ila

Soundtrack zum Alltag

Die Dokumentarfilme „Favela on Blast“ und „A Batalha do Passinho“ zeigen Funk in Rap und Tanz
Frederik Caselitz

Die Kraft des brasilianischen Funk liegt nicht nur in der Musik. Sie hat viel zu tun mit der Authentizität der Musik, den Bildern, die sie im Kopf auslösen. Damit ist die Musik der ideale Soundtrack für Actionfilme oder Sozialdramen. Der preisgekrönte „Tropa de Elite“ hatte mehrere Funk-Stücke im Soundtrack. Die Texte erzählen oft kurze Geschichten über Liebe oder Hass. Für Dokumentarfilme bietet Funk also ideales Rohmaterial. „Bettlergesicht, stinkt wie ein Schwein und gibt in geliehenen Klamotten an“, rappt Juliana zu Beginn des Dokumentarfilms „Favela on Blast“ und antwortet damit auf die Beleidigungen eines Kollegen. Bereits 2008 ging der Film an den Start: ein Gemeinschaftswerk des brasilianischen Künstlers Leandro HBL und des US-Amerikaners Diplo, der mit seiner Gruppe Major Lazor auch genreübergreifend bekannt ist. Diplo war zu Beginn der 2000er Jahre einer der Pioniere, die den Funk aus Brasilien in die USA quasi reimportierten (siehe auch Interview mit Haaksman auf S. 9).
„Favela on Blast“ wurde in den Favelas gedreht und beginnt ohne Einordnung, lediglich ein kurzes Intro erklärt die Entstehung der Favelas. Danach besteht der Film vor allem aus den Geschichten der Personen, die zum Teil direkt in die Kamera singen: „Rocinha hat viele Geschichten, viele Streits, viele individuelle Überlebenskämpfe in diesem verrückten Chaos.“ Der Film lebt davon, bei den Partys dabei zu sein, die alltäglichen Situationen aufzunehmen. Es ist kein Hochglanzprodukt, das die glorreiche Geschichte einzelner Künstler*innen erzählt. Vielmehr erhalten wir einen Eindruck von den verschiedenen Facetten, die den Funk so besonders machen. Viele der Künstler*innen nutzen den Gesang in ihrem Alltag. Schenkt man den Bildern Glauben, ist Funk omnipräsent, der ständige Begleiter der Favela. So singt der Rapper Colibri, umrundet von einer Horde Kids, davon, dass sie die Zukunft sind, worauf die Gruppe anfängt, seinen Text mitzusingen.

Anders als in anderen Rap-Filmen stehen auch Frauen in „Favela On Blast“ immer wieder im Mittelpunkt. Ihre Texte sind ähnlich vulgär, aber ihre Position ist auf keinen Fall reduziert auf eine Rolle als Beiwerk eines erfolgreichen Rappers. „Wir wollen keine Ehemänner, wir wollen viele Idioten, die uns aushalten.“ Die materiellen Verhältnisse durchziehen immer wieder die ansonsten von Spaß geprägte Subkultur. „Wenn er arm ist, will ihn keiner.“

In der Dokumentation erzählen Mr. Catra, DJ Marlboro oder MC Galo ihren Weg zum Funk. Sie wirken dabei nicht wie Stars, eher wie Hobbymusiker, die nebenbei auch noch Boxen schleppen müssen und ihre Partys selber organisieren. Deutlich wird auch, wie Funk bereits zur Jugend in der Favela gehört. Immer wieder tauchen Kids auf, die über die Texte schmunzeln oder dazu tanzen. Der Reiz des Funk liegt gerade darin, dass die Songs spontan entstehen. Die DJs spielen nicht nur vorproduzierte Stücke, sondern nutzen die Sampler, um live die Partys zu rocken.

Im Laufe des Films äußern sich einige kritisch über den Ausverkauf der Musik. Immer mehr verschieben sich die Bilder der Partys von kleinen nachbarschaftlichen Festen hin zu großen Feiern in Clubs mit Werbeplakaten und professionellen Angestellten. Auch der Unterschied zwischen Künstler*innen und Publikum wird nun deutlich, symbolisiert gewissermaßen den Siegeszug des Funk aus den Favelas heraus. Auch in den Bildern von den Partys ist die familiäre Atmosphäre nun verschwunden.

Der Film funktioniert wie eine Oral History: viele kleine Geschichten unterschiedlicher Künstler*innen. Das ist die Stärke, gleichzeitig größte Schwäche des Films. Nicht immer ist klar, wer gerade spricht, welche Rolle die Person in der Funkszene hat oder wie die Geschichten zusammenhängen. Erst im Abspann werden den Gesichtern zum Teil Namen zugeordnet.

