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Sie ernähren die Städte Perus

Die traditionelle kleinbäuerliche Landwirtschaft produziert die meisten Lebensmittel und bewahrt die Vielfalt der Agrarkultur

Die andine Landwirtschaft zeichnet sich dadurch aus, dass sie ohne künstliche Bewässerung und überwiegend in Hanglagen von kleinen und kleinsten Familienbetrieben getragen wird. Diese bewahren die Vielfalt und Variabilität der einheimischen Kartoffeln, weil sie auf der Grundlage einer Weltanschauung leben und arbeiten, die Vielfalt hervorbringt. Mischsaat in kleinen und verstreuten Anbauparzellen und zu verschiedenen Zeiten macht es möglich, dass die andinen Kleinbauern und -bäuerinnen trotz der Auswirkungen des Klimawandels den Großteil der Bevölkerung Perus ausreichend mit Nahrungsmitteln versorgen. Trotzdem war und ist die Landwirtschaftspolitik jeder Regierung darauf ausgerichtet, die mittleren und großen Agrarunternehmen zu fördern, die in erster Linie für die industrielle Weiterverarbeitung und den Export produzieren.

Julio Valladolid Rivera

Peru, Bolivien und Ecuador liegen in der tropischen Zone der Erde. Eine Hochgebirgskette, die Anden, deren Gipfel (noch) mit ewigem Schnee sind, bewirkt, dass mehr als 80 Prozent aller Vegetationszonen, die es weltweit gibt, hier zu finden sind. In diesen vielfältigen Ökosystemen entstanden vor mehr als 10 000 Jahren Agrikulturen, die eine reiche Artenvielfalt von Pflanzen und Tieren und auch von Nahrungspflanzen beherbergen. Auf dem Altiplano, der auf rund 4000 Metern gelegenen Hochebene zwischen Peru und Bolivien, wurde die große Mehrheit der acht Arten von Kartoffeln aus Wildpflanzen gezüchtet. Sie bilden die Basis der über 4000 Sorten einheimischer Kulturkartoffeln, die bis heute mit Liebe von den bäuerlichen Familien angebaut werden. Ihr von Generation zu Generation überliefertes Wissen über die Aufzucht hat nicht nur die Erhaltung der Sortenvielfalt, sondern auch ihre kontinuierliche Vermehrung ermöglicht.

Peru hat ein sehr variables Klima, mit einer alljährlichen Trocken- und einer Regenperiode, sodass die Kulturpflanzen wechselhaften Wetterbedingungen mit Dürren und/oder überschüssigen Regenfällen ausgesetzt sind. Hinzu kommen immer wieder Fröste, Hagelstürme und Orkanböen, deren Häufigkeit und Intensität durch die Auswirkungen des Klimawandels noch zugenommen haben. Das Andengebirge bedingt auch, dass die Landwirtschaft in großem Umfang an den Hängen der Berge betrieben wird (60 Prozent der Anbaufläche sind Hanglagen), die für Bewässerungskanäle nur schwer erreichbar sind. Daher sind 70 Prozent der peruanischen Landwirtschaft regengespeist.

Unter diesen Bedingungen eines sehr zerklüfteten Bodenreliefs und einer hohen klimatischen Variabilität, auch gezeichnet von Phasen der Klimaerwärmung, wie wir sie heute erleben, und Klimaabkühlung, fanden die ursprünglichen Völker und Kulturen einen Weg, ihre kleinen Parzellen, Chacras genannt, auf der Basis von Nahrungspflanzen zu bewirtschaften, die an diese Klimawechsel angepasst waren. Bis heute wird diese Art der Landwirtschaft von bäuerlichen Familien, die verschiedene Pflanzen anbauen und Tiere halten, praktiziert.

Wer sind diese Bauern und Bäuerinnen, wo leben sie und warum sind sie bei der Nahrungsmittelversorgung der peruanischen Bevölkerungsmehrheit so wichtig? Laut der letzten nationalen Landwirtschaftszählung von 2012 praktizieren 97 Prozent aller Bauern und Bäuerinnen im Land die sogenannte Familienlandwirtschaft und nur drei Prozent sind mittlere oder große landwirtschaftliche Unternehmen. 88 Prozent der Kleinproduzent*innen mit weniger als zwei Hektar Land sind Familien, die meist in einer der 6300 bäuerlichen Gemeinden in den Anden leben und die Vielfalt der einheimischen Kartoffeln zwischen 3000 und 4000 Metern über dem Meeresspiegel anbauen.

