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K.o. in der ersten Runde

Nach zehn Jahren an der Regierung erlitt die FMLN in El Salvador eine deutliche Niederlage

Der 3. Februar 2019, an dem der neue Präsident El Salvadors gewählt wurde, war in der Hauptstadt San Salvador ein ruhiger, sonniger Sonntag mit einer leichten Brise. Auf dem Wahlzettel standen sieben Parteilogos zur Auswahl, die vier Präsidentschaftskandidaten, alles Männer, repräsentierten. Vier Parteien (ARENA, PDC, PCN, DS) bildeten eine Koalition für den Kandidaten der ultrarechten Partei ARENA: Carlos Calleja, Besitzer unter anderem einer der größten Supermarktketten El Salvadors (Super Selectos). Die FMLN war mit Hugo Martínez, dem ehemaligen Außenminister, und als Vize-Kandidatin Karina Sosa angetreten. Dann gab es noch den Kandidaten der Partei VAMOS, eine zu vernachlässigende Partei eines evangelikalen Pfarrers, und als vierten Kandidaten Nayib Bukele. Er trat für GANA an, eine Abspaltung von ARENA, da seine Partei Nuevas Ideas (Neue Ideen) zur Wahl noch nicht zugelassen war

Ulf Baumgärtner
Lena Voigtländer

Schon bald nachdem die Wahllokale um 17 Uhr geschlossen hatten, war klar, dass die Golondrina (Schwalbe), die im Logo der Partei Nuevas Ideas/GANA zu sehen ist, die meisten Stimmen erhalten hatte. Diese Tendenz blieb konstant und bereits eine Stunde nach Beginn der Auszählung zeigte sich, dass Bukele gewonnen hatte, sehr wahrscheinlich auf Anhieb in der Ersten Runde. Am Ende bekam er 53 Prozent der abgegebenen gültigen Stimmen. ARENA kam auf 31 Prozent, die FMLN landete mit 14 Prozent weit abgeschlagen auf dem dritten Platz und VAMOS kam auf weniger als ein Prozent. Das Wahlergebnis bedeutet das Ende des Zweiparteiensystems, vor allem aber bedeutet es nach zehn Jahren das Ende einer linken Regierung in El Salvador. El Salvador fügt sich damit in die Reihe der Länder ein, in denen ein Rechtsruck stattgefunden hat. Im Land selbst jedoch ist die Meinung darüber, ob es mit diesem Ergebnis tatsächlich einen Rechtsruck geben wird, gespalten. Schließlich hatte Bukele noch 2015 für die FMLN das Bürgermeisteramt von San Salvador zurückerobert. Ende 2017 wurde er allerdings wegen parteischädigender Äußerungen aus der Partei ausgeschlossen. Er hatte immer häufiger öffentlich verkündet, dass die rechtsextreme ARENA-Partei und die linke FMLN ein und dasselbe seien. An seinem Ehrgeiz, Präsident zu werden, änderte der Rausschmiss freilich nichts. Nachdem sein Versuch, eine eigene Partei (eben die „Neuen Ideen“) zu gründen, scheiterte, weil sie sich nicht rechtzeitig hatte einschreiben lassen, verfolgte er sein Ziel auf dem Ticket von GANA weiter.

