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Das Porträt eines Pechvogels

Interview mit Ariel Magnus, dessen Roman über Adolf Eichmann „El desafortunado“ nun auch auf Deutsch erscheint

Der 1975 in Buenos Aires geborene Ariel Magnus gehört seit vielen Jahren zu den bekanntesten argentinischen Autoren. Seine Romane „Der Chinese auf dem Fahrrad“, „Zwei Unterhosen der Marke Hering“ oder „Die Schachspieler von Buenos Aires“ fanden auch in Deutschland ihr Publikum und wurden von der Kritik gelobt. Magnus, der einen deutsch-jüdischen Hintergrund hat, studierte von 1999 bis 2005 in Heidelberg und Berlin. Mitte August wird sein jüngster Roman „Das zweite Leben des Adolf Eichmann“ in deutscher Übersetzung erscheinen. Über dieses Buch sprach Patrick Eser mit dem Autor, der derzeit für ein Jahr als „Metropolenschreiber Ruhr“ in Mülheim arbeitet und lebt.

Patrick Eser

Ich möchte beginnen mit der Frage nach dem Titel des spanischen Originals: „El desafortunado“, der Pechvogel. Wie kamst du darauf und warum legst du den Schwerpunkt auf den Aspekt des unglücklichen Eichmann? Ist das ironisch gemeint oder eher gar zentraler Punkt deiner Eichmann-Skizze?

Eichmann bezeichnet sich selbst als Pechvogel. Er ist immer auf der Suche nach Ausreden für sein Handeln, führt alle möglichen Umstände auf, um Schuld von sich zu weisen. In seiner Perspektive ist er ein Opfer, das in seinem Scheitern dennoch Recht behielt. Er beklagt, dass er falschen Anweisungen folgen musste. Hitlers Entscheidung, Russland zu überfallen, sei ein Fehler gewesen. So nimmt er die Vergangenheit des Nationalsozialismus wahr und weist stets die Schuld von sich. Er behauptet nicht, dass er von nichts gewusst hätte oder nicht dabei gewesen wäre. Nein, er war dabei, und bekräftigt auch, was er gemacht hat, denn er habe es aus Idealismus gemacht. Seine Prämissen seien richtig gewesen und werden von ihm auch nach 1945 nicht revidiert. Deutsche und Juden könnten nicht zusammenleben, diese Annahme wird von ihm nicht in Frage gestellt. „Die Zionisten hätten das genauso gesehen, wieso wollten sie sonst nach Israel? Sie mussten raus und wir wollten ihnen helfen“, so stellt sich das für Eichmann in Argentinien dar.

Im Roman vermischen sich faktuale wie fiktionale Elemente. Der große Anteil recherchierter Informationen über das Leben Eichmanns geht mit der Fiktionalisierung des Protagonisten und seines Innenlebens einher, im Nachwort kommen zudem noch Momente von Autofiktion (in dem du wiederum deinen persönlichen Bezug zu der Geschichte herstellst) hinzu. Welcher Stellenwert kommt der subjektiven Perspektive des Protagonisten Eichmann zu?

Es war mein zentraler Anspruch, Eichmanns Sicht der Dinge zu rekonstruieren. Es gibt die Berichte der Entführer und zahlreiche Biografien, aber dass sein Innenleben fiktionalisiert wird, ist neu. Nun könnte man einwenden: Was interessiert uns die Binnensicht eines Massenmörders? Doch meine Idee war, dass, wenn ich nicht die Anstrengung machte, seine Perspektive anzunehmen, ich die Geschichte nicht in ihrer Totalität verstehen würde. Auch nicht, warum er tatsächlich geschnappt wurde. Nur, wenn man sich in ihn hineinversetzt und nachvollzieht, wie er in Argentinien ankommt, wie er beginnt, sich dort zu Hause zu fühlen, seine Familie nachkommen lässt, nur dann lässt sich auch der Ausgang seiner Geschichte verstehen. Hinzu kommt, dass er dort ganz viele Nazikameraden hatte. Eine Clique, deren Mitglieder so lebten, als wäre es 1932, als wäre „die jüdische Frage“ noch offen, als wäre nichts passiert. Ihre Idee war: „Ja, wir können es wieder versuchen und dieses Mal besser machen.“ Nur so, glaube ich, versteht man, wie Eichmann sich in diese Fantasie einleben konnte, dass er keine Schuld habe, dass es nur Pech gewesen sei, dass er nun mal diese Anweisung erhalten hätte. Es sei nicht alles menschlich, aber es sei die einzige Lösung gewesen. Diese Idee ist ihm sehr wichtig. Sie hätten alles versucht, das Problem anders zu lösen, aber es klappte nicht, die anderen Länder wollten die Juden ja auch nicht haben, also mussten sie es so machen. Diese permanente Zurückweisung von Schuld führte mich zu einem zentralen Aspekt des Romans, den ich, wie ich hoffe, subtil dargelegt habe: dass er sich schnappen ließ. Dass er bewusst mit dem Feuer gespielt hat, dass er doch zurück in die Welt wollte, zurück ins Lampenlicht, um seine Wahrheit kundzutun. Er war einst eine Person, die die Geschicke des Weltgeschehens mitbestimmt hat, und nun züchtete er Kaninchen in Argentinien. Ja, da kann man schon ziemlich depressiv werden. Das verstehst du nur, wenn du dich in ihn reinfühlst, in ihn reindenkst. Was freilich ein fürchterliches Erlebnis ist.

