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Der Wald muss stehen bleiben

Filmbesprechung „Piripkura – Die Suche nach den Letzten ihres Volkes“
Anton Froleyks

Sie sind Ninjas. Aber ich frage mich, wie lange noch.“ Als der Film „Piripkura – Die Suche nach den Letzten ihres Volkes“ gedreht wurde, konnte Jair Candor noch nicht absehen, dass sein Vornamensvetter Jair Bolsonaro die Präsidentschaftswahlen in Brasilien gewinnen würde. Aber vielleicht hatte Candor, seines Zeichens Koordinator der FUNAI (der brasilianischen Indigenenschutzbehörde) in der Region Rondônia in Mato Grosso, eine üble Vorahnung. Denn Bolsonaro, ausgesprochener Feind von „Minderheiten“ und Freund der Großgrundbesitzer, bestärkt nicht nur durch seinen radikalen, martialischen Diskurs die Selbstverständlichkeit, mit der Angriffe auf Indigene stattfinden, sondern hat sich ganz offensichtlich zum Ziel gesetzt, ihre Rechte gnadenlos weiter einzuschränken (siehe Artikel zu Amazonien auf S. 18-19). Der brasilianischen Verfassung aus dem Jahr 1988 zufolge steht den Indigenen Brasiliens das Land zu, auf dem sie und ihre Vorfahren lebten und leben. Allerdings ist der Großteil des ihnen rechtmäßig zustehenden Landes offiziell nie als indigenes Land festgelegt und anerkannt worden.

In eines der wenigen geschützten Gebiete begleitet das Filmteam den Indigenenbeauftragten Jair Candor. Straßen ziehen dicke Schneisen durch das Land. Eingekesselt zwischen Sägewerken und landwirtschaftlich genutzter Fläche leben zwei der letzten Piripkura in „ihrem“ Wald. Rita, die Schwester beziehungsweise Tante der beiden ist eine der wenigen Überlebenden eines mörderischen Überfalls privater Söldner auf die Piripkura. Jetzt lebt sie mit anderen Geflüchteten in der „Panorama“-Siedlung, auf dem Gebiet der Karipuna. Zurückgeblieben sind nur die zwei letzten Piripkura, Pakyî und sein Neffe Tamandua. Um das im Jahr 2008 erlassene Landnutzungsverbot aufrechtzuerhalten, begibt sich Jair auf die ungewisse Suche nach zwei Menschen, die lernen mussten, anderen zu misstrauen. In ihrem täglichen Überlebenskampf ist nicht der Wald ihr Feind. Goldgräber und Raubholzfäller der umliegenden Gebiete wären die Ersten, die enorm vom Tod der beiden profitieren würden. Denn nur das Leben von Tamandua und Pakyî verhindert die Abholzung des Waldes.

„Sie brauchen nichts außer Feuer und einem Beil und dass der Wald stehen bleibt.“ Nach einer ersten glücklosen Mission ist gerade dieser Umstand der Grund, warum die beiden doch noch gefunden werden. Die seit 20 Jahren brennende Fackel der Piripkura ist erloschen und die unauffindbaren Zwei kommen zu Jair ins Lager, um sie wieder anzuzünden. Tata, Tata – „Feuer, Feuer“. Eines der wenigen Wörter, das beide Seiten verstehen. Trotzdem schaffen es Jair, Tamandua und Pakyî ohne wirkliche sprachliche Basis, miteinander zu kommunizieren.

Genauso wie Jair es schafft, respektvoll mit den Piripkura umzugehen, ohne viele Worte zu brauchen, schafft es der Film, Themen anzustoßen und die Dinge unvoreingenommen wiederzugeben, ohne viel erklären zu müssen. In den 81 Minuten des Films zeigen die Regisseure Mariana Oliva, Renata Terra und Bruno Jorge die beeindruckende und gleichzeitig bedrückende Realität eines indigenen Volkes in Brasilien. Die (rechtliche) Verknüpfung von brasilianischen Indigenen und der noch vorhandenen Natur bietet einerseits die Chance, den Amazonas vor den Baggern und Sägen der Industrie zu bewahren; aber gleichzeitig wird der Kampf um die brasilianischen Wälder auf den Rücken der Tamanduas und Pakyîs ausgetragen. Obwohl die Geschichte von Tamandua, Pakyî und Rita stellvertretend für viele andere Familien und Gruppen steht, behält der Film eine sehr persönliche und intime Atmosphäre. Mit teilweise ruckligen Kamerabildern und Tonaufnahmen, die mich das eine oder andere Mal nach einer Mücke haben schlagen lassen, befördert er die Zuschauenden direkt in die Tiefen des Amazonas. Es sind solche Bilder und Eindrücke, die eine so weit entfernte und sich im Umbruch befindende Welt näher an die unsere heranholt. Und wir müssen uns vor Augen führen, dass die Piripkura den Wald nicht nur für sich beschützen, sondern auch für uns.

„Piripkura – Die Suche nach den Letzten ihres Volkes“, Regie: Mariana Oliva, Renata Terra und Bruno Jorge, Brasilien 2017, 81 Minuten, bundesweiter Start: 29. November 2018