ila

Ein kriminelles Netz der Eliten

Interview mit Joseph Berra zum Prozess gegen David Castillo, einen der mutmaßlichen Auftraggeber des Mordes an Berta Cáceres

Im April 2021 begann in Tegucigalpa (Honduras) der Prozess gegen David Castillo, ehemaliger Geschäftsführer des honduranischen Energieunternehmens Desarrollos Energéticos (DESA). Die indigene Menschenrechtsverteidigerin Berta Cáceres hatte sich gemeinsam mit den Gemeinden von Río Blanco gegen den Bau des DESA-Wasserkraftwerkes Agua Zarca gewehrt. Am 2. März 2016 wurde sie in ihrem Haus erschossen. Sieben Auftragsmörder und Mittäter des Mordes an Berta Cáceres und des versuchten Mordes an dem Umweltaktivisten Gustavo Castro wurden 2018 schuldig gesprochen und zu langjährigen Haftstrafen verurteilt. Der bisherige Verlauf des Verfahrens gegen Castillo bringt wichtige Hinweise zur Verfolgung von Berta Cáceres durch DESA-Angestellte und dem Agieren des DESA-Aufsichtsrates unter Führung der mächtigen Bankiersfamilie Atala Zablah. Gegen DESA-Finanzchef Daniel Atala Midence, der als Zeuge vor Gericht aussagen sollte, wird inzwischen auch offiziell ermittelt. Zum aktuellen Prozess sprach Daniela Dreißig Mitte Juni mit Joseph Berra, Mitglied der internationalen Beobachtermission zum Mordfall Berta Cáceres und Direktor des Projektes „Menschenrechte in den Amerikas“ an der Universität von Kalifornien, Los Angeles.

Daniela Dreißig

Was ist das Sichtbarste an diesem Prozess?

Dazu muss ich mit dem ersten Prozess von 2018 beginnen. Damals gab es ein strukturelles Problem, nämlich den Ausschluss der Opfer [die Familie von Cáceres, die als Nebenklägerin auftraten – die Red.] durch einen Rechtsstreit zum Prozess selbst, der dazu führte, dass das Gericht erklärte, dass die Nebenkläger*innen den Fall verlassen hätten. Dies erfolgte weder in Übereinstimmung mit internationalen rechtlichen Standards, noch dem Recht der Opfer, noch dem honduranischem Recht. Die Nebenkläger*innen hatten nicht auf ihre Klage verzichtet, sie haben respektvoll die Zuständigkeit des Gerichts zu diesem Zeitpunkt angefochten. Das Gericht gab jedoch dem Antrag der Staatsanwaltschaft und der Verteidigung nach, die Nebenklage für erledigt zu erklären.

Der aktuelle Prozess ist im Vergleich dazu eine Verbesserung, insbesondere wegen der Beteiligung der Opfer als Neben­kläger*innen. Dies ist nicht ohne den Kampf der Opfer und ihres Anwaltsteams möglich gewesen. Das Gericht hat die von ihnen vorgeschlagenen Beweise zugelassen. Das ist neu für Strafsachen dieser Art, da der Fall komplex ist und mit schweren Menschenrechtsverletzungen einherging.

Im Mordfall Cáceres ist ein Netzwerk von sozialen Akteuren sichtbar, das weit über die Täter hinausgeht, in dem der Angeklagte Teil einer Struktur ist. Es kann sogar von einer neuartigen Form der Kriminalität gesprochen werden, weil es sich um eine kriminelle Struktur innerhalb der Machteliten der honduranischen Gesellschaft handelt.

Die Nebenkläger*innen haben Sachverständige benannt, die zum sozialen und historischen Kontext Berta Cáceres‘ als indigener Frau und des Verbrechens als Beispiel für einen territorialen Femizid Stellung nehmen. Sie weisen auch auf die Position von David Castillo und die Machtverhältnisse im wirtschaftlichen und geschäftlichen Umfeld, einschließlich staatlicher Institutionen, hin.

Was bedeutet territorialer Femizid?

Ich verstehe das Konzept der Sachverständigen Dr. Gladys Tzul so, dass es patriarchale Strukturen gibt, die Gewalt gegen Frauen ungestraft fördern. In diesem Fall übernimmt eine Frau eine Führungsrolle zur Verteidigung des Territoriums. Die patriarchale Gesellschaft will jedoch die Kontrolle und Herrschaft über den weiblichen Körper aufrechterhalten. Tzul analysiert, wie Cáceres beobachtet wurde, damit sie jene Führungsrolle nicht ausübe, die sie [DESA] als Bedrohung empfanden, weil sie eine Frau war und aus der traditionellen Rolle heraustrat. Parallel versucht das Unternehmen, sich das Territorium [mit Unterstützung von staatlichen Sicherheitskräften – die Red.] anzueignen. Der Bruch mit der patriarchalen Kontrolle machte es für das Unternehmen notwendig sie zu eliminieren.

Was die Verantwortung von David Castillo angeht, so stellte die Sachverständige heraus, wie sein Verhalten Muster von Gewalt gegen Frauen auf der eher zwischenmenschlichen Ebene widerspiegelte. Zum einen ist ein Verhalten von Zuneigung sichtbar, zum anderen wendet er im Moment, in dem Cáceres kontrolliert werden muss, Gewalt an. Diese doppelte Dynamik von Annäherung und Gewalt repräsentiert einen Kreislauf der Gewalt gegen Frauen durch Männer. Die Argumentation von Castillos Verteidigung beruht auf der Behauptung, dass Castillo und Berta eine freundschaftliche Beziehung pflegten.

