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Bukelazo

El Salvadors Präsident Nayib Bukele stellt Rechtsstaat und Parlamentarismus in Frage

El Salvador hat viele Probleme. Aus Sicht der meisten Bewohner*innen steht dabei das Regiment der Maras, der aus Jugendbanden hervorgegangenen salvadorianischen Mafia, an erster Stelle. Doch es gab auch positive Entwicklungen. Die wichtigste war die relative Stärke der demokratischen Institutionen. Seit den Friedensverträgen von 1992, die einen 14 Jahre währenden internen Krieg mit fast 100 000 Opfern beendeten, hielten sich sowohl die langjährige ultrarechte Regierungspartei ARENA als auch die ehemalige Guerilla FMLN an die Vereinbarungen. Zu deren Säulen gehörte, dass sich die Streitkräfte, die für den größten Teil der Menschenrechtsverletzungen während des Krieges verantwortlich waren, auf die Landesverteidigung konzentrieren sollten. Doch damit ist es seit Sonntag, den 9. Februar vorbei: An diesem Tag mobilisierte Präsident Nayib Bukele, ein Karrierist aus der Werbebranche, das Militär, um das Parlament zu besetzen und die Abgeordneten zu zwingen, ihm Gelder für ein Aufrüstungsprogramm zu gewähren. Der nachfolgende Artikel dazu ist der von Juan José Dalton herausgegebenen salvadorianischen Internetzeitung El Faro entnommen

Jaime Quintanilla

In den Tagen, die seit jenem denkwürdigen Sonntag vergangen sind, hat der Präsident nicht aufgehört, die Abgeordneten anzugreifen und zu bedrohen. Bei einem seiner jüngsten Auftritte am 20. Februar sagte er zu einer Delegation der Interamerikanischen Entwicklungsbank (BID): „Lebten Sie auch nur einen Tag in El Salvador, würden Sie die Politiker allesamt verbrennen, glauben Sie mir.“ In all seinen Reden fordert er die Sicherheitskräfte dazu auf, die politische Klasse dafür verantwortlich zu machen, dass sie im Kampf gegen die Bandenkriminalität nicht besser ausgerüstet werden. Dabei versäumt er es nicht, darauf hinzuweisen, dass Mitglieder der rechten ARENA-Partei und der linken FMLN gleichermaßen mit den kriminellen Banden, den Pandillas, verhandelt haben, um bei den Präsidentschaftswahlen von 2014 (die die FMLN gewann) ihre Stimmen zu bekommen. Deshalb, so Bukeles Logik, verweigern die Abgeordneten dieser Parteien einem 109 Millionen US-Dollar schweren Kredit der Zentralamerikanischen Bank für wirtschaftliche Integration (BCIE) zur Finanzierung der dritten Phase seines „Plans zur territorialen Kontrolle“ die Zustimmung.

Denselben Diskurs führte der Präsident bereits am 11. Februar anlässlich der Vereidigung von 270 neuen Polizeibeamten: „Bedauerlicherweise sorgen sich die Politiker mehr darum, Kriminelle zu schützen und zu finanzieren, Drogenhändler zu schützen, als diejenigen, die uns beschützen. So stehe ich vor euch, um euch zu schwören, dass ich sogar mein Leben für euch geben werde. Mit Gottes Hilfe werden wir die Schlacht gegen die Kriminalität gewinnen.“ Eine Woche später, am Nachmittag des 18. Februars, marschierten 1400 Soldat*innen vor dem Nationalpalast auf und formierten sich vor der Tribüne, von der ihr Oberkommandierender, Präsident Nayib Bukele, zu ihnen sprechen sollte. Die Soldat*innen waren mit Waffen ausgerüstet, als ob sie in den Krieg ziehen wollten. Gleichzeitig überflogen A-37-Kampfjets das Zentrum der Hauptstadt und auf dem Platz waren Patrouillenboote der Kriegsmarine aufgestellt, ganz wie bei einer Militärparade. Die aufmarschierten Soldat*innen sollen zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit eingesetzt werden. In seiner Rede lobte der Präsident ihre Arbeit bei der Erledigung von Polizeiaufgaben und hetzte sie gegen das Parlament und die Politiker*innen auf. Die Soldat*innen waren jung, ihre versteinerten Gesichter bemalt wie bei einem Spezialeinsatz. Ihre M-16-Sturmgewehre fest im Griff, lauschten sie einer Rede, die darauf zielte, sich mit ihnen gemein zu machen. „Ich grüße euch“, hob der Präsident an, nicht als Oberkommandierender der Streitkräfte, sondern als Salvadorianer, „und ich möchte euch dafür danken, dass ihr den Salvadorianern dienen und sie vor den internen und externen Feinden beschützen wollt.“ Als er zum Frontalangriff auf die Abgeordneten überging, wechselte der Tonfall seiner Rede von gutmütig zu aggressiv. Wieder ging es Bukele darum, mit seinen Angriffen die Bösen von den Guten im Land zu unterscheiden. „Dies sind schwierige Tage, in denen wir wissen, dass die Mehrheit der Politiker Kriminelle beschützt. Tage, in denen wir wissen, dass Abgeordnete und Ex-Minister die Kriminellen finanziert haben, die ihr verfolgen und gefangen nehmen werdet. Tage, in denen wir wissen, dass sich die Abgeordneten aufregen, wenn sie einen Militär sehen, aber sich nicht aufregten, als die Pandilleros ins Parlament kamen, um mit ihnen über das Leben der Salvadorianer zu verhandeln.“ So sprach der Präsident zu seinen Truppen, wohl wissend, dass sein Staatsminister Mario Durán und sein Direktor für den Sozialen Zusammenhalt, Carlos Marroquín, in seinem Namen als Bürgermeister von San Salvador ebenfalls mit den Pandillas verhandelten, als sie Beamte der Stadtverwaltung waren. Zum Abschluss seiner Rede an die Soldat*innen wurde Bukele wieder religiös: „Gott wird uns den Sieg über die Kriminalität schenken. Er wird uns den Sieg über jene schenken, die nicht wollen, dass wir die Kriminalität besiegen.“ (Während der Besetzung des Parlaments am 9. Februar hatte er, auf dem Sessel des Parlamentspräsidenten sitzend, die Hände vor das Gesicht geschlagen, gebetet und dann verkündet: „Ich habe Gott gefragt und Gott sagte zu mir: Geduld.“ Danach gefragt, gibt Bukele an, keiner Religionsgemeinschaft anzugehören. A.d.Ü.) Die Soldat*innen verabschiedeten ihren Oberbefehlshaber mit Kriegsgeschrei.

