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Making of

Gespräch mit Jenny Hellmann, einer der beiden Filmemacherinnen von „Algo mío“
Alix Arnold

Wie seid ihr auf die Idee gekommen, einen Film über dieses Thema zu machen?

Ich habe 2005 in einem Kinderheim in einem Außenviertel von Buenos Aires, in Villa Ballester, gearbeitet und 2008 waren Regina und ich beide in Argentinien. Das war die Zeit, in der die Gerichtsprozesse losgingen, nachdem die Amnestiegesetze für unwirksam erklärt wurden.

Regina und ich haben zusammen in Bonn studiert, Regina Politikwissenschaften und ich Soziologie. Wir haben beide eine große Leidenschaft für Lateinamerika und für Film und wollten nach dem Studium ein ganz eigenes Projekt machen. Wir sind dann relativ schnell auf dieses Thema gekommen, weil es sehr vielschichtig ist, weil es eine soziopolitisch interessante Dimension hat, aber eben auch eine menschliche Ebene, die unglaublich komplex ist. Wir hatten immer das Gefühl, dass in Argentinien nur eine bestimmte Version erzählt wird. Die Geschichten enden oft mit dem Happy End, dass Oma und Enkel sich wiedersehen und die Oma überglücklich ist. Aber was passiert eigentlich mit jemandem, der als erwachsener Mensch plötzlich erfährt: Die, zu denen du dein Leben lang Mama und Papa gesagt hast, sind nicht Mama und Papa, sondern schlimmstenfalls die Mörder deiner Eltern! Aus der Sicht unserer Protagonisten fängt der Prozess dann erst an.

Wie habt ihr eure Protagonist*innen gefunden und ausgewählt?

Catalina haben wir über die Abuelas gefunden. Wir wollten mit wiedergefundenen Enkeln sprechen, die sich gerade im Gerichtsprozess befanden, weil das die Phase ist, wo alle aufeinandertreffen, und wo sich auch zeigt, in welche Richtung das für die Betroffenen geht. Catalina war schon seit Prozessbeginn Mitklägerin an der Seite der Abuelas gegen ihre Zieheltern. Hilarios Haltung war ganz anders und aus Angst, stigmatisiert zu werden, wollte er nicht öffentlich in Erscheinung treten und mit Medien sprechen. Wir haben ihn dann gesucht und durch viele glückliche Umstände schließlich in dem kleinen Dorf an der Küste gefunden, in dem er lebt. Dass wir als europäische Filmemacherinnen mit einem Blick von außen sehr unvoreingenommen seine Geschichte hören wollten, hat dazu beigetragen, dass er überhaupt bereit war mit uns zu sprechen. Die Abuelas waren sehr skeptisch, weil sie seine Haltung kannten. Viele wiedergefundene Kinder verteidigen anfangs noch ihre Zieheltern, und manchmal ändert sich das dann im Laufe des Gerichtsprozesses. Wir wussten vor Hilarios Gerichtsprozess natürlich nicht, wie das mit ihm ausgehen würde. Wir haben noch weitere Erstgespräche geführt, aber relativ schnell entschieden, nicht ein ganzes Tableau aufzumachen, sondern bei nur zwei Geschichten wirklich in die Tiefe zu gehen. Diese beiden Fälle sind so gegensätzlich, dass wir daran sehr viel zeigen können.

Catalina arbeitet bei den Abuelas mit. Warum hat sie sich nicht auch HIJOS angenähert, den Kindern der Verschwundenen, also ihrer eigenen Generation?

Die Abuelas integrieren alle wiedergefundenen Enkel, deren Eltern verschwunden sind und die dann in andere Familien gekommen sind. Sie stellen in sich schon sowas wie eine Familie dar. Für Catalina war das der Rahmen, in dem sie sich mit den anderen wiedergefundenen Enkeln aufgehoben gefühlt hat. Bei HIJOS sind nicht wiedergefundene, sondern hauptsächlich Kinder von Verschwundenen, die bei Familienangehörigen in der eigenen Familie aufgewachsen sind. Alle, die zur Organisation Abuelas gehören, vereint das Schicksal, dass sie als Säuglinge in eine andere Familie gesteckt wurden. Die Organisation der HIJOS ist viel größer und eher eine kämpferische und radikale Bewegung. Die Abuelas haben dagegen einen Fokus auf Identität und ein gutes Auffangnetz für die Enkel, die sich tatsächlich ganz loslösen wollen. Bei Catalina hat man gemerkt, dass das ihre neue Familie ist.

Im Film sind nur O-Töne zu hören, ihr verzichtet auf jeglichen Kommentar.

Wir wollten alle für sich stehen lassen. Jeder Kommentar wäre ja eine Interpretation unsererseits. Schön war für uns, wie unterschiedlich Leute aus dem Film rauskommen. Sie identifizieren sich entweder mit Catalina oder mit Hilario, oder sie sagen, ich weiß überhaupt nicht mehr, was richtig und was falsch ist. Es ist offen, und das wäre mit Kommentar schwieriger geworden.

Ist der Film auch in Argentinien gezeigt worden?

Nein, leider nicht. Wir waren zum Menschenrechtsfilmfestival in Buenos Aires eingeladen. Die wollten ihn gerne bei den Großmüttern zeigen, aber dann wollten die Abuelas das nicht. Ich war ja gerade wieder in Argentinien und habe auch nochmal einen Versuch unternommen, mit ihnen zu sprechen, weil wir immer gesagt haben, der Film muss euch nicht komplett gefallen, aber wir würden ihn gerne mit euch diskutieren. Wir haben aber nicht weiter gepusht, weil wir auf jeden Fall vermeiden wollten, dass er aus Kreisen, die der aktuellen Regierung nahestehen, politisch instrumentalisiert wird.

Der Titel „Algo mío“ ist nirgends übersetzt.

Er ist ja nicht ganz einfach zu übersetzen. Aber beide sagen das. Algo mío heißt ja letztlich „das Eigene“, das was nur mich selbst betrifft, was wirklich ich bin und nur von mir ist. Bei aller Unterschiedlichkeit, wie sie die Dinge sehen, geht es bei beiden auch darum: Wer bin eigentlich ich, zwischen der Familie, die mich großgezogen hat, von der ich was bekommen habe, und zwischen den biologischen Wurzeln? Was macht eigentlich nur mich aus? Das fanden wir als Titel schön, weil in den ganzen Prozessen und allem, was verhandelt wird, oft eben genau das zu kurz kommt.