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Man kann viel von ihnen lernen

Rezension: „Schwarzer Widerstand – Sklaverei und Rassismus in Lateinamerika und der Karibik“ von Toni Keppeler
Britt Weyde

Beim Studium der iberoamerikanischen Geschichte an der Uni Köln in den 1990er-Jahren mussten die Studierenden im Grundstudium ein 1965 (!) in Erstauflage erschienenes Buch zur Kolonialgeschichte Mittel- und Südamerikas durcharbeiten, die Fischer Weltgeschichte Band 22 von Richard Konetzke. Ein zutiefst rassistisches Werk. Proteste der Studierenden wurden mit dem Hinweis abgebügelt, es sei ein Standardwerk, es gebe kein anderes, annähernd umfassendes wie dieses. Das „Standardwerk“ ist aus dem eigenen Bücherregal längst aussortiert, aber hängengeblieben ist, dass die ekelhaftesten biologistischen Passagen darin die versklavten Afrikaner*innen betrafen. Wie gerne hätte ich damals als Komplementärlektüre ein Buch wie das vor kurzem erschienene „Schwarzer Widerstand. Sklaverei und Rassismus in Lateinamerika und der Karibik“ von Toni Keppeler zur Hand gehabt. Der 1956 geborene Journalist und Autor füllt damit eine Lücke im deutschsprachigen Buchmarkt. Keppeler berichtet seit über 30 Jahren für verschiedene Medien (unter anderem WOZ, FR und SRF) über Lateinamerika und bereist den Kontinent regelmäßig. Handwerk und Expertise merkt man diesem Werk an, Keppelers journalistische Schreibe ist eine Wohltat.

In sieben Kapiteln (plus Einführung und Ausblick) widmet er sich der Geschichte der wichtigsten Schwarzen Nationen des Subkontinents und der Karibik (Haiti, Brasilien, Kolumbien), emblematischen Denkern (Aimé Césaire, Frantz Fanon, Marcus Garvey) und besonderen Minderheiten wie den afroindigenen Garífuna, den „Schwarzen, die niemals Sklaven waren“, sowie den zentralen Widerstandsstrategien und Forderungen der afrikanischstämmigen Bevölkerung.

Ausgangspunkt der Recherchen, schreibt Keppeler in der Einleitung, ist der Umstand gewesen, dass 80 Prozent der Bücher, die sich mit der Sklaverei beschäftigen, von den USA handeln; ähnlich sieht es bei Spielfilmen zum Thema aus. Dabei haben die USA insgesamt nur fünf Prozent der afrikanischen Sklav*innen importiert, die anderen 95 Prozent gingen in die Karibik und nach Lateinamerika. Hierzulande ist gemeinhin bekannt, dass die Mehrheit der Bevölkerung in der Karibik Schwarz ist, aber dass auch die Länder in Zentral- und Südamerika ehemalige Sklavenhalterstaaten waren, wissen nur Leute vom Fach.

Das umfänglichste Kapitel in dem Buch erzählt auf 80 Seiten die Geschichte Haitis, der „verarmten Wiege der Freiheit“. Zu Recht. Hiesige Schlagzeilen über Haiti handeln zumeist von Naturkatastrophen und einem Failed State, so auch vergangenen Sommer von einem undurchsichtigen Präsidentenmord inklusive internationaler Verwicklungen in Form von kolumbianischen Söldnern. Wie konnte es so weit kommen? Schließlich galt Haiti einst als „Perle der Karibik“, die Europa, vor allem Frankreich, einen unglaublichen Reichtum bescherte. Zugleich war das Land die erste freie Schwarze Nation, die viele Versklavte und Unterdrückte weltweit zur Nachahmung inspirierte. Die historischen Hintergründe, aber auch die gegenwärtige politische Malaise in Haiti stellt Keppeler faktenreich dar. En passant lernt die Leserin, dass der große Held des südamerikanischen Unabhängigkeitskampfes, Simón Bolívar, von Haiti Unterstützung bekam, in Form von Schwarzen Kriegern, Schiffen und Waffen. „Sein dafür gegebenes Versprechen, die Sklaven in den von Spanien befreiten Gebieten freizulassen, war ein reines Lippenbekenntnis. (…) Wenn Bolívar über Schwarze sprach, nannte er sie meist die ‚Wilden‘.“ (S. 184)