Du hast dich durch eine lange Liste von Quellen und Dokumentationen über Eichmann gearbeitet. Ist es dir schwergefallen, dich für ein spezifisches Eichmann-Bild zu entscheiden? Bettina Stangneths Darstellung in „Eichmann vor Jerusalem“ (2011), in der sie Eichmanns Zeit in Argentinien darlegt und ein Bild von ihm als perfiden Lügner zeichnet, steht unter anderem neben Hannah Arendts Interpretation aus „Eichmann in Jerusalem“(1963, dt. 1964), in der die Banalität Eichmanns, ja die Banalität des Bösen hervorgehoben wird. Zum Ende des Romans malst du aus, wie Eichmann, auf dem Weg mit seinem Kidnappern zum Flughafen in Buenos Aires, sich schon seine Verteidigungsstrategie durch den Kopf gehen lässt – nämlich einen Roboter zu mimen, der sich als Teil einer größeren Maschinerie präsentiert – und sich vornimmt, diese Roboterrolle stolz zu spielen.

Ich wollte alles, das ganze Leben Eichmanns aus seinem Blickwinkel erzählen. Die Roboter-Anekdote, auf die du anspielst, gibt Harry Mulisch in seinem Eichmann-Buch („Strafsache 40/61“, 1962, dt. 1963) wieder. Wer das gelesen hat, muss sich fragen, wie hat sich Eichmann das in dieser Situation vorstellen können. Das war die Herausforderung: Wie erzähle ich das, was er eigentlich nicht wissen kann? Denn für mich war schon wichtig, dass die ganze Information im Roman enthalten ist. Wer nichts oder wenig über Eichmann weiß, soll alles mitbekommen.

Nach welchen Kriterien hast du aus der Fülle von Facetten, Darstellungen und auch Interpretationen ausgewählt, wenn wir nur einmal an die Darstellung bei Stangneth und Arendt denken?

Arendt habe ich mit Vergnügen gelesen, aber davon ist nicht viel in die Romangestaltung eingegangen. Das Buch von Stangneth war jedoch sehr inspirierend, hier habe ich begriffen, dass man Eichmann nicht verstehen kann, wenn man seine argentinischen Jahre nicht unter die Lupe nimmt; also zu verstehen, warum er geschnappt wurde und was er in Jerusalem gemacht hat. Ich habe gelesen, was er geschrieben hat – und er hat viel geschrieben! –, und die Interviews mit ihm vor Jerusalem. Denn in Jerusalem und im Gerichtssaal, da war er nicht mehr der, der mich interessierte. Es war eine schreckliche Arbeit, monatelang das zu lesen. Ich hatte Alpträume zu dieser Zeit und fühlte mich ständig schlecht. Es war wirklich schlimm. Aber als ich fertig war und anfing zu schreiben, da war er auf einmal da. Ich hatte ihn durch seine Schriften kennengelernt und wusste, was ich machen wollte, ohne viel zu überlegen. Ich ging los durch Buenos Aires und sah ihn, wie er sich dort in den 1950er-Jahren bewegte, ich sah die Welt durch seine Augen. Und dann ging das Schreiben relativ locker. Das machte mir auch Angst, weil ich dachte, wie kannst du dich so sehr in einen Typen wie Eichmann reinleben? Die Vorbereitung war schlimm, aber das Schreiben selbst war interessant. Ich musste nicht lange überlegen, was er wohl in dieser oder jener Situation gedacht hat. Ich wusste es schon.

