ila

Dieses Entwicklungsmodell ist archaisch

Gespräch mit dem Yukpa-Vertreter Juan Pablo Gutiérrez über weltweite Kämpfe gegen Kohle

Vor gut vier Jahren musste der Menschenrechtsverteidiger Juan Pablo Gutiérrez Kolumbien verlassen. Seitdem lebt er im Pariser Exil. In seiner Heimat war der 39-Jährige bedroht worden. Er ist internationaler Sprecher für die indigenen Yukpa. Diese Bevölkerungsgruppe umfasst etwa 13 000 Menschen und siedelt im kolumbianisch-venezolanischen Grenzgebiet auf beiden Seiten der Serranía del Perijá (in den beiden nordkolumbianischen Departements César und Norte de Santander). Gutiérrez ist auch Vertreter der Yukpa für die ONIC, der Nationalen Indigenen Organisation Kolumbiens, wo er vor allem für strategische Allianzen zuständig ist. „Da es in Kolumbien ein starkes Medienmonopol gibt und Menschenrechtsthemen unsichtbar gemacht werden, ist meine Arbeit von Europa aus fast noch effektiver“, sagt er im Gespräch mit der ila.

Britt Weyde

Wie ist die aktuelle Situation im Territorium der Yukpa?

Bei uns hat sich das multinationale US-Unternehmen Drummond niedergelassen, ohne uns vorher zu konsultieren. Die Regierung hat dem Unternehmen eine Lizenz zur Ausbeutung der Bodenschätze in unserem Territorium erteilt mit der Begründung, dass dort keine Indigenen leben würden. Dabei ist es weithin bekannt, dass dies unser Territorium ist, wo wir unsere heiligen Stätten haben, wo wir fischen und jagen. Dieses Bergbauprojekt hat die Strukturen unserer Kultur zerstört, heilige Stätten wurden entweiht. Leute, die in der Steinkohlemine arbeiten, haben dort Körperteile unserer Vorfahren gefunden. Wo jetzt die Mine ist, waren vorher unsere Grabstätten. Diese Mine hat die 16-fache Größe von dem Tagebau in Deutschland, wo ich Anfang Oktober war: Garzweiler.

Strukturell betrachtet kämpfen wir gegen die Folgen der kolonialen Vergangenheit und ein Entwicklungsmodell, das absolut archaisch und rückwärtsgewandt ist. Schließlich wird damit die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen zementiert. Es ist wirklich beschämend, angesichts der Erderwärmung einfach so weiterzumachen und sich über das Leben der indigenen Bevölkerungsgruppen hinwegzusetzen.

Wie ist es um den Widerstand gegen den Bergbau bestellt?

In Frankreich hat mich überrascht, dass es recht breite Bewegungen gibt, vor allem von jungen Menschen, die zum Teil Blockaden machen etc. Wenn wir so etwas in Kolumbien machen würden, wären wir längst tot. Als ich vor kurzem beim Tagebau Garzweiler war, lernte ich die Leute kennen, die dort seit einem Jahr ein Protestcamp aufgezogen haben, um die nahegelegenen Dörfer1 vor der Abbaggerung zu schützen, und Baumhäuser gebaut haben, damit sie nicht gefällt werden. Ich sagte ihnen, dass wir so etwas in Kolumbien nicht machen könnten, – eine Woche später würden paramilitärische Gruppen kommen, uns umbringen und die Bäume fällen, damit das Bergbauprojekt voranschreiten kann. Widerstand läuft in Kolumbien anders ab, weil dort die Menschenrechte nicht respektiert werden. Das menschliche Leben ist dort nicht viel wert. Deshalb wird der Widerstand über Allianzen aufgezogen, mit Leuten, die noch demonstrieren können, – wie in Deutschland –, und dafür höchstens vier, fünf Stunden auf einer Polizeiwache festgehalten werden. Wir müssen lokale Allianzen zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen aufbauen, aber auch auf internationaler Ebene. Schließlich ist es der kolumbianischen Regierung sehr wichtig, was im Ausland über das Land gesagt wird. Wenn die Leute im Ausland über das wirkliche Kolumbien sprechen und nicht über das Postkartenidyll der Regierung, hilft uns das sehr.

Mich überrascht deine Einschätzung, die Bewegung hier sei so stark. Ich denke immer, dass wir uns viel öfter aus unserer Komfortzone heraus bewegen könnten.

Als ich im rheinischen Braunkohlegebiet war, hat mich positiv überrascht, wer alles dabei ist, Leute aus der Zivilgesellschaft, nicht unbedingt Leute aus sozialen Bewegungen. Anders gesagt: Leute, die einen bestimmten sozioökonomischen Status haben, die gar nicht aktiv werden müssten, weil sie unter nichts leiden. Sie haben keinen Hunger, die Regierung gibt ihnen alles, sie leiden – noch – nicht unter den Auswirkungen des Klimawandels. Sie könnten einfach ruhig in ihren Städten bleiben.