Wegen seines Auftritts am 9. Februar in El Salvador und im Ausland heftig kritisiert, lässt Bukele die Muskeln weiter spielen. Und obwohl die Verfassungskammer des Obersten Gerichtshofes den Einsatz von Militär und Polizei im Parlament verurteilt und den Polizeichef und den Verteidigungsminister davor gewarnt hat, die Sicherheitskräfte zu politischen Zwecken einzusetzen, scheint der Präsident auf seiner Botschaft beharren zu wollen: ich kontrolliere die Polizei, ich kontrolliere das Heer. Sein Bad in der uniformierten Menge genießt er vorzugsweise auf dem zentralen Gerardo-Barrios-Platz zwischen Nationalpalast und Kathedrale. Schwer bewaffnete und kriegsbemalte Polizist*innen und Soldat*innen hat er auf diesem zentralen Platz der Hauptstadt aufmarschieren lassen, den er in seiner Zeit als Bürgermeister von San Salvador hat herrichten lassen. Der Gerardo-Barrios-Platz ist ein besonderer und historischer Ort im kollektiven Gedächtnis der Salvadorianer*innen. Was früher das Symbol sozialer Kämpfe war, ist jetzt zum bevorzugten Ort für Bukeles Auftritte geworden. Seit seiner Zeit als Bürgermeister der Hauptstadt, über die Feier anlässlich seines Sieges in den Präsidentschaftswahlen vom Februar 2019 und über seinen Amtsantritt am 1. Juni 2019 hinaus bis hin zum Aufmarsch am vergangenen 18. Februar ist dieser Platz zum Schützengraben geworden, aus dem heraus Bukele die traditionelle Politik in El Salvador angreift. Obwohl die Medien eingeladen waren, verließ der Präsident den Gerardo-Barrios-Platz, ohne die Gelegenheit zu Fragen gegeben zu haben. Wie von einer Kanzel hat der Präsident hier gegen die Politiker*innen gewettert, in einem Monolog, der keine Rückfragen erlaubt. Sein Wüten ist nicht folgenlos geblieben: Nach der letzten Umfrage des Meinungsforschungsinstitutes der Jesuitenuniversität UCA sind das Parlament und die politischen Parteien die Institutionen, in die die Bevölkerung El Salvadors am wenigsten vertraut. Bei dem Treffen mit den Vertretern der BID dämonisierte er seine Gegner*innen mit den Worten: „Stellen Sie sich vor, was in Spanien passierte, wenn die Mordrate dort so hoch wäre wie in El Salvador. Es gäbe eine Revolution, man würde den König stürzen und auf dem Hauptplatz aufspießen.“

Bukeles Angriffe scheinen von einem Hintergedanken getrieben zu werden, nämlich dem Blick auf die nächsten Wahlen. Am 28. Februar 2021 werden in El Salvador das Parlament und die Gemeinderäte neu gewählt werden. Jetzt, ein Jahr davor, setzte der Präsident nach seinem Treffen mit den Soldat*innen am 18. Februar folgenden Tweet ab: „Wir werden sie an den Urnen besiegen und ich bin sicher, dass Gott sich um den Rest kümmern wird.“

aus: El Faro, 21. Februar 2020. Leicht gekürzt, bearbeitet und übersetzt von Ulf Baumgärtner