Die Figurenzeichnung ist wirklich sehr detailliert, sie erfolgt aus einer sehr großen Nähe und weist Züge eines Psychogramms auf. Eichmann wird dort auch als schwache Persönlichkeit gezeigt, der es sehr wichtig ist, was andere über sie denken; auf der anderen Seite wird die Psychopathologie seines Alltags beleuchtet, sein spezifisches Leiden und das „Trauma des Täters“ sozusagen, dem die Bilder der Ermordeten wieder hochkommen.

Ja, er kann ein Massenmörder sein und trotzdem leiden. Er ist ja immer noch ein Mensch. Wenn wir ihn nicht als Mensch wahrnehmen, werden wir ihn nie verstehen. Er ist ein monströser, ein schrecklicher Mensch, aber ein Mensch. Er hat selbst geschrieben, dass ihn die Bilder aus den KZ immer wieder eingeholt haben und dass das sehr schlimm für ihn war. Er erzählte auch, dass er Blut und die Gewalt nicht ansehen konnte und dass er sich dem Alkohol hingeben musste, wenn er Zeuge von gewalttätigen Szenen geworden war. Das hat er geschrieben, man kann ihm das ruhig glauben und kann ihn trotzdem hassen. Also nichts im Roman zielt auf Versöhnung, sondern auf Verstehen. Die Verachtung und der Hass gegen Eichmann und seinesgleichen bleiben trotz aller Einfühlung unberührt.

Welche Rolle spielten für dich die aktuellen Tendenzen in den Gegenwartsliteraturen, sich mit den Tätern von Menschenrechtsverbrechen auseinanderzusetzen? Es ist ja in vergleichender Perspektive zu beobachten, dass nach Epochen massiver politischer Gewalt- und Unrechtserfahrungen zunächst die Opferperspektiven literarisch ausgeleuchtet wurden. Wie situierst du deine literarische Täterforschung, die du an der Grenze zwischen dem Dokumentarischen und Fiktionalen betreibst, vor dem Hintergrund des späten Entdeckens der Täterperspektiven in der Literatur – für das mit Blick auf den NS der Roman von Jonathan Littell, der die Binnenperspektive eines SS-Mannes in den Fokus stellt („Die Wohlgesinnten“, 2006, dt. 2008), wegweisend war?

Man kommt zu den Themen, weil sie als Themen da sind. Es liegt ja in der Luft. Es gibt dieses Buch von Olivier Guez über Mengele („Das Verschwinden des Josef Mengele“, 2017, dt. 2018), das als Roman verkauft wird, wobei ich das Romanhafte darin nicht so sehr sehe. Meine Idee war, zu zeigen, dass der Roman und die Fiktion ihren Beitrag zur Aufklärung über diese Täterfigur leisten können. Zum Fall Eichmann gibt es zahlreiche Biografien, Essays, Geschichtsbücher etc. Ich wollte es mit der Fiktion versuchen. Nur sie kann – wenn sie auf wahren Begebenheiten basiert und gut recherchiert ist – manche Orte und dunkle Ecken beleuchten. Sie kann dort weitergehen, wo die Biografie an ihre Grenzen stößt, obwohl sie vielleicht die gleichen Informationen vermittelt wie die Fiktion. Bei einer Biografie bleibst du trotz aller Informationsfülle immer draußen, hast den Gegenstand nur von außen gesehen und nie die nötige Empathie entwickelt, die dir ein tieferes Verständnis einer Person in einer bestimmten Situation ermöglicht. Es gibt Figuren von Psychopathen wie Mengele, die mit eigenen Händen getötet oder lustvoll gequält haben, mit denen hätte ich das nicht machen können oder wollen. Aber eine graue Figur wie Eichmann, ein Typ, der Millionen Menschen in den Tod geschickt, aber keinen einzigen selbst getötet hat (zumindest wissen wir das nicht) – dem kann ich schon näher sein auf irgendeine Art. Auf so einen mittelmäßigen Menschen und Psychopathen seiner Art konnte ich mich einlassen, und es macht auch Sinn, über seine Weise, mit dem eigenen Verbrechen umzugehen, nachzudenken.

