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Porträt einer 500-Jährigen

Fotograf Sven Creutzmann und Texter Bert Hoffmann haben zu Havannas Stadtjubiläum einen spektakulären Bildband herausgebracht
Hinnerk Berlekamp

Havanna fasziniert. Es mag schönere Städte geben auf dem amerikanischen Doppelkontinent, sauberere Städte, in denen es sich angenehmer leben oder auch nur bequemer Urlaub machen lässt, sowieso. Doch nur wenige haben dieses eigene Flair, das sich speist aus so viel Geschichte. Nur wenige versprühen so viel Energie wie Cubas Hauptstadt. Havanna ist einzigartig. Rechtzeitig zum 500. Jahrestag der Stadtgründung in diesem November haben Sven Creutzmann und Bert Hoffmann bei Frederking & Thaler einen Bildband herausgebracht, „Havanna. Im Herzen Kubas.“ Hoffmann, Politikwissenschaftler am GIGA und Honorarprofessor an der FU Berlin, ist seit drei Jahrzehnten regelmäßig auf Cuba unterwegs und hat in dieser Zeit so viel zur aktuellen Entwicklung auf der Insel veröffentlicht, dass man ihn an dieser Stelle kaum weiter vorstellen muss. Sven Creutzmann lebt seit den 90er-Jahren in Havanna und ist dort nicht nur beruflich, sondern auch privat verankert. Wer seine Qualitäten als Fotograf noch nicht kennen sollte, hatte nie eine bessere Gelegenheit, dieses Versäumnis wettzumachen, als jetzt. Natürlich dürfen in dem Band die „mintgrünen Oldtimer-Chevis, bröckelnden Kolonialbauten, Salsa tanzenden Habaneros“ nicht fehlen, mit denen der Verlag seine Werbung für das Buch beginnt. Doch Sven Creutzmann präsentiert viel, viel mehr. Er zeigt tatsächlich das wirkliche Leben. Nicht die Show im Cabaret Tropicana, sondern die verschwitzten Gesichter und die durchgetretenen Schläppchen derer, die sich um eine Anstellung als Tänzer*in erst bewerben. Er fotografiert die Menschen in ihren eigenen vier Wänden, im Lepra-Hospital, beim improvisierten Sexualkundeunterricht im Schönheitssalon. Kaum ein Nichtcubaner dürfte mit seiner Kamera den Cubaner*innen je so nahe gekommen sein wie er. Grandios ist die Serie der Vorher-Nachher-Bilder, die der Band auf drei aufeinanderfolgenden Doppelseiten darbietet. „Zeitensprung 1“ zeigt, noch recht erwartbar, einen Palast an der Plaza Vieja vor und nach der gelungenen Renovierung. „Zeitensprung 2“ porträtiert frisch angemalte Häuser an der Uferpromenade Malecón 1992 und das, was heute von ihnen noch steht, und ist damit eine universelle Mahnung, sich vom schönen Schein niemals täuschen zu lassen. Und dann ist da noch „Zeitensprung 3“, ein Saal in einer ehemals herrschaftlichen Villa, einmal 1998 abgelichtet, einmal 2019. Aber das muss man sich selbst ansehen.

