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Die EU und vier Einzelregierungen

Der Mercosur und seine Strukturen waren nie in die Verhandlungen involviert

Der Mercosur war Ende der 90er-Jahre, als die bilateralen Verhandlungen mit der EU in Auftrag gegeben wurden, zunächst einmal flächenmäßig ein großer Wirtschaftsblock mit intergouvernamentaler Koordination, also Abstimmungen lediglich auf Regierungsebene. Unter den 380 Millionen Einwohner*innen befand und befindet sich ein gerüttelt Maß kaufkräftiger Mittelschichten sowie nicht wenige unermesslich Reiche. Auf diese beiden Gruppen sowie auf Staatsaufträge in einem Reich ungehinderter Warenzirkulation hat es die europäische Industrie abgesehen. Rund die Hälfte der europäischen Investitionen in Lateinamerika geht nach Brasilien. Das waren 2015 422 Milliarden Euro, laut Amazon Watch, also lange vor dem künftigen Abkommen, das diese aber auf unbegrenzte Zeit absichern wird, egal ob produktiv oder spekulativ.

Gaby Küppers

Die Anfänge des Mercosur liegen in den 60er-Jahren mit der ALALC (Asociación Latinoamericana de Libre Comercio). 1980 ist die ALADI (Asociación Latinoamericana de Integración) ins Leben gerufen worden. Nach mehreren Anläufen wurde dann 1991 mit dem Vertrag von Asunción eine Zollunion zwischen Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay geschaffen. Sitz des Blocks ist Montevideo. 2012 kam Venezuela hinzu, was rechte Kräfte nie anerkannten, da der Beitritt während der Suspendierung Paraguays (bis 2013) nach dem Putsch gegen Präsident Lugo geschah. Am 1. 12. 2016 dann wurde Venezuela wegen seiner politischen Lage von den nach rechts gerückten Regierungen suspendiert. Venezuela ist ebensowenig in das Assoziationsabkommensprojekt mit der EU einbezogen wie das assoziierte Mitglied Bolivien, da beide ihre Annäherung an den Mercosur erst nach Erteilung des europäischen Verhandlungsmandats begannen. Ab 2008 sollte das neugeschaffene UNASUR/UNASUL den Mercosur und die Andengemeinschaft annähern und schrittweise einen gesamtlateinamerikanischen Block gegen die OAS, in der auch die USA und Kanada Mitglied sind, schaffen. Mit der veränderten politischen Großwetterlage versank das Projekt zuletzt wieder in der Versenkung. Argentinien, Brasilien und Chile traten explizit aus und hoben im März 2019 zusammen mit Paraguay, Kolumbien, Ecuador, Peru und Guyana PROSUR aus der Taufe mit dem Ziel, eine progressive Wirtschaftsallianz „ohne ideologische Scheuklappen“ zu schaffen. Gehört hat man davon danach weiter nichts.

Der Mercosur ist immer ein wirtschaftliches Konstrukt mit knirschendem Gebälk geblieben. Bei Rohstoffen sind die Mitglieder Konkurrenten mit der gleichen oder ähnlichen Angebotspalette, ebenso bei den wenigen Industrieprodukten wie Autos, deren Normen mit Absicht immer inkompatibel gehalten wurden. Größere Freihandelsabkommen kamen nur mit Israel (2007) und Ägypten (2010) zustande, zudem Ende August 2019 (man höre und staune) mit der EFTA (Island, Liechtenstein, Norwegen, Schweiz; vgl. dazu Beitrag in dieser ila).

Eine gemeinsame politische Power war nicht wirklich gewollt. Einer der wenigen Schritte dorthin war die Schaffung eines gemeinsamen Parlaments, Parlasur, im Jahre 2005, ebenfalls mit Sitz in Montevideo. 2010, als Lula in Brasilien, Cristina Fernández de Kirchner in Argentinien, José Mujica in Uruguay und Fernando Lugo in Paraguay regierten, wurde das Amt des Generalsekretärs (Alto Representante) des Mercosur geschaffen. Der zweite Inhaber war der Brasilianer Doutor Rosinha von der Arbeiterpartei PT (in Brasilien sind Spitznamen gebräuchlich, Doutor Rosinha heißt laut Pass Florisvaldo Fier). Statt Wahlen für eine dritte Periode durchzuführen, schafften die Staatspräsidenten das Amt 2017 wieder ab.

Der Generalsekretär des Mercosur wurde nie eingeladen, an den Verhandlungen mit der EU teilzunehmen. Am Tisch saßen immer die Vertreter*innen der vier Regierungen, mit rotierender Präsidentschaft, derzeit hat Brasilien diese inne. Entsprechend schwierig gestalteten sich Fortschritte aus Sicht der EU-Unterhändler*innen, die für den Handelsteil von der Generaldirektion Handel (DG Trade), für die anderen Teile aus den Generaldirektionen Außenbeziehungen (EEAS) und Entwicklung (DEVCO) kommen. Vertreter*innen der Mitgliedsländer sitzen offiziell nicht bei den Sitzungen, ihnen wird nur im Nachhinein Bericht erstattet, ebenso wie dem Europäischen Parlament, was allerdings in der Praxis nur sehr mäßig und mit selten verschickten Dokumenten funktionierte.

Nicht nur die Zusammensetzung der Mercosur-Unterhändler*innen war kompliziert, auch die politische Ausrichtung der Regierungen verhinderte lange Zeit Gespräche über Freihandel nach EU-Vorstellungen. In den 2000er-Jahren ging es insbesondere den Schwergewichten des Blocks, Argentinien und Brasilien, nicht minder Uruguay, um nationale Entwicklung und Schutz der heimischen Industrien (nicht um Klimaschutz!). 2004 wurden die Gespräche erst einmal eingefroren, 2010 wieder aufgenommen, um kurz danach erneut einzuschlafen. Erst mit dem Rechtsruck in Argentinien und Brasilien nahmen die Verhandlungen wieder Fahrt auf. Was da festgeklopft wurde, kam nur durch geleakte Dokumente 2017 heraus (s. Thomas Fritz für Misereor in /www.misereor.de/fileadmin/user_upload/Studie_MERCOSUR_Misereor.pdf). Im letzten Jahr ging es vordergründig nur noch um Quoten, cattle gegen cars, also Rindfleisch aus Brasilien gegen Autos aus Europa, vorwiegend aus Deutschland. Das hat die presselesenden Gemüter und die jeweiligen Lobbys gehörig in Stellung gebracht, bis es dann aus Osaka schallte: The deal is done.