Aus Berechnungen der Volkszählungen bis 2019 ergibt sich, dass diejenigen, die 90 Prozent der 330 000 Hektar Kartoffelanbaufläche bewirtschaften, als arm eingestuft werden müssen. Sie produzieren das, was ihre Familien essen, und verkaufen, was übrigbleibt. Was eine einzelne Familie auf den lokalen Markt bringt, ist wenig, aber da sie 88 Prozent aller Bauern und Bäuerinnen in Peru ausmachen, ist die Gesamtmenge der von ihnen erzeugten Lebensmittel – neben Kartoffeln vor allem stärkehaltiger Mais, die beiden Grundnahrungsmittel der armen Familien im Land – ziemlich groß. Die Kleinbauern und -bäuerinnen in den Anden produzieren 70 Prozent der Nahrungsmittel derer, die in den großen Städten des Landes leben. Das Hauptanliegen der großen landwirtschaftlichen Betriebe dagegen ist nicht die Ernährung der peruanischen Bevölkerung, sondern der Export. Die verschiedenen Sorten einheimischer Kartoffeln werden also von Kleinbauern und -bäuerinnen produziert, die als arm eingestuft werden, und diese Kartoffeln werden auch zu einem ganz überwiegenden Teil von den ärmsten Menschen in den Städten verzehrt, von denen viele in den Armen- und Elendsvierteln leben.

Was ist es, was die unter prekären Bedingungen lebenden Bauern und Bäuerinnen dazu bringt, die reiche Vielfalt an Kartoffeln in ihren kleinen und verstreuten Chacras zu erhalten und zu vermehren? Warum steigen sie nicht auf die von den großen Saatgutfirmen propagierten Hochleistungssorten um, die höheren Ertrag versprechen? Es ist ihre Art der Lebensführung, deren grundlegendes Merkmal es ist, eine Vielfalt von Pflanzen und Tieren aufzuziehen und dabei die Landschaft oder Natur zu schützen, die auch wilde Pflanzen und Tiere beherbergt, die ihnen nicht nur zur Vorhersage des Wetters, sondern auch als Quelle von Arzneimitteln zur Heilung ihrer Beschwerden dienen. In den hohen Anden bedeutet die Aussaat von Mischungen verschiedener Saatgutarten und -sorten in jeder Chacra, die Fortführung ihrer Lebensweise in der Gemeinschaft zu sichern.

Diese Lebensweise entspringt einer andinen Weltsicht, also einer Art, die Natur wahrzunehmen und mit ihr in Beziehung zu treten. Für die bäuerlichen Familien ist alles, was sie umgibt, also die ganze Landschaft oder Natur, lebendig, und nicht nur das, sondern alle, die sie ausmachen, sind wie Personen, die sich wie Menschen hungrig, durstig, glücklich, traurig oder müde fühlen und krank werden können. Weiterhin betrachten sie alle diese Wesen auch als Mitglieder ihrer Familie oder Gemeinschaft, sie sind ihre Verwandten. Im Valle del Mantaro beispielsweise nennen die Familien der ländlichen Gemeinschaft von Pucará die gemeinschaftlich angebaute Kartoffel „Acshru Tatay“ (Vater Kartoffel). Sie empfinden für ihn die gleiche Zuneigung wie Kinder für ihren leiblichen Vater. Während des zweiten Anhäufelns der Kartoffeln tanzen sie in den Chacras die Huaylas, Fruchtbarkeitstänze (vgl. dazu den Beitrag „Tanzen bis zum Umfallen“), um die Kartoffelpflanzen aufzumuntern, die zu dieser Zeit in voller Blüte stehen, damit auch sie glücklich sind und gut produzieren. Diese familiäre Zuneigung sorgt dafür, dass die Vielfalt der Kartoffeln erhalten bleibt.

Um unter den Bedingungen des Trockenfeldbaus, also ohne Bewässerung, anzubauen, schauen sie auf die sogenannten „Zeichen“, um das Wetter vorherzusagen. Um zu wissen, ob das landwirtschaftliche Jahr regnerisch oder regenarm sein wird, beobachten sie die mehr oder weniger ausgeprägte Blüte bestimmter Wildpflanzen und die Veränderung der Hautfarbe von Kröten und Schlangen. Sie hören auf den Gesang bestimmter Vögel, sie beobachten auch die mehr oder weniger starke Helligkeit der Sterne. In einer von Regen abhängigen Landwirtschaft sind diese Informationen sehr wichtig. Auch praktizieren sie das, was sie „Geheimnisse“ nennen, damit der Anbau guten Ertrag bringt. In der andinen Landwirtschaft gibt es tausende von Zeichen und Geheimnissen. Eines dieser Geheimnisse ist zum Beispiel bei Neumond, auf Quechua wañu, nicht zu säen oder andere landwirtschaftliche Praktiken wie Anhäufeln, Ernten usw. auszuführen, weil der Anbau sonst nicht gelingt.