Im Film „A Batalha do Passinho“ richtet sich der Blick auf den Tanz, der zum Funk performt wird. Vier Jahre nach „Favela on Blast“ ist der Film erschienen und zeigt gewissermaßen die nächste Generation an technischen Möglichkeiten. Schließlich ermöglicht YouTube den brasilianischen Kids, ihre Dance Moves einem großen Publikum zu zeigen. „Man kannte mich zwar in Rio, aber ich wurde erst durch YouTube zum richtigen Hit“, erzählt Tänzer Cebolinha. Seinen Tanzstil hat er auf den Bailes gelernt. Oftmals treten die Kids gegeneinander an, inmitten einer Crowd, wie beim Breakdance. Zum Teil verabreden sich die Kids zu einem Duell, manchmal entstehen die Battles aber auch spontan, wenn sich ein Tänzer von einem besonders auffälligen Tanzstil herausgefordert fühlt. Beim Passinho geht es aber nicht nur um akrobatische Leistungen: Besonders wichtig sind eigener Stil und möglichst schnelle Beinbewegungen. Auch Kleidung und Attitüde spielen eine große Rolle.

Doch hat der Fame bei YouTube auch seine Schattenseiten. „Einen Monat nach dem YouTube-Video haben viele Kids meine Bewegungen nachgemacht“, beklagt sich Cebolinha. Passinho bedeutet so viel wie „kleiner Schritt“ und passt mit seinen Bewegungen zu den stakkatoartigen Drums im Funk. Aus heutiger Sicht liegt der Vergleich zu Tanzperformances in Tiktok-Clips nahe: Die Kids üben kurze Performances und bewerten sich danach gegenseitig.

Im Film werden verschiedene Szenegrößen begleitet, wie Cebolinho oder Dancy. Auf den Online-Hype um die Tänze wurden auch Veranstalter wie Nike aufmerksam, der in der Doku erzählt, wie verwundert er die Events wahrgenommen hat. Kurze Zeit später wird der erste große Wettbewerb organisiert. Danach kommt es auch zu Übertragungen im Fernsehen. Dafür muss einer der Tänzer seinen Job hinschmeißen, weil sein Chef ihm nicht freigibt. Reich wird er durch das Tanzen leider trotzdem nicht.

Obwohl viele Frauen in den Battles aufeinandertreffen und auch in den Tanzsequenzen auftauchen, ist auffällig, dass in „A Batalha do Passinho“ mit der Ausnahme von Leandra Perfects alle Protagonisten des Films Männer sind. Die Tänzerin erzählt dabei, dass viele der Mädels sich den besten Tänzer aussuchen. Die Tänzer geben zu, dass es beim Tanzen vor allem darum geht, möglichst viele Chicks abzubekommen. Verglichen mit den harten Textstellen aus den Raps im Film „Favela on Blast“ klingen die Jungs aber höchstens wie harmlose freche Teenager.

Und so vergisst die Zuschauer*in fast den harten Alltag in der Favela. Das Leben der Kids scheint zum großen Teil aus Tänzen und Spaß zu bestehen. Diese Wahrnehmung ändert sich jedoch, als wir vom Tod von Gambá erfahren. Gleichzeitig zu den Dreharbeiten des Films wurde Gambá ermordet. Auch ein Tanz zu seinen Ehren wird in der Doku begleitet. „Er war wohl der wichtigste Tänzer im Passinho“, zollt ihm Cebolinha Respekt. „In der Favela war er sicher. Erst als er sie verlassen hat, wurde er zusammengeschlagen.“ Eine Filmsequenz zeigt, wie ein Bus dem schwer verletzten Gambá die Tür nicht öffnet. „Wenn der Fahrer ihn nicht wie einen schwarzen Jungen aus der Favela behandelt hätte, würde er noch leben“, erklärt Julio Ludemir, Veranstalter des großen Wettbewerbs „Batalha do Passinho“.

Anders als in „Favela on Blast“ fällt hier auf, dass die Protagonist*innen sehr jung sind. Beide Filme leben von den Bildern und der Authentizität. Während „Favela on Blast“ vor allem eine Stimmung erzeugt und immer wieder neue Favelas besucht, leiten einen die stets gleichen Stimmen in der Tanz-Doku durch das Geschehen. Das macht es etwas einfacher zu folgen. Ungefähr die Hälfte des Films besteht aus Tanzsequenzen, immer unterlegt von Funk. Beide Filme ermöglichen ein Eintauchen in die Funkszene der Favelas. Verglichen mit den wilden Geschichten, die in den Musikstücken erzählt werden, sind die Filme aber eher ruhig.

„Favela On Blast“ (Official Documentary) - YouTube

„A Batalha do Passinho“ - YouTube