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Liebe auf den ersten Ton

Das DJ- und Konzertkollektiv „Lucha Amada“ feiert 20-jähriges Jubiläum mit neuem Soli-Sampler
Britt Weyde

Für die letzte ila, unsere „kleine“ Jubiläumsnummer 450 zu „Solidarität & Internationalismus“, hatte Rolf Satzer einen launigen Text über „die Globale der musikkulturellen Revolte“ geschrieben. Ein wichtiger lokaler Baustein dieser Globale ist das Bonner-(Kölner)-Berliner DJ- und Konzertkollektiv Lucha Amada (Köln in Klammern, weil heutzutage die verbliebenen aktiven Macher in Bonn und Berlin ihren Wohnsitz haben, vor 15 bis 20 Jahren spielte die Musik aber auch noch in Köln). Dieses Kollektiv hat nun seinen dritten Soli-Sampler vorgelegt. Eigentlich ist es bereits ihr vierter Sampler, aber der letzte aus dem Jahr 2018, „A Tribute to Punk compiled by Lucha Amada“, wird nicht mitgezählt.

Der aktuelle Sampler enthält 3 CDs (auf Vinyl: 4 LPs) mit insgesamt 46 Tracks. Die Erlöse aus dem Verkauf gehen zur Hälfte an die Zapatistas in Chiapas und an JINWAR, ein feministisches Projekt in Rojava, Westkurdistan. Im bunten Booklet informiert ein Artikel von Luz Kerkeling über die Rebellion der Zapatistas in Mexiko, außerdem erfahren wir etwas über das autonome Frauendorf JINWAR. In einem weiteren Beitrag erzählt Alix Arnold von der ila-Redaktion die Geschichte des DJ- und Konzertkollektivs Lucha Amada und schwelgt in schönen Erinnerungen, die auch die Rezensentin teilt.

Warum trägt der Sampler dieses Mal einen portugiesischen Titel? Schließlich sind die gesungenen und gerappten Sprachen der Songs Spanisch, Katalanisch und Baskisch, Französisch, Arabisch, Englisch, Italienisch, Galizisch und Deutsch. „,A luta continua‘ – das sollte eine Reminiszenz an den antikolonialen Kampf, zum Beispiel in Mozambique sein. Ursprünglich wollten wir auch den gleichnamigen Song in der Version von Motivés auf den Sampler packen, bekamen aber keine Antwort und somit keine Genehmigung“, erklärt Holger von Lucha Amada auf Nachfrage. Diese Anekdote verdeutlicht, wie viel Arbeit und Connections hinter solch einem Sampler stecken, schließlich sind die nun hier versammelten Bands und Künstler*innen alle dem Lucha-Amada-Kollektiv freundschaftlich verbunden, da sie ihre Tracks dem guten Zweck zuliebe dem Soli-Sampler zur Verfügung stellen. Schließlich gibt es noch einen Text im Booklet, in dem sich die Initiatoren von Lucha Amada zu ihrem „Samplerfetisch“ bekennen. Er schließt mit den zutreffenden Worten: „Auch in Zeiten von Streamingdiensten, wo die Menschen sich ihr Hörvergnügen freiwillig von Algorithmen bestimmen lassen, wollen wir weiter darauf setzen, hochwertige antagonistische Kulturprodukte zu basteln.“ Dieses Kulturprodukt, sprich die Tonträger des Samplers, die in den letzten Tagen parallel zur ila-Schlussredaktion in Heavy Rotation gelaufen sind, ist tatsächlich hochwertig, weil sehr vielseitig, mitunter überraschend und auf jeden Fall höchst tanzbar.

Die Partys von Lucha Amada und die Bands, an deren Touren sich das Kollektiv mit der Organisation lokaler Gigs beteiligt, laufen unter dem musikalischen Label „Mestizo“. Dieses Genre war kurz vor der Jahrtausendwende entstanden und haute damals uns alle an dieser Subkultur Beteiligten förmlich um. „Es war Liebe auf den ersten Ton“, bringt es Lucha Amada auf den Punkt. Die Hauptzutaten sind Ska, Reggae, Cumbia, Hiphop, Balkan Beats, ein bisschen (Punk)Rock, Dub, Drum ‘n‘ Bass. Mestizo ist zwar mittlerweile in die Jahre gekommen, aber durch neuere Styles wie Reggaeton und Afrobeat gibt es auch eine gewisse Weiterentwicklung.