Mich beeindrucken der Willen zur Mobilisierung und das Bewusstsein der Aktivist*innen. Sie handeln meiner Meinung nach auf der Höhe des gegenwärtigen historischen Moments, an dem sich die Welt im Hinblick auf den Klimawandel befindet. Die Autoritäten der Yukpa haben ihnen ein Kommuniqué geschickt, das ihnen mitteilt, dass sie stolz auf sie sind, weil sie die Madre Tierra, die Mutter Erde, beschützen. Die Leute hier spüren oft diese Last, dass sie in den kolonialisierenden Ländern leben. Das ist wie ein ewiges Stigma, das sie loswerden sollten. Wir sollten uns nicht als Indigene oder Westler oder Schwarze begegnen, sondern als Menschen, die sich für das Überleben der <Madre Tierra einsetzen.

Wie kam es dazu, dass du ins rheinische Braunkohlerevier gefahren bist?

Die Aktivistin Carola Rackete hat mich eingeladen. Hinzu kam, dass zu diesem Zeitpunkt Delegationen von zapatistischen Compañeros vor Ort waren. Greta Thunberg war auch da, insofern war das ein günstiger Moment, um Medienaufmerksamkeit zu schaffen. Und wir konnten uns gut austauschen.

Vor ein paar Tagen gab es ein abschließendes Treffen mit einer Gruppe von zapatistischen Delegierten. Eingebrannt hat sich der Appell von Subcomandante Moisés. Er sagte: „In Österreich war ich auf der Demo von Fridays for Future. Fast 20 000 Menschen waren da. Zuvor hatten wir die Blockade von 60 jungen Leuten besucht, die gegen den Bau einer Autobahn demonstrieren. Warum sind die 20 000 Menschen von der Großdemo nicht auch bei der Blockade der 60 Leute, die sich für die Mutter Erde einsetzen?“ Reicht es aus, punktuell auf Demos zu gehen? Natürlich können sich nicht alle ein 24/7-Aktivist*innenleben leisten. Wie können wir die verschiedenen Protestformen besser integrieren, damit sich etwas verändert?

Natürlich wäre es ideal, wenn wir alle mit einem hohen Einsatz am Start wären. Aber alle Aktionsformen haben ihre Berechtigung, auch wenn einige eher Sofaaktivismus sind. Die Leute von Extinction Rebellion sagen: Mit unseren Blockaden bekommen wir zwar Aufmerksamkeit, aber wir wissen, dass wir die Probleme damit nicht lösen. Wir drücken damit den Widerspruch und die Wut der Leute aus. Viele Leute sind sich bewusst, was alles schiefläuft, wissen aber nicht, was sie dagegen tun können. Die wenigsten werden sagen: Ich schnappe mir eine AK 47 und gehe in die Berge, um zu kämpfen. Extinction Rebellion schafft es, die Leute bei ihrer Unzufriedenheit abzuholen und diese Saat an potenziellem Zivilem Ungehorsam aufgehen zu lassen. Denn, wie heißt es so schön: Wo Recht zu Unrecht wird, wird Widerstand zur Pflicht.

Du bist seit einiger Zeit als Menschenrechtsaktivist tätig. Welche Entwicklungen hat es im transnationalen Aktivismus gegeben?

Historisch gesehen hat die Wahrnehmung des „Indigenen“ bestimmte Entwicklungen durchlaufen. Anfangs wurden die Indigenen als nicht zivilisiert und rückständig angesehen. Aktuell gibt es eine Romantisierung der Indigenen als Bewahrer*innen der Mutter Erde. Aber in diese Rolle werden sie geradezu hineingedrängt, und zwar von denjenigen, die die Natur zerstören. Zum ersten Mal in der Geschichte wird nun der Diskurs der indigenen Völker als relevant erachtet, angesichts der immensen Gefahr, die die Erderwärmung bedeutet. Das hat zu transnationalen Allianzen geführt, die hoffentlich weniger romantisierend und stereotypisierend sind. Die Klimakatastrophe hat also zu einer anderen Positionierung der indigenen Bevölkerungen beigetragen, endlich!

Welche Wünsche hast du an Aktivist*innen hierzulande im Hinblick auf transnationale Solidarität?

Mitte November 2021 werden wir eine weltweite Kampagne gegen den Großtagebau in Kolumbien starten, speziell gegen das Bergbauprojekt von Drummond auf dem Territorium der Yukpa. Kolumbien ist ein wunderschönes Land und als Reiseziel gerade sehr angesagt, noch vor Brasilien oder Peru. Der kolumbianischen Regierung ist die touristische Vermarktung des Landes sehr wichtig. Um dieses beschönigende Bild gerade zu rücken und auf die humanitären Katastrophen und zahlreichen Morde an Aktivist*innen hinzuweisen, wäre es vielleicht an der Zeit, einen Tourismusboykott für Kolumbien anzuleiern.

  • 1. In Keyenberg gibt es das Baumhausdorf „Unser aller Wald“, das ebenso wie der Bauernhof von Eckhardt Heukamp in Lützerath zur ZAD Rheinland (Zone à défendre – „Zu verteidigende Zone“) gehört. Obwohl RWE am 27. Oktober gegenüber dem OVG Münster zugesagt hat, den Hof zunächst nicht abzureißen, bis über die Klage gegen Heukamps Enteignung entschieden ist, heißt das nicht Entwarnung. Deshalb stehen weitere Aktionen rund um die ZAD an.

Das Interview führte Britt Weyde am 11. Oktober 2021 per Zoom.