Du hattest erwähnt, was die Auseinandersetzung mit einer solch verbrecherischen Figur wie Eichmann mit dir gemacht hat. Wie würdest du das normative Element deiner Auseinandersetzung mit diesem „extremen Stoff“ und des auf ihn bezogenen einfühlenden Schreibens einschätzen? Diese Frage stelle ich auch vor dem Hintergrund der Leidensgeschichte in deiner Familie, der Geschichte deiner Großmutter, die Auschwitz überlebt hat, aber auch vor dem Hintergrund der Mandate der Erinnerung, von denen du im Nachwort sprichst, in dem du die Figur deines Vaters einführst, der den Rahmen absteckt, wie die Auseinandersetzung mit einem Verbrecher wie Eichmann auszusehen habe. Wie hast du diese emotionale Spannung ausgehalten und dein eigenes Bedürfnis nach Abrechnung einfließen lassen?

Wie ich schon erwähnt habe, war die Vorarbeit am Roman schrecklich, und als ich dann später ins Schreiben kam, habe ich mich immer wieder gefragt: Musst du dieses Thema bearbeiten? Es war scheußlich, aber immer wieder habe ich gemerkt, dass es doch Sinn ergibt. Auch aus persönlichen Gründen, weil ich mich mit dem Thema nicht so viel beschäftigt habe. Meine Großmutter hat Auschwitz überlebt, insofern war das Thema präsent in meiner Familie. Ich habe es von Geburt an zuhause gehört. Ich bin Teil dieser Geschichte und dachte, ich müsste sie deswegen kennen. Aber es war ein Irrtum zu denken, dass ich, weil mir meine Großmutter Dinge aus ihrer Lebenserfahrung erzählt hat, irgendetwas von der Geschichte wüsste – oder gar vom Nationalsozialismus. Insofern war es für mich persönlich interessant und wichtig, mich mit dieser Geschichte auseinanderzusetzen.

Dieses vermeintlich Masochistische deines Unterfangens geht einher mit dem Versuch, die eigene emotionale Einstellung dem Gegenstand gegenüber auszudrücken. Im Nachwort sprichst du vom Hass und von der Verachtung Eichmann gegenüber. Hatte das Schreiben für dich etwas Befreiendes, etwas Kathartisches, ein Moment von Genugtuung oder gar Rache?

Ich hatte Eichmann im Griff, das habe ich wirklich beim Schreiben gemerkt. Teile des Nachworts sind natürlich Fiktion, das hat mein Vater nicht alles so gesagt. Es war mir aber wichtig, dass hier ein Jude explizit die Stimme erhebt und diese in der Fiktion präsent ist. Ich stelle mir vor, dass Eichmann sich das nicht gewünscht hätte. Dieser Gedanke macht mir Freude. Also eher sadistisch als masochistisch (lacht).

In diese Richtung wäre dann auch dein Humor zu verstehen, der ins beißend-sarkastische geht. Es gibt im Roman Passagen, die Wortspiele oder Vergleiche benutzen, die zunächst schockierend sind. Zum Beispiel die Stelle, an der in der Wahrnehmung Eichmanns der Rauch einer Parrilla (Grill) mit dem der KZ-Öfen assoziiert wird. Stehen diese Wort- und Gedankenspiele und dein sarkastischer Ton in Verbindung mit dem Vorhaben, Eichmanns „schlechtes Denken“ zu bekämpfen?

So einen sarkastischen Humor hatten die Nazis und haben die Neonazis, ein schrecklicher Humor. So haben sie gesprochen und auch gedacht. Ich mag sehr gerne Wortspiele und binde diese in meine Romane mit ein. Ich habe nicht häufig die Gelegenheit, dies aus der Perspektive eines Nazis in Argentinien zu machen. Und diese Möglichkeit wollte ich natürlich nutzen. Auch war es mir wichtig, darzustellen, was Eichmann über den Peronismus denkt.