Auf dem aktuellen Sampler treffen wir auf Klassiker wie „Mentira Politika“ (im Remix von Che Sudaka und Capricornio Man) beziehungsweise auf Coverversionen, wie „Por el suelo“ (etwas lamentierend vorgetragen von Viento Macho Duo), „La verdolaga“ (live in Marseille von Watcha Soundclash), eine beschwingte Version von „Bella Ciao“ (von der bosnischen Band Dubioza Kolektiv zusammen mit Gino Jevđević, ganz zeitgemäß aufgenommen in einer Quarantäne-Session) oder witzige Anspielungen, etwa auf den Calle13-Hit „Atrévete“, hier nun mit dem Zusatz „ponte rebelde“ und mit säuselnder Flöte.

Einige Acts sind auf dem Sampler gar mehrere Male vertreten (etwa die Madrider Tremenda Jauría oder die guatemaltekische Rapperin Rebeca Lane). Und eine Stadt, nämlich der Nabel der Welt, wird gleich in zwei Hymnen besungen: Berlin. Einmal auf Baskisch von Fermin Muguruza („Berlin-Ulrike-Meinhof-Muxu-Molotov“), das andere Mal als Ska-Klopper der Band Nuei aus Zaragoza.

Die meisten Bands auf dem Sampler haben explizite politische Messages, was sich unter anderem in einer gewissen Vorliebe für lyrische Reden historischer Politikerpersönlichkeiten niederschlägt. So findet Salvador Allendes Rede vor der UN-Vollversammlung im Dezember 1972 Niederschlag in dem Reggae-Song „Solidaridad“ von Dubamix, Lenguaalerta, Mal Élevé und Krak in Dub („Es ist unser Vertrauen in uns selbst, das unseren Glauben an die großen Werte der Menschheit stärkt, an die Gewissheit, dass diese Werte sich durchsetzen werden“), oder ein Auszug aus Fidel Castros „Zweiter Erklärung von Havanna“ aus dem Jahr 1962 im bereits erwähnten Song „Por el suelo“.

Ein halbes Dutzend Tracks auf dem Sampler lässt die abgebrühte Rezensentin (ihres Zeichens nebenberufliche DJ) besonders aufhorchen: „Que cambie el sistema“ – angelehnt an den Bewegungsspruch „System change, not climate change“ – von Tremenda Jauría und Ecologistas en Acción ist eine Wucht, hier treffen Reggaeton und Afrobeat auf zitierwürdige Lyrics. Auch die Queenky Potras haben mit ihrem Song „Potras callejeras“ interessanterweise die Ökologie mit im Programm: Über einen Reggaeton-Beat, der später in Drum ‘n‘ Bass übergeht, singen sie Zeilen wie „Somos bailadoras, somos ecofeministas“. Eine markante Stimme sticht hervor und tatsächlich, in dem Trio hat sich die Crème de la Crème der Mestizo-Szene Barcelonas versammelt: Da singt niemand Geringeres als Ámparo Sánchez von Amparanoia, auch Marinah von Ojos de Brujo ist mit am Start. Noch mehr weibliche Power gibt’s von der JazzWoman (aus Valencia) mit ihrem druckvollen und melodischen Afrobeat-Track „Amor i amistat“. Und La Terrorista del Sabor steuert eine basslastige, elektrifizierte Cumbia mit markantem Akkordeon bei: „Parala“. Mittelalterlich klingende Flöten sind im Cumbiatón „Vulcano“ zu hören, auf Italienisch vorgetragen von „Los3Saltos“. Ebenfalls mit medieval angehauchter Tonfolge ist „A insurxencia por vir“ der galizischen Hiphop-Crew Ezetaerre, ein echter Burner, sowohl was den Songtext betrifft als auch die bemerkenswerte Kombination von Sounds (von rockiger Gitarre über Flöten bis hin zu Flipperspieltönen).

In wenigen Worten: Der dritte Sampler von Lucha Amada zum 20-jährigen Jubiläum ist wie eine rauschende Hausparty, auf der wir viele alte Bekannte wiedertreffen und inspirierende neue Bekanntschaften machen.

Hier kann der Sampler bestellt werden: luchaamada.blogsport.de und luchaamada.bandcamp.com