Castillo drückte jedoch seine rassistischen und sexistischen Meinungen in den WhatsApp-Chats in der Agua-Zarca-Sicherheitsgruppe aus. Bertha Zúñiga, die Tochter von Cáceres, sagte im Prozess aus, dass ihre Mutter in Castillo ihre größte Bedrohung sah und dass er die Person war, die sie am meisten fürchtete.

Was sagt das Gutachten von Harald Waxenecker, Sachverständiger der Nebenklage?

Sein Gutachten weist institutionelle unternehmerische Machtstrukturen nach. Man sieht den Wechsel zwischen Legalem und Illegalem. Die Geschäftsleute geben sich den Anschein von Legalität oder Seriosität, sie bekommen finanzielle Mittel und Anerkennung von internationalen Banken. Sie ziehen die Strippen im honduranischen Institutionengefüge, um Konzessionen, Verträge auf korrupte Art und Weise zu erwerben. Im Moment des Widerstandes gegen das illegale Projekt starten sie mit größter Illegalität und Kriminalität durch und antworten mit Aggressionen, Gewalt und sogar mit Mord.

Waxenecker hat durch seine Analyse wissenschaftlich sehr gut erklärt, wie Strukturen des Verbrechens funktionieren. Es gibt eine untere Ebene, die den Mord ausführt, eine mittlere, die alles plant und hilft, es durchzuführen, und eine übergeordnete, die die Entscheidungsgewalt und ein Motiv hat. Dazu stellt sie die Ressourcen, die für das Verbrechen benötigt werden, bereit. Waxenecker wies dies durch Algorithmen über den zeitlichen Gebrauch der Telefone und die Kommunikation der beteiligten Personen nach. Sie sind von Straffreiheit ausgegangen, also dass sie für die Tat nicht zur Verantwortung gezogen würden.

Im mittleren Bereich der Kommunikation ist [der bereits verurteilte] Douglas Bustillo, der bis Juli 2015 DESA-Sicherheitschef war, der jedoch trotz seines Weggangs in der Kommunikation mit allen Akteuren blieb. Zur höheren Struktur gehörte die Exekutive des Unternehmens. Haralds Expertise hilft also, David Castillos Positionierung innerhalb dieser Struktur zu erklären. Die übergeordnete Struktur kommunizierte nicht direkt mit der unteren, von der sie abgeschottet war. Durch die Analyse der sogenannten Knotenpunkte konnte er jedoch die Verbindungen sichtbar machen. Demnach gab es eine fließende Kommunikation zwischen beiden Strukturen und der Knotenpunkt war David Castillo.

Als Castillo bei der nationalen Elektrizitätsgesellschaft (ENEE) arbeitete, war er derjenige, der einen Weg fand, um die Anforderungen der öffentlichen Ausschreibung für Konzessionen zu umgehen. Es wurde ein Standardvertrag geschaffen und DESA gehörte zu den ersten Nutznießern.

Waxeneckers Schlussfolgerungen weisen unter anderem darauf hin, dass die Finanzflüsse mehr Aufschluss zum Mordfall und weiteren Akteuren geben.

Während des Prozesses meldete die niederländische Entwicklungsbank FMO, die sich im Juli 2017 von der Finanzierung von Agua Zarca zurückgezogen hatte, dass sie einen vorgesehenen Kredit über 60 Millionen US-Dollar an die honduranische FICOHSA-Bank, die im Besitz der Familie Atala ist und das Wasserkraftwerk mitfinanzierte, nicht auszahlen wird. Auch die Inter­amerikanische Entwicklungsbank strich kürzlich einen zugesagten Kredit für den Bau eines weiteren illegalen Wasserkraftwerkes in Honduras. Wie ist dies zu werten?

Das sind kleine Siege beziehungsweise Ergebnisse der Widerstände gegen diese Projekte, gegen dieses korrupte und illegale Modell, in dem die Projekte bewilligt und durchgeführt werden.

Die Banken haben noch einen langen Weg vor sich, um ihr Verhalten zu ändern. Sie sind Komplizen. Die sogenannten Entwicklungsprojekte verursachen soziale Konflikte. Neoliberalismus und Extraktivismus befördern in Ländern wie Honduras angesichts der existierenden Machtstrukturen Korruption. Es ist zu hoffen, dass die internationale Gemeinschaft lernt, wie sie wirkliche Entwicklung fördern kann. Sie muss eine andere Praxis an den Tag legen. Es darf nicht zu Verlusten von Menschenleben, zu sozialen Konflikten und Kriminalisierung der Gemeinden kommen, die Widerstand gegen diese Projekte leisten.

Kann das honduranische Justizsystem für Gerechtigkeit für Berta Cáceres sorgen?

Es gibt kein eindeutiges Ja oder Nein. Der Prozess hat einen Riss im System der Straflosigkeit verursacht, durch den ein klein wenig Licht der Wahrheit über das Verbrechen eingedrungen ist. Gerechtigkeit für Berta liegt, falls das passieren sollte, nicht in der Verurteilung von David Castillo. Der Prozess wurde durch den Kampf von uns allen ermöglicht. Jener Riss in dem System, in dem Unternehmen und Politik keine Strafverfolgung befürchten mussten, ist durch das Engagement der Familie von Berta Cáceres, des Rats zivilgesellschaftlicher und indigener Organisationen von Honduras, ihres Anwaltsteams zusammen mit honduranischen und internationalen Akteur*innen, die permanent Gerechtigkeit forderten, möglich geworden. Es bleibt abzuwarten, ob die Staatsanwaltschaft ihre Rolle ernst nimmt und weitere Ermittlungen einleiten wird.