Bert Hoffmanns Texte, die die einzelnen Kapitel begleiten, stehen den Bildern in nichts nach. Sie sind genauso genau, nie denunzierend, sie schlagen den Bogen vom kleinen Detail zum großen Ganzen und wieder zurück. Nur im Einstieg zur Stadthistorie holpert es ein wenig, doch das tut dem Buch keinen Abbruch. In dem Zusammenspiel von Text und Bild ist dieser Band unter der Vielzahl der aktuell erhältlichen Cuba-Bildbände unerreicht. Und doch bleibt eine Erwartung unerfüllt, oder sagen wir besser: Sie wird nur zum Teil erfüllt. Denn ein Bildband mit dem Titel „Havanna“, der ausdrücklich zur 500-Jahr-Feier der Stadt erscheint, verspricht ein Stadtporträt, vergleichbar vielleicht einem Mosaik, das sich vor den Augen des Betrachters nach und nach zusammensetzt. Dass dabei die eine oder andere Leerstelle bleibt, ist gar nicht zu vermeiden und Creutzmann und Hoffmann auch nicht anzulasten. Hier geht es um etwas anderes, um das Zusammenspiel der einzelnen Elemente, die Gesamtkomposition. Und mit der stimmt etwas nicht. Was da nicht passt, lässt sich an den Kapitelüberschriften ablesen. Die Stadtgeschichte, die als Einstieg irgendwie nahegelegen hätte, kommt erst an zweiter Stelle, gefolgt von „Havannas Oldtimer – eine Zeitreise auf Rädern“. Weiter geht es mit Anmerkungen des Romanautors Leonardo Padura, von denen die kürzeste lautet „Politik: Über Politik sollen andere reden.“ Den Ausklang bilden „Havanna Live – Bühne für Künste und Körper“ und schließlich „Neue Zeiten – Havanna im Wandel“. Am Anfang aber steht ein Kapitel „Fidels Havanna – Havannas Fidel“. Warum?

Die Erklärung lautet wohl: Weil die Fotos dazu einluden. Wer von einem so elektrisierenden Motiv wie Fidel Castro so viele Bilder mit so hoher Aussagekraft angesammelt hat wie Creutzmann, der will sie zeigen, und damit ein Vergleich möglich wird, am besten in geballter Form. Das aber rechtfertigt noch nicht den Stellenwert, den dieses Kapitel kraft seiner Platzierung in dem doch eigentlich der Stadt gewidmeten Buch einnimmt. Denn „Fidels Havanna“ war die Stadt nie. Hält man sich vor Augen, dass Fidel Castro Cuba fast ein halbes Jahrhundert lang regiert hat, ist es geradezu verblüffend, wie wenig er aktiv in die Struktur seiner Hauptstadt eingegriffen hat. Vor-Vor-Vorgänger Machado ließ Anfang der 1930er-Jahre alle Fassaden in der Altstadt weiß tünchen, weil er sich von einem einheitlichen Erscheinungsbild für die Tourismuswerbung etwas versprach, kulturhistorisch ein Sündenfall. Vorgänger Batista begann in den 1950er-Jahren mit Abrissarbeiten im historischen Kern, kam aber glücklicherweise nicht mehr weit. Fidel Castro hatte annähernd so viel Zeit wie alle Präsidenten Cubas vor ihm zusammen und zeitweilig hätte er auch die Mittel gehabt, die Stadt nach seinem Geschmack umzuformen. Er unterließ es und widmete sich anderen Dingen. Was man ihm auch vorhalten mag, übereifriges Engagement als Stadtentwickler gehört nicht dazu.

Eine ähnliche Entstehungsgeschichte wie beim Castro-Kapitel ist auch beim Auto-Kapitel zu vermuten. Natürlich ist hierzulande die Faszination für die alten Amischlitten auf Cubas Straßen riesengroß, und ein Bildkünstler müsste ja mit dem Klammerbeutel gepudert sein, hielte er seine fotografischen Schätze (und Creutzmanns Aufnahmen sind Schätze!) zurück. Bert Hoffmann wäre auch nicht Bert Hoffmann, bliebe er in seinem Text bei den auf Hochglanz polierten Pontiacs und Oldsmobiles stehen. Ein Schlenker nur, und schon ist er bei der abenteuerlichen Geschichte um den Formel-1-Weltmeister Juan Manuel Fangio, der in Havanna einst ein Rennen verpasste, weil er Opfer einer Entführung wurde. Auch die „Kamele“, die in Zeiten akuten Ersatzteilmangels im Nahverkehr zum Einsatz kamen, werden gebührend gewürdigt. Und doch: Zwei oder drei Autos weniger hätten, genau wie zwei oder drei Castro-Bilder weniger, diesem ausnehmend guten Buch noch besser getan.