Die Unterkapitel in Keppelers Buch kommen mitunter als Reportage daher. Das lockert die Sachtextform auf und tut dem Erkenntnisgewinn keinen Abbruch. So schreibt der Autor etwa über einen Besuch bei einem Vodou-Priester in der Nähe von Port-au-Prince oder über einen Rundgang durch das verschlafene Karibikdorf Triunfo de la Cruz, wo er sich mit Vertretern der afroindigenen Garífuna unterhält. Dieses rebellische Völkchen leistet seit fast 300 Jahren Widerstand, um sein Territorium zu verteidigen. Sie haben sich niemals versklaven lassen (siehe auch Beitrag auf S. 23). Beeindruckend auch der Bericht aus Noanamá, einer Afrogemeinde im Chocó, im Nordwesten Kolumbiens. Über 80 Prozent der dortigen Bevölkerung ist afrikanischstämmig. Viele andere Afrogemeinden im schwer zugänglichen und infrastrukturell absolut vernachlässigten Hinterland Kolumbiens werden zwischen der Armee, den Paramilitärs, den Guerillas und den Drogenbanden zerrieben. Hinzu kommt der Druck aufs Land – Palmölplantagen und Bergbauprojekte haben schon viele Bewohner*innen gewaltsam vertrieben. Noanamá hat sich bisher halten können, aber die dortigen Gemeindevertreter*innen wissen, dass die Paramilitärs ihre Strategie geändert haben: Sie veranstalteten keine Massaker mehr, sondern „bringen gezielt die Leute um, die die Bevölkerung organisieren. (...) Sie verbreiten Angst, damit die Bevölkerung geht. Dann können die Bergbaukonzerne kommen.“ (S. 196) Mehr als die Hälfte der über 400 Gemeindevertreter*innen und Menschenrechtsverteidiger*innen, die nach dem Friedensvertrag zwischen Regierung und FARC-Guerilla ermordet worden sind, waren Afrokolumbianer*innen. Insofern sind die Afrokolumbianer*innen historisch gesehen „zwei Mal Opfer von Verbrechen geworden.“ (S. 240).

Das Buch endet mit einem eindringlichen „Was zu tun ist“. Dabei greift es aktuelle Debatten zu Restitution und Reparationszahlungen auf, vor allem am Beispiel Haitis. Das Land ist gezielt zu einem postkolonialen Armuts- und Schuldnerstaat gemacht worden. Toni Keppeler merkt zu Recht an, dass es ein Skandal sei, dass die Sklavenhalter entschädigt wurden und nicht die ausgebeuteten und geschundenen Sklav*innen: „Überall in der Karibik und in Lateinamerika bekamen die Kolonialisten mit dem Ende der Sklaverei Ausgleichszahlungen für den Verlust ihres ‚Eigentums‘, (…) Menschen, die gegen ihren Willen verschleppt und versklavt worden waren. Diejenigen aber, die dieses Verbrechen erlitten hatten, wurden sich selbst und der Armut überlassen.“ Daraus folgert der Autor: „Reparationszahlungen wären nur ein Akt der Gerechtigkeit.“ (S. 246-248) Der ehemalige Präsident Haitis, Jean-Bertrand Aristide, forderte schon 2004, dass Frankreich die Entschädigungszahlungen zurückerstatten solle, die dem gerade erst unabhängig gewordenen Land abgepresst worden waren. Haiti hatte dafür enorme Kredite aufnehmen müssen, die es bis 1947 (!) abbezahlte.

Abschließend spielt Keppeler kurz durch, wie die geforderten Reparationszahlungen zu bewerkstelligen wären, und er bietet Argumente, um die geläufigen Einwände dagegen zu entkräften. Es geht um Wiedergutmachung und um die „Einsicht, dass nicht alle für richtig halten müssen, was Europäer für richtig halten“. (S. 249) Keppeler ist überzeugt: Von den Nachfahren der Sklav*innen kann man viel lernen. Das Gleiche gilt für Toni Keppelers Buch, das doch bitte zur Uni-Pflichtlektüre werden sollte.