigen Pestizidbelastung zurück.

Heute steht das Zero-Fome-Programm vor seinem Aus. 2018 werden die Mittel für das PAA von 340 Millionen auf 750 000 Reais gekürzt, also um 99,8 Prozent. Kantinen müssen sich die Zutaten für ihre Essen oder die Essen ab dann selbst auf dem Markt und über Ausschreibung besorgen. Kriterium ist selbstverständlich nicht mehr die Unterstützung von Kleinbauern, geschweige denn die ökologischer Produktion, sondern die Kostengünstigkeit.

Zweifellos reibt sich das brasilianische Agrobusiness die Hände. Im Kongress haben die Großagrarier mit ihrem Umfeld zwischen 120 und 200 Abgeordnete. Auf sie kann Temer aufgrund von Aktionen wie Operacão Agro-Fantasma setzen, die beispielhaft alles vernichtet, was sich der Logik des Agrobusiness widersetzt.

Aber auch die europäische Lebensmittelindustrie dürfte sich heftig freuen. Sie ist heute einer der vielversprechendsten Akteure des europäischen Exportgeschäfts. Das EU-Mercosur-Abkommen wird deren Chancen im Brasiliengeschäft noch erhöhen.

Das Agroökologiemodell in Paraná ist indessen zerschlagen. Die Bauern sind psychisch wie existenziell am Ende. Die direkt vor den Festnahmen noch gelieferten Ernten wurden vom PAA nicht mehr bezahlt. Viele Bauern haben Schulden.

Bleibt nachzutragen, dass alle elf Beschuldigten freigesprochen wurden. Sieben von acht Anklagepunkten wurden im Oktober fallengelassen. Einer steht noch aus, aber dürfte bald folgen. Die ganze Operacão Agro-Fantasma war inszeniert, um die Biobauern auszuschalten. Trotzdem: „Es bleibt immer etwas hängen“, weiß Gelson. Wichtig ist jetzt nicht zuletzt moralische Unterstützung. Erste Gemeinden haben die elf eingeladen, bei Festakten moralische Wiedergutmachung geleistet. Aber es würde den Elfen auch sehr gut tun, aus dem Ausland, von Kleinbauerninitiativen, -verbänden oder auch einfach interessierten Menschen solidarische Briefe zu bekommen.

 

Unterstützungsbriefe bitte richten an: araagroecologia@gmail.com oder: gelp1404@gmailcom