Wie also soll man den steinreichen Jungunternehmer mit gerade mal 37 Jahren und palästinensischem Migrationshintergrund einschätzen, wenn er sich heute von der FMLN und morgen von der ultrarechten GANA auf den Schild seiner Wahl, zuerst Bürgermeister von San Salvador, demnächst Präsident des ganzen Landes, heben lässt? Keine Ideologie zu haben, weder rechts noch links zu sein, das trägt er als Markenzeichen vor sich her, genau wie seine Lederjacke und seine schreiend bunten Socken. Der aalglatte Charakter seines Erfinders spiegelt sich auch im Namen seiner Partei wider: „Neue Ideen“, das könnte genauso gut ein Werbespruch seines Konkurrenten Carlos Calleja für seine Supermärkte sein. Bukele ist offensichtlich nicht wegen seiner neuen Ideen, seines Programms, das sich nicht wesentlich von dem der anderen Parteien unterscheidet, aber auch nicht nur wegen seiner jugendlichen Frische und seiner Agilität im Netz gewählt worden, sondern vor allem, weil die Leute, die überhaupt noch zu den Wahlen gingen, nach zwanzig beziehungsweise zehn Jahren Regierung von den Altparteien ARENA und FMLN einfach genug hatten. Oder, wie es Roberto Cañas, einer der Unterzeichner der Friedensverträge von 1992 für die FMLN, formulierte: „Es ist nicht wegen seines Programms und auch nicht wegen seiner Reden. Es ist, weil die Leute müde sind, weil sie zornig sind, weil sie die Schnauze voll haben von der Korruption und den gebrochenen Versprechen und in ihm sehen sie jemanden, der nicht zu diesem System gehört.“

Um auf die Wahlergebnisse vom 3. Februar zurückzukommen: Bukele hat in allen 14 Regierungsbezirken und in 195 der 262 Munizipien (Gemeindeverbänden) gewonnen. Schaut man sich die Ergebnisse in den Gemeinden genauer an, kommt etwas für einen millionenschweren Präsidentschaftskandidaten Erstaunliches zu Tage. Während er in der wohlhabenden Gemeinde Antiguo Cuscatlán nur 34 Prozent der Stimmen bekommen hat, hat er in dem subproletarischen Stadtteil Ciudad Futura der Gemeinde Cuscatancingo über 66 Prozent gewonnen. In den ähnlich strukturierten Stadtteilen 22 de Abril sind es ebenfalls 66 Prozent und in Distrito Italia 65 Prozent. Und dies ohne territoriale Präsenz seiner Partei, ohne dass er selbst auch nur in einem dieser Stadtteile aufgetaucht wäre. Auch ohne an Fernsehdebatten mit den anderen Kandidaten teilzunehmen und ohne viele Interviews zu geben. Bukeles Instrumente, um die Herzen der Smartphonegeneration zu gewinnen, sind Facebook und Twitter. Im Wahlkampf setzte er Trolle und Bots ein und arbeitete mit Fake News, wobei er konsequent in den Korruptionswunden seiner politischen Gegner wühlte. Insofern trifft die Artikelüberschrift in der brasilianischen Internetzeitung Operamundi den Nagel auf den Kopf: „Neuer Präsident El Salvadors gewann die Wahlen à la Bolsonaro: mit Fake News und ohne Debatte“. Vergleicht man die aktuellen Ergebnisse mit denen früherer Wahlen, wird der Umschwung deutlich. In Ciudad Futura, um bei diesem Beispiel zu bleiben, hatte GANA bei den Gemeindewahlen 2015 gerade mal 283 Stimmen gewonnen, 2018 waren es 224. Bei den Präsidentschaftswahlen am 3. Februar waren es dann plötzlich 4202 Stimmen. Parallel zum Siegszug von GANA, angetrieben von der Persönlichkeit Bukeles, verlief der Niedergang der Altparteien. Hatte die FMLN bei den Präsidentschaftswahlen 2014 in Ciudad Futura noch 3094 Stimmen gewonnen, ist sie zuletzt auf gerade mal 510 Stimmen abgesackt. Bei ARENA war der Absturz nicht ganz so spektakulär: von 3314 auf 1549 Stimmen.

