ila

Von Forschern und Sammlern

Der Amazonas­-Reisebericht des britischen Botanikers Richard Spruce in einer aufwändigen Neuauflage
Helmut Schaaf

Nach den Conquistadoren kamen die Forscher nach Lateinamerika, die teils auf eigene Kappe, oft aber unterstützt und finanziert durch eine Regierung, die in der Regel imperiale Interessen hatte, immer aber auf eigene Gefahr, bis dahin für Europäer unerforschte Gebiete durchstreiften. Auch Amazonien zog zahlreiche Forschungsreisende an, wozu sowohl die darüber kursierenden Mythen, etwa die vom Reich der Amazonen, aber auch die realen Berichte über die reiche Natur der Region beitrugen.

Natürlich brauchten die Forschungsreisenden dazu die Hilfe derer, die in dem „unbekannten Land“ zu Hause waren.1 Die Einheimischen konnten sich oft nur wundern, welche Strapazen weißhäutige Gelehrte auf sich nahmen, um für sie Selbstverständliches zu „entdecken“, zu sammeln und zu archivieren. Wenn die Reisenden am Ende heil nach Europa zurückkamen, konnten sie von der Reise und ihren Erkenntnissen berichten. Oft sind diese Reiseberichte aber wieder untergegangen und waren nicht mehr zugänglich. Das war der Anlass für das Ein-Mann-Unternehmen: „Verlag der Pioniere“, „vergessenes Kulturgut wieder zugänglich machen“. Seinen verlegerischen Anspruch beschreibt der Verlag so: „Forscher- und Entdeckerberichte vergangener Jahrhunderte bilden den Schwerpunkt der Edition. Die Texte werden im originalen Umfang der Erstausgabe erfasst, mit allen enthaltenen und beiliegenden Karten und Abbildungen sorgfältig aufbereitet und das Ganze wird schließlich, erweitert um ein Register, Illustrationen und kurze Erläuterungen, in hochwertigen Ausgaben gedruckt.“

Soeben ist im „Verlag der Pioniere“ der Reisebericht „Aufzeichnungen eines Botanikers am Amazonas und in den Anden“ von Richard Spruce und Alfred Wallace erschienen. Richard Spruce war Naturforscher, der meist völlig auf sich allein gestellt von 1849 bis 1867 Südamerika durchstreifte. Der Botaniker zog in Booten, zu Fuß und zu Pferde 18 Jahre lang durch den Regenwald des Amazonas und die Gebirge der Anden – und füllte Kiste um Kiste mit seinen Entdeckungen. Seine Erlebnisse und Notizen in einem großen Werk aufzuarbeiten gelingt ihm nicht mehr. Diese Aufgabe übernahm nach seinem Tod Alfred Wallace, der den am Ende sorgfältig redigierten tausendseitigen Reisebericht zusammenstellte: „Es war mein Bestreben, alles zusammenzustellen, was für Botaniker nützlich sein könnte, sowie auch alle die Passagen aufzunehmen, die für andere Leser von allgemeinem Interesse sein könnten. Diese Aufgabe war für mich wirklich eine Arbeit der Liebe: Ich habe eine so hohe Meinung von der Arbeit meines Freundes, sowohl literarisch als auch wissenschaftlich, dass ich es wage vorherzusagen, dass die vorliegenden Bände einen Platz unter den interessantesten und lehrreichsten Reiseberichten des 19. Jahrhunderts finden werden.“

Richard Spruce, bis zu seinem Aufbruch nach Südamerika Spezialist für winzig kleine Lebermoose, schickte seine indigenen Helfer in Amazonien auf die höchsten Bäume, um deren Blüten zu ergattern. Er schreibt aber auch über seine Gewissensbisse, wenn er einen der Urwaldriesen fällen ließ, um an dessen Blüten zu gelangen. Solche Skrupel sind der Gegenwart fremd, die uralten Wälder des Amazonas sind zur wirtschaftlichen Ausbeutung freigegeben. Welche unerforschten, faszinierenden Schätze damit unwiederbringlich verloren gehen, auch davon erzählt der Band.

In den Anden angekommen, erhält er den Auftrag der britischen Regierung, Samen und Schösslinge des Chinarindenbaums zu beschaffen. Durch dessen Anbau im fernen Indien sollte die Versorgung der Kolonien des Vereinigten Königreichs mit dem damals wichtigsten Medikament gegen Malaria, dem Chinin, gesichert werden.

Zwar steht die Pflanzenwelt, oder wie wir heute sagen würden, die Biodiversität des Amazonas- und Andenraumes im Mittelpunkt der Beschreibungen des Botanikers Spruce, ihn interessierten aber auch die indigenen Kulturen, über die er einiges berichtet.

Den Band beschließen Fachaufsätze von Spruce über Ameisen als Modifikatoren der Pflanzenstruktur, Rausch- und Aufputschmittel der Indigenen Amazoniens, die Kriegerfrauen vom Amazonas, indigene Felsbilder – und schließlich über einen (immer noch?) versteckten Schatz der Inka.

Auch wenn man dann nicht auf Schatzsuche geht: Für Interessierte gibt es in dem Band vieles andere zu entdecken.

  • 1. Volker Matthies. Im Schatten der Entdecker. Indigene Begleiter europäischer Forschungsreisender. Ch. Links Verlag. 248 Seiten, 70 Abb., 28 Euro (vgl. Besprechung in der ila 416)