Nun ist ein Schlüsselwort, der Peronismus, gefallen. Über die (vermeintliche) Nähe des Peronismus zum Faschismus oder gar zum Nationalsozialismus wird immer wieder polemisch diskutiert. Manche sehen die Nähe dadurch belegt, dass Perón tausende Nazi-Kriegsverbrecher in Argentinien wissentlich hat untertauchen lassen – so die These in Uki Goñis Buch „Odessa. Die wahre Geschichte“ (2002, dt. 2006). Hat dein Roman in Argentinien, weil er dieses heikle Thema – Perón tritt ja im Roman bei einem Treffen mit zahlreichen untergetauchten Nazis in Tucumán auf – einführt, über das gewisse politische Spektren in Argentinien bevorzugen nicht zu sprechen, polemische Reaktionen hervorgerufen?

Die Frage, was Eichmann über den Peronismus denkt, ist für mich wichtig. Mir hat sich diese Frage im Laufe des Schreibens eröffnet, und ich habe sie nun aus der Sicht eines wirklichen Nazis behandeln können. Ich habe mich gefragt: Was würde Eichmann denken? – und gebe darauf eine ziemlich konkrete Antwort. Perón kann kein Nazi gewesen sein, weil er kein Antisemit war. Kein wirklicher Nazi würde Perón als echten Nazi anerkennen, auch wenn er politisch ein Freund gewesen sein mag und die exilierten Nazis ihm viel zu verdanken hatten, weil er auch mit Juden zusammengearbeitet und mehrere Dinge für die jüdische Gemeinde gemacht hat. Das geht nicht. In diesem Sinne half mir Eichmann, diese ewige Frage endlich zu beantworten. Und wer könnte die Frage besser beantworten als Eichmann. Solche Horizonte eröffnen sich, wenn du dich in die Figuren wirklich hineinversetzt und nicht nur eine Perspektive von außen einnimmst.

Welche Erwartungen hast du nun mit Blick auf die deutsche Übersetzung? Was denkst du, wo sie möglicherweise zu Missverständnissen führen, oder worin sie auch positiv aufgenommen werden könnte – auch vor dem Hintergrund der Tatsache, dass die Auseinandersetzung mit den Verbrechen des NS eine ganz eigene Geschichte (der Verdrängung, des Verschweigens und der späten Konfrontation) durchlaufen und erst in den letzten Dekaden eine recht breite Dynamik entwickelt hat (auch hinsichtlich der Auseinandersetzung um die Person Eichmann und mit dem Eichmann-Prozess). Was sind deine Erwartungen angesichts dieser erinnerungskulturellen Dynamik?

Darüber habe ich nicht so viel nachgedacht, ich habe den Roman ja auch nicht übersetzt. Das hat Silke Kleemann gemacht, eine harte Arbeit auch für sie, denn sie musste sich in Eichmann hineinversetzen. Es gibt einige Stellen, an denen sie wortwörtlich aus Eichmanns Texten zitiert, und zugleich musste sie den Text auch an den Erzähler anpassen, dessen ironischer Ton und Spiel mit der Sprache ja ein wichtiger Aspekt ist.

Welche Rolle spielt für dich der Umstand, dass deine Auseinandersetzung mit einem der Architekten der Endlösung nun in Deutschland, dem Land (der Nachkommen) der Täter der Shoah, erscheint? Einem Land, mit dessen Kultur du ja eng verbunden bist, in dem du viel Zeit verbringst und dich zunehmend auch als deutschsprachiger Autor versuchen willst?

Ich bin auf die Reaktionen sehr gespannt, mehr sogar noch als bei der spanischen Version oder den anderen Übersetzungen. Werden die Leser einsehen, warum so eine tour de force doch nicht umsonst ist? Werden sie, so wie ich, fühlen, dass man in die menschliche Seite eines Massenmörders reinschauen kann, ohne ihn deswegen zu verharmlosen und sich mit ihm versöhnen zu wollen? Eichmann muss nicht als Monster oder Roboter des Bösen, sondern eben als Mensch für alle Ewigkeit verurteilt werden.

Das Interview führte Patrick Eser im Juni 2021. Der Roman „El desafortunado“ erschien 2020 bei Seix Barral (Barcelona/Buenos Aires). „Das zweite Leben des Adolf Eichmann“ erscheint in der Übersetzung von Silke Kleemann am 19. August im Verlag Kiepenheuer & Witsch (220 Seiten, geb., 20 Euro).