Indem sie auf Zeichen achten, „Geheimnisse“ praktizieren und vor allem ihre Zuneigung und ihren Respekt für die Natur oder Pachamama, die Mutter Erde, leben, was wir heute Rituale nennen, erhalten sie die Nahrungsversorgung für alle, nicht nur für die Menschen, sondern auch für Tiere und Pflanzen, Seen, Flüsse, Mond, Sonne, die auch „Personen“ sind, die essen müssen. Dies ist der Hauptunterschied zwischen dem Konzept der ausreichenden Nahrung für alle (Natur, Menschen), auf Quechua mana pisicuy, und der Nahrungssicherheit, die nur einen anthropozentrischen Ansatz hat, also allein die Menschen in den Mittelpunkt stellt.

Die andine Strategie zur Ernährungssicherung im Kontext unterschiedlicher, teilweise extremer Wettereinflüsse, die durch den Klimawandel noch verstärkt werden, ist die Aufteilung der Risiken durch unterschiedliche Aussaatzeiten und den Anbau verschiedener Sorten auf Feldern, in denen die meteorologischen Risiken unterschiedlich gestreut sind. Wie bereits erwähnt, liegen die verschiedenen von der Gemeinschaft bewirtschafteten Felder in unterschiedlicher Höhe. Innerhalb einer Gemeinde kann es Höhenunterschiede von mehreren hundert Metern geben. So hat dieselbe Familie zum Beispiel in der mittleren Zone der Gemeinde vier (kleine oder sehr kleine) Parzellen, um Mischungen verschiedener Kartoffelsorten und anderer andiner Knollen anzubauen, die reich an Kohlehydraten sind; und in der unteren Zone hat sie weitere vier Parzellen mit einer Mischung von Maissorten und andinen Körnern bepflanzt, die reich an Proteinen sind, weil die Familien nicht nur Kartoffeln, sondern auch andine Körner für ihre abwechslungsreiche, nahrhafte und gesunde Ernährung kultivieren.

Die einzelnen Stücke werden mit der gleichen Mischung bepflanzt, und zwar zu vier Pflanzzeitpunkten: sehr früh, früh, mittel und spät; außerdem ist jede Chacra verstreut in der entsprechenden Zone. Wenn ein Frost oder ein Hagelsturm auftritt, wird es einige Flächen treffen, aber nicht alle, und selbst die betroffenen werden sich wieder erholen, denn in jeder Mischsaat gibt es Sorten, die gegen Trockenheit resistent sind, und andere, die viel Regen ertragen, so dass die Familien auf diese Weise immer etwas ernten und Nahrung für das ganze Ayllu (die Gemeinschaft) erzeugen. Eine Tradition in den Ayllus ist die Bewirtschaftung der Felder durch die gegenseitige Hilfe (Ayni) zwischen den Familien der Gemeinschaft. Nur so ist es möglich, diese Art von Landwirtschaft zu betreiben.
Diese Weisheit, die uns seit Tausenden von Jahren ermöglicht hat, ausreichend Nahrung für alle zu haben, wird bis heute von den Regierungen und Behörden auf allen Ebenen (Bürgermeister*innen, Gouverneure und Gouverneurinnen der Provinzen und alle nationalen Regierungen der letzten 200 Jahre seit unserer Unabhängigkeit) nicht gesehen und anerkannt. Auch ihre „Expert*innen“ sind nur daran interessiert, Bauern und Bäuerinnen für die Umsetzung von Vorschlägen zu schulen, die deren Weltanschauung fremd sind, wie zum Beispiel Wertschöpfungsketten, Kartoffelparks, Marktstudien. Sie sollen „modern“ produzieren, ihre Lebenserfahrung, ihre Produktionsweise und ihr reiches Wissen werden als minderwertig abqualifiziert, sie werden als Menschen und bäuerliche Produzent*innen letztlich nicht ernst genommen.

In Peru zwingen uns der Klimawandel und nun auch die Pandemie dazu, das überlieferte Wissen der Jahrtausende alten Anden-Amazonen-Kulturen als Quelle innovativer Alternativen zu betrachten. Es ist notwendig, den Respekt vor allen (der Natur, den Menschen und den spirituellen Traditionen) und die gegenseitige Solidarität zu bewahren. Es gilt, diejenigen wertzuschätzen und zu stärken, die mit ihren kleinen Höfen ihr Überleben und das der Armen in den großen Städten des Landes sichern. Denn die andinen Kleinbauen und -bäuerinnen und die städtischen Armen bilden die Mehrheit der Bevölkerung Perus.

Julio Valladolid Rivera ist Agrarwissenschaftler und arbeitet bei der peruanischen Nichtregierungsorganisation Pratec: https://pratec.org/wpress/. Übersetzung: Valentina Wolf