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Wie der Amazonas zu seinem Namen kam...

...und der Conquistador Orellana einen Fluss entdeckte, der schon da war
Laura Held

Als Amazonen bezeichneten die spanischen Eroberer, die den Amazonas-Fluss als erste Europäer befuhren (da hieß er noch nicht Amazonas), die indianischen Kriegerinnen, die sie dort im Dschungel antrafen und die sie erbittert bekämpften. Die Amazonen werden auch icamiabas oder coniupuiaras genannt (große Frauen, in der Nheengatu-Sprache). Die Tapajó nennen die Kriegerinnen cunhantensequina, das bedeutet: Frauen ohne Mann.

Die Entstehung dieser Legende ist eng mit der Suche nach dem mythischen El Dorado (einer reichen, befestigten Stadt ganz aus Gold, nach anderen Erzählungen ein Gold- und Silbersee, und immer an einem abgelegenen Ort vermutet) verknüpft. Nachdem sich vor ihnen schon einige Eroberer vergeblich auf die Suche nach der Goldstadt oder dem Großen Paititi gemacht hatten, darunter 1535 der Deutsche Nikolaus Federmann und 1541 und 1542 der berühmte Forscher und Schriftsteller Cabeza de Vaca (der dabei als erster Weißer die Iguaçu-Wasserfälle sah), beschloss 1541 Gonzalo Pizarro (ein Bruder des Eroberers und Mörders Francisco Pizarro), damals Gobernador von Quito, eine Expedition zusammen mit dem Kapitän Francisco de Orellana auszurüsten, die von Quito aus zu Fuß in Richtung der großen Flüsse nach dem El Dorado suchen, dabei neue Ländereien erobern und nebenbei die Zimtpflanze finden sollte. Die Expedition bestand aus 220 Spaniern, 4000 Indios, 200 Pferden und unzähligen Hunden, Schweinen und Lamas.

Nach dem Bericht ihres Chronisten Gaspar de Carvajal beschlossen Gonzalo Pizarro und Orellana, sich zu trennen, nachdem sie mehr als 300 Kilometer erfolglos marschiert waren und an einem großen Fluss (genannt Süßwassermeer oder einfach der große Fluss) ein Lager errichtet hatten. Die Vorräte gingen ihnen aus, es war Regenzeit und die Männer waren erschöpft und viele krank. Pizarro schickte Orellana mit 55 Söldnern und zwei Mönchen (einer davon war Carvajal) sowie Tauschwaren aus, um Lebensmittel zu suchen. Als Orellana nicht zurückkehrte, beschloss Pizarro, mit den Überlebenden zurück nach Quito zu marschieren. Sie brauchten ein halbes Jahr.

Orellana fuhr mit seinen Männern auf einem von Indios gebauten Schiff circa 1000 Kilometer flussabwärts. Schließlich erreichten sie den Río Curaray, einen Waldfluss. Dort wurde mit Hilfe der dortigen Indios ein zweites Schiff gebaut. Über den Curaray gelangte die Mannschaft schließlich auf den großen Fluss der Omáguas, heute der Napo, und später auf den heutigen Amazonas, den sie immer weiter befuhren. Um an Nahrung zu kommen, nahmen sie sich, was ihnen die sehr zahlreich am Fluss lebenden Indios anboten, oft mit Gewalt. Tatsächlich berichtete Orellana von großen Städten und vielen Tausenden Menschen, die nachfolgenden Expeditionen konnten sie aber nicht finden. Darüber gibt es bis heute zahlreiche Dispute. Orellana und seine Männer waren brutal. Auch wenn die Indios ihnen Fische und Fleisch gaben, zündeten sie ihnen die Hütten an und nahmen sie gefangen.

Orellana fand das El Dorado nicht, aber er gilt heute als der „Entdecker“ des Amazonas, weil er als erster Europäer den Strom von West nach Ost befuhr. Die Expedition kam bis nach Trinidad. Vorher jedoch, am 24. Juni 1542, kam es unweit des heutigen Óbidos zu einer Begegnung mit kriegerischen Indias. Die icamiabas griffen die Spanier an, und da sie zahlreich waren und wild kämpften, gelang es ihnen nach mehreren Monaten, die Eindringlinge aus ihrem Gebiet zu vertreiben.

Carvajal beschreibt die Frauen als hellhäutig, hoch gewachsen und sehr kräftig gebaut. Ihr glattes schwarzes Haar trugen sie in Zöpfen eng am Kopf festgesteckt. Sie kämpften nackt, mit Pfeil und Bogen, und jede leistete mehr Widerstand als zehn männliche Indios. Ihre rechte Brust hätten sie sich entfernt, um besser schießen zu können. Carvajal erinnerte sich an die griechische Legende der Amazonen und war überzeugt, diese hier angetroffen zu haben.

Er und nach ihm viele andere Chronisten wie 1543 Hernando de la Ribera und Ulrich Schmidl, der den Spanier Pedro de Mendoza zwischen 1534 und 1553 begleitete, oder der Franziskaner André Thevet 1557, der für den französischen König Heinrich II. im Amazonas unterwegs war, beschreiben die Amazonen und ihre Lebensweise. Ihnen zufolge lebten sie zusammen auf einer Insel, ohne Männer. Sie waren sehr zahlreich und lebten in verschiedenen Dörfern. Die Indiogemeinschaften der umliegenden Gebiete waren ihnen tributpflichtig. Einmal im Jahr, manche sagen auch mehrmals, feierten sie eine Art Fruchtbarkeitsfest mit Indios aus umliegenden Gebieten. Wenn sie Mädchen bekamen, behielten sie sie, Jungen töteten sie oder gaben sie den Vätern. Die Indios, die zu den Feierlichkeiten eingeladen wurden oder ihnen den Tribut abliefern mussten, bekamen ein Amulett, den muiraquitã. Das ist eine kleine Skulptur aus Tiefengesteinen wie Nephrit, Diorit oder aus Jade in Form eines Tieres, meist eines Frosches, eines Leoparden, eines Kaimans oder einer Schildkröte. Einige Funde stammen aus vorkolumbianischer Zeit und sind Quelle zahlreicher Legenden sowie wissenschaftlicher Dispute. Bis heute werden Nachbildungen aus Glücksbringer verkauft. Nur mit diesem Amulett konnten sie sich innerhalb ihres Gebietes bewegen, ohne getötet zu werden.

Der spanische König Karl V. gab, als er den Bericht hörte, dem Großen Fluss den Namen Amazonas. Die Nachricht von diesem fantastischen Zusammentreffen verbreitete sich in der ganzen Welt und ab 1576 hießen der Fluss und der gesamte umgebende Dschungel Amazonas, nach den von Carvajal beschriebenen Kriegerinnen.