Verglichen mit den Präsidentschaftswahlen von 2014 hat die FMLN über eine Million Stimmen verloren. Für einen derartig heftigen Niedergang muss es starke Gründe geben. Das Equipo Maíz, eine anerkannte Organisation der Educación Popular, hat auf der Seite, die es wöchentlich in der Tageszeitung Co Latino veröffentlicht, acht dieser Gründe genannt. Erstens hat die Kampagne gegen die Altparteien, gegen die Parteiführungen, die alle korrupt sind, verfangen. Mit dem Slogan „weder links noch rechts“ wird diese von der US-Regierung entwickelte Strategie überall in Lateinamerika angewendet. In El Salvador wurden mit diesen ständig wiederholten Schlagwörtern die Schwächen der FMLN und der Regierung Sánchez Ceren aufgeblasen, größer gemacht, als sie tatsächlich sind. Zweitens wurde das Gefühl der Wähler*innen, dass die „traditionellen Politiker alle korrupt sind“, durch die Ermittlungen bestätigt, die der vormalige Generalstaatsanwalt Douglas Meléndez gegen namhafte Politiker*innen beider Altparteien eingeleitet hat, ohne dass es bislang zu entsprechenden Verfahren gekommen wäre. So bleibt der Verdacht im Raum stehen. Drittens haben ARENA und die großen Massenmedien mit Erfolg die Errungenschaften der beiden FMLN-Regierungen heruntergespielt, unsichtbar gemacht, was durch die schwache Kommunikationspolitik der Regierungspartei noch verstärkt wurde. Viertens haben die Rechtsparteien, die Unternehmerverbände, die vormalige Verfassungskammer des Obersten Gerichtshofes und die US-Botschaft verschiedene Vorhaben der FMLN und deren Finanzierung erfolgreich blockiert. Der fünfte ist vermutlich der schwerwiegendste Grund für die krachende Niederlage der FMLN: der Widerspruch zwischen dem Projekt zu Gunsten der Bevölkerungsmehrheit, das die FMLN versprochen hat, und dem praktischen Handeln ihrer Regierungen, die sich nicht getraut haben, auf Konfrontationskurs mit der Oligarchie zu gehen, um die Erwartungen nach tiefergreifenden Veränderungen der armen Bevölkerung zu erfüllen. Sechstens hat das Verhalten einiger Funktionäre der FMLN-Regierungen, die sich mehr um das eigene Wohl als um jenes ihrer Mitglieder- und Wählerschaft gekümmert haben, viele Aktivist*innen und Sympathisant*innen abgeschreckt und abgestoßen. Siebtens haben die Berater*innen von Bukele dessen Verbindungen mit dem Ex-Präsidenten Saca, dem obersten Führer von GANA, der wegen Korruption im Gefängnis sitzt, sehr geschickt verschleiert. Achtens war auch die Medienarbeit des Bukele-Teams erfolgreich, obwohl sie mit Klischees arbeitet, auf Ressentiments setzt und die FMLN permanent angreift.

All diese schwerwiegenden Gründe für die historische Niederlage zu bearbeiten und eventuell auszuräumen, wird ein hartes Stück Arbeit für die demnächst neu zu besetzende Führung der FMLN werden.

Für Bukele hingegen wird der Anfang auch nicht leicht werden, wenn er am 1. Juni dieses Jahres das Präsidentenamt antritt. Die Partei, mit der er gewonnen hat, GANA, hat nur zehn Sitze im Parlament und ist damit von einer Mehrheit weit entfernt. Auch im Obersten Gerichtshof, im Obersten Wahlgericht sowie in einigen Parlamentsausschüssen ist GANA nicht vertreten. Zudem steht dann zur Debatte, ob sich Bukele von GANA trennt, wenn seine Partei „Neue Ideen“ als Partei eingeschrieben ist – ohne einen einzigen Abgeordneten oder eine einzige Abgeordnete. Und wer letztlich in seinem noch zu bildenden Kabinett landen wird, ist bislang schwer einzuschätzen. Genannt werden altbekannte Persönlichkeiten und völlig unbekannte, irritierend dabei ist jedoch, dass sie aus völlig gegensätzlichen Lagern kommen. Nayib Bukele wird sich politisch und parteipolitisch positionieren müssen. Für welche Richtung er sich entscheiden wird, ist zum heutigen Zeitpunkt noch unklar; ebenso die Frage, ob seine Regierungszeit wirklich anders wird oder doch nur das Immergleiche